„Bist du sicher, dass sie nicht tot ist? Sie bewegt sich schon ganz lang' nicht mehr."
„Sie atmet. Das heißt, sie wird auch wieder aufwachen. Lass uns noch warten."
„Aber soll'n wir nicht Hilfe holen?"
„Das dauert ewig! Und sie ist nicht verletzt. Und wenn sie aufwacht, wenn wir weg sind, hat sie bestimmt panische Angst! Guck sie dir an! Sie weiß doch gar nicht ... also ich glaube nicht, dass sie damit rechnet und weiß, wie ... naja, alles funktioniert."
„Okay, na gut. Aber darf ich sie noch mal anstupsen und gucken, ob ich sie aufgeweckt krieg'? Ich mag nicht ... Also ich mag es hier nicht."
„Du hast recht. Ich will hier auch weg. Vielleicht ein ganz kleiner Stups."
Ich lausche dem Gespräch aufmerksam. Ist das die Hölle oder der Himmel? In beidem dürfte es diese nervigen Wesen nicht geben. Im Himmel spielen Kaffeesahne und Katzenminze eine große Rolle und Menschen gibt es da nicht. In der Hölle ... nun ja, ich muss gestehen, dafür sind sie nicht schlimm genug. Um genau zu sein, wäre es sogar möglich, dass ich die beiden ein bisschen mag. Eventuell sogar mehr als ...
„Fchch!" Ich fahre herum, als mich etwas Kaltes an der Schulter berührt und schaue in Michaels erschrockene Augen. Hat er mich allen Ernstes mit seinen schmutzigen Fingerchen gepiekt?
Mit einem Quietschen hüpft er zurück und stolpert gegen Nadja, die ihn vor dem Fall bewahrt und an sich drückt. Ich nehme alles zurück! Die beiden sind eine Plage und können mir gestohlen bleiben! Dreiste Bälger!
Sekunde. Warum starren sie mich so seltsam an? Warum ist mir so kalt? Warum hört sich mein Fauchen so falsch an? Warum liegt da eine Decke auf mir, die ...
„AAAHHHH!" Beine! Warum habe ich rosa Beine? Und Füße! Eklige menschliche Stummelzehen statt meiner knuffigen samtigen Pfoten? Die Decke fällt vollständig von meiner nackten pelzlosen Haut und mit ungelenken Bewegungen versuche ich, einen Blick auf diese Katastrophe von Körper zu werfen. Ich fühle mich so grauenhaft schwerfällig, dass ich vor Frust schreien möchte!
„Kitty? Bist du das?" Michael löst sich von seiner Schwester und kommt vorsichtig einen Schritt näher. Erschrocken sehe ich, dass Blut durch den provisorischen Verband um seine Hand sickert. Mit derlei Verletzungen ist nicht zu spaßen. Die seelischen Wunden, sind zwar schlimmer, aber dagegen kann ich nichts tun.
Außer vielleicht ...
„Wie geht es dir? Verstehst du uns? Kannst du sprechen?" Nadja zieht ihren kleinen Bruder wieder zu sich und sieht mich skeptisch an.
„Aah ihiinns", erklingt aus meinem Mund. Moment, ich habe doch ganz deutlich ‚Ja, ich bin es' gesagt. Vermutlich sind meine menschlichen Sprechkünste außer Übung. Genau wie meine Motorik. Langsam schaue ich mich um. Warum sind wir in der Küche? Die beiden müssen mich aus dem Flur gezogen haben. Das Feuer ist wohl nicht auf das Haupthaus übergesprungen. Es dauert drei Anläufe, bis ich meinen Arm in Richtung Spüle richten kann und zwei Mal hochkonzentriertes Kopfschütteln, bis die Kinder begreifen, dass ich etwas zu trinken will.
„Sag mal, willst du dir vielleicht auch etwas anziehen?"
Nadja beobachtet mich mit hochgezogener Augenbraue, wie ich nackt im Schneidersitz auf dem Boden hocke und versuche mein Wasser mit der Zunge aus dem Glas zu schlabbern. An Lippen muss ich mich erst wieder gewöhnen.
„Ja. Ansiehin", sage ich deutlich und nicke. Ich bin kurz davor zu erfrieren!
„Ich schau mal, ob ich was finde." Sie geht zur Garderobe und kramt in den Jacken und Mänteln meiner ... Nein! Sie ist nicht mehr meine Herrin. Wie betäubt lasse ich das Glas sinken. Ich bin ja frei!
DU LIEST GERADE
Knusper, Knusper
HorrorDu glaubst, du kennst die Geschichte. Mit all ihren grausamen Einzelheiten. Du hast sie tausendmal gehört. Gesehen. Eingeatmet. Ja, sogar in deinen Träumen verarbeitet. Einen Scheiß kennst du! Ich erzähle dir, was wirklich geschehen ist. Hör gut zu...