Kapitel 8 - Die Hoffnung

53 16 121
                                    

Uuuiii

Uuuiii

Uuuiii

Ich hasse den Käfig. Ich verabscheue ihn aus den tiefsten Abgründen meines Herzens! Jedes Mal, wenn ich einnicke und mich unwillkürlich bewege, schwankt das Drahtgestell und die Eisenkette gibt dieses scheußliche Quietschen von sich. Bei stärkeren Bewegungen rieselt feiner Staub von der Decke, aus den feinen Rissen, die sich wie Spinnweben um den dicken Haken in der Gipsdecke gebildet haben. Ich sehe aus, als hätte ich mich beim Plätzchenbacken in einem Mehlberg gewälzt.

Obwohl der Käfig für große Vögel, wie Raben oder Papageien gedacht ist, kann ich mich kaum strecken. Es ist so schrecklich, Vorder- und Hinterbeine nicht gleichzeitig dehnen zu können. Wobei ... wenn ich einen Blick in den anderen Käfig werfe und dem gequälten Stöhnen des Jungen lausche, kann ich mich nicht beschweren. Jedes Mal, wenn ich einen Laut von ihm höre, will ich mir die Ohren abbeißen und mein Herz verkrampft sich zu einem kleinen, harten Klumpen.

Ich weiß ganz genau, warum die Hexe mich mit den Kindern eingesperrt hat. Warum sie Nadja mitgenommen und mich mit dem verletzten Jungen zurückgelassen hat. Diese Augen. Sie ähneln seinen so sehr! Dieses sadistische Miststück! 

Es müsste bereits Abend sein, wenn ich meiner inneren Uhr trauen kann. Mit trockener Zunge lecke ich mir tröstend über die Vorderpfoten und versuche sofort mit wilden Gesichtsverrenkungen die größeren Gipsbröckchen loszuwerden, die daraufhin in meinem Maul kleben!

Kkkrrrk

Endlich passiert etwas! Ein Spalt zum Flur öffnet sich und wird knarrend größer. Nadja stolpert herein. Die fiese Hexe muss sie gestoßen haben. Hinter ihr wird die Tür krachend ins Schloss gezogen und der Schlüssel von außen gedreht.

„Micha, hey!" Sofort stürzt das Mädchen zum Zwinger und lässt sich auf die Knie nieder. Ohne Zögern lässt sie die Gegenstände fallen, die die bei sich getragen hat. Mühsam richtet ihr Bruder den Kopf auf und schleppt sich zum Gitter. So eng es geht, drückt er sich an seine große Schwester. Schnell streckt sie die Arme durch die Gitterstäbe und legt sie um den Kleinen. 

„Maaau!", melde ich mich nach ein paar Minuten kläglich. Ich würde sie ja gern weiter kuscheln lassen, aber ich sehe da eine Tüte mit Lebensmitteln und zwei Flaschen, die bestimmt Wasser beinhalten. Meine raue Zunge fühlt sich an, wie paniert und mit kleinen Steinchen gespickt. Für einen Schluck Wasser würde ich ... na ja, morden würde ich sowieso. Eine ganz bestimmte Person!

Das Mädchen dreht sich nicht um, aber immerhin richtet sie sich etwas auf und wischte mit dem Ärmel über ihre Augen.

„Hier nimm!" Sie schiebt ihm eine Flasche durch die Stäbe und öffnet den Beutel. Waffeln, Lebkuchen, Bonbons und allerlei widerliches Zeug kommt zum Vorschein. Während sie da herumkramt und ihn dazu bewegen will, etwas zu sich zu nehmen, fällt mir auf, wie zerkratzt ihre Hände sind. Trocken und an den Knöcheln blutig verkrustet. Auch die weißen Salzränder auf dem Rücken und unter den Armen deuten darauf hin, dass sie bis zur Erschöpfung geschuftet hat.

„Willst du auch was?" Ihre Augen treffen meine und ich vergesse fast zu nicken. Sie sind starr. Tot. Und gleichzeitig bemerke ich etwas darin. Etwas das ich nicht zuordnen kann. Etwas das mir Sorgen macht. Sie füllt den Deckel der Flasche mit frischem Wasser und hält ihn an meinen Käfig. Mein Kopf passt nicht mal ansatzweise durch die Stäbe, aber den vorderen Teil meiner Schnauze und die Zunge kann ich durchpressen. Dankbar schlabbere ich zwei Deckel leer und die Flüssigkeit erweckt meine Lebensgeister zu neuem Leben.

„Ich hab' leider nur Süßkram zu essen. Willst du was davon? In denen hier sind keine Zaubersachen. Sie will uns nicht mehr ... sie will, dass wir alles mitbekommen, hat sie gesagt." Ihr Blick wird glasig bei den letzten Worten. 

Knusper, KnusperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt