Kapitel 5 - Der Wald

90 18 82
                                    

„AAHHHH!"

Mit einem Schrei zuckt Nadja in die Höhe, als ich zum dritten Mal mit allen vieren voran auf ihrem Bauch lande.

„Bist du irre?" Sie funkelt mich erschrocken an, hält die Stimme aber gesenkt. Michael scheint noch im Tiefschlaf zu sein und sie will ihn offensichtlich nicht wecken.

Ich ignoriere die infame Unterstellung und hüpfe von ihr herunter. Hauptsache sie ist endlich wach! Sabrina und Klaus sind vor knapp zehn Minuten aufgebrochen und werden voraussichtlich weniger als drei Stunden fort sein. Bis dahin muss ich die Kinder in Sicherheit gebracht haben. Schwungvoll spucke ich ihr das Papier auf die Zudecke, das ich sorgsam im Maul transportiert habe.

„Was ist das?" Im Mondschein faltet sie das zusammengeknüllte Papier auseinander. „Ge - fhor?" Seufzend lässt sie das Blatt sinken, das ich mühevoll mit einem Stock und alter Farbe beschrieben habe. „Kitty, ich finde es toll, dass du schreiben kannst. Voll außergewöhnlich, aber hat es Zeit bis morgen?"

„Mauauuuu!" Mit lauten, klagenden Maunzen springe ich auf ihre Beine und stoße mit meinem Kopf gegen das Papier.

„Okay, okay. Ich les' ja!" Mürrisch senkt sie den Blick und richtet den Zettel so aus, dass die dunklen Buchstaben zu erkennen sind. „Heißt das Gefahr?", murmelt sie und blickt mich plötzlich aufmerksam an. Ich nicke und bedeute mit der Schnauze weiterzulesen.

„Keine Hi-ilfe für eu-ren Papa ..." Beim letzten Wort schwingt sie die Beine aus dem Bett und ist mit zwei Schritten am Fenster. Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, als sie angestrengt versucht den Rest meiner Nachricht zu entziffern. Ich gebe zu, ich hätte vielleicht etwas mehr üben sollen.

„Das kann nicht dein Ernst sein, Kitty! Das ist nicht witzig!"

In der Tat. Nicht witzig. Das hast du richtig erfasst, Kind. Ich schüttle bestätigend den Kopf, drehe mich um und husche aus der Dachkammer. Als ich die Treppe erreiche, höre ich wie die Tür hinter mir geschlossen wird und Nadja mir auf leisen Sohlen folgt. Manche Dinge kann man nicht beschreiben, die muss man selbst gesehen haben. Es graut mir davor, aber ich muss ihr den Raum zeigen. Sie nimmt den Schlüssel, den ich ihr im Flur hinschiebe und folgt mir bis ganz nach hinten, in den Anbau unseres kleinen Hauses.

Auch wenn ich vielseitig talentiert bin, Schlüssel zu bedienen ist für mich und meine Pfoten ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Glück scheint das Mädchen zu verstehen, was ich von ihr will und öffnet die Tür. Die Dunkelheit dahinter wiegt schwer. Als würde Nadja ahnen, was hier geschehen ist, zögert sie nach einem Lichtschalter zu tasten.

„Oh Gott. Oh, großer Gott", flüstert sie kaum hörbar, als endlich die trüben Glühbirnen an der Decke ihr kaltes Licht absondern. Mit unnatürlich geweiteten Augen starrt sie in den Raum. Unfähig das Grauen vollständig zu erfassen, zumindest hoffe ich das für sie, lässt sie den Blick über die verschiedenen Gegenstände und Werkzeuge gleiten. Auf dem Zettel habe ich erklärt, dass ihr Vater keine Hilfe zu erwarten hat. Dass Sabrina eine Hexe ist und sie und ihren Bruder töten wird. Doch mit eigenen Augen zu sehen, auf welche Weise das geschehen soll, ist eindrücklicher als jedes geschriebene Wort.

Bevor ich auch nur darauf hinweisen kann, dass wir gehen sollten, wirbelt sie auf der Ferse herum und jagt den Gang entlang zurück ins Schlafzimmer.

„MICHAEL!" WACH AUF! Oh Gott, bitte wach auf!"

„W-Was ist ..." Schlaftrunken, aber zu Tode erschrocken blickt Michael ins Gesicht seiner panischen Schwester.

„Wir müssen hier weg! Wir müssen sofort von hier verschwinden!"

„A-aber meine Hose!", jammert der Junge als sie ihn bei der Hand nimmt und im Schlafanzug hinter sich herzieht.

„Dafür ist keine Zeit. Schuhe und Jacke müssen reichen!"

Knusper, KnusperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt