Professor McGonagall brachte den Jungen wieder nach Hause, wo er am nächsten Tag Besuch von einem Sozialarbeiter bekommen würde. Niedergeschlagen nickte Theo und versuchte erst gar nicht seine Tränen zurückzuhalten. Er stand mit all seinen neuen Sachen im Arm im Wohnzimmer. Professor McGonagall war nicht hereingekommen, sondern stand auf der anderen Seite der Tür.
»Komm mit«, sagte sie auf einmal zu Theos Überraschung. »Ich bringe dich wieder in den Tropfenden Kessel. Ich spreche mit Tom und du kannst dort sicherlich die restlichen Wochen verbringen, bevor die Schule losgeht.« Theo starrte sie mit großen Augen an. Er war sich nicht sicher, aber ganz langsam sickerte durch, was sie gerade gesagt hatte.
»Wirklich?«, hauchte er. »Wieso?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie ehrlich. Theo runzelte die Stirn.
Die letzten beiden Tage waren so verstörend und gleichzeitig so verrückt gewesen, dass er nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Sein Leben hatte sich verändert. Zum Schlechten, aber auch irgendwie zum Guten. Er hatte seine Beschützerin, seinen Anker, seine wichtigste Person in seinem Leben auf so tragische Weise verloren, aber er hatte eine ganz neue, aufregende und schöne Welt entdeckt. Er wusste nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Auf der einen Seite war er unendlich traurig und würde sich am liebsten in seinem Zimmer verschanzen und nie wieder herauskommen, aber auf der anderen Seite, wollte er alles erkunden, was die Zaubererwelt zu bieten hatte.
»Pack deine Sachen, bevor ich es mir anders überlege«, sagte sie, trat in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. »Na los oder brauchst du noch eine schriftliche Einladung?«, sagte sie streng, aber ihre Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Theo nickte und flitzte in sein Zimmer, wo er alles Wichtige in den größten Koffer stopfte, den er finden konnte. Eine halbe Stunde später trat er wieder aus dem Zimmer. Professor McGonagall hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht und blätterte konzentriert in einem der Magazine, die immer in dem Fach unter dem Couchtisch lagen. Der Junge räusperte sich leise.
»Bist du soweit? Hast du an alles gedacht?«, fragte sie ihn und legte das Magazin auf die Couch. Theo nickte. »Wie ich sehe, müssen wir dir noch einen neuen Koffer besorgen, aber das kann noch ein bisschen warten.« Als sie ihren Zauberstab zückte, zuckte Theo kurz zusammen, nur um darauf mit offenem Mund auf seinen geschrumpften Koffer zu starren.
»Was? Wie?«, stammelte er.
»Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich möchte ungern einen großen, schweren Koffer durch halb London schleppen. So lässt er sich doch viel einfacher transportieren.« Gesagt, getan. Sie stand von der Couch auf und steckte den Koffer in ihre Umhangtasche.
»Dann wollen wir mal«, sagte sie und lächelte Theo an. Er schaute sich noch einmal in der kleinen Wohnung um und vermied bewusst die Tür zum Zimmer seiner Mum anzusehen, als sein Blick auf das Bild fiel, dass neben dem Fernseher stand. Schnell ging er hinüber und nahm es an sich. Es zeigte ihn mit seiner Mum, wie sie Arm in Arm am Strand spazieren gingen. Es war ihr erster und einziger Urlaub gewesen. Sie hatten die eine Woche im Süden von England sehr genossen und Theo erinnerte sich gerne daran zurück. Seine Mum hatte er selten so glücklich erlebt. Er nahm das Foto aus dem Rahmen heraus und steckte es ein, als ihm auf einmal der Brief seiner Mutter in Erinnerung kam. Wo hatte er ihn noch gleich hingelegt? Sein Blick fiel auf die Couch und die Kissen, die in der Ecke lagen. Er hob die Kissen hoch und dort lag er, so wie er ihn zurückgelassen hatte. Erleichtert atmete er aus und nahm ihn an sich. Als er aufsah, bemerkte er, dass Professor McGonagall ihn die ganze Zeit beobachtet hatte. Sie lächelte ihn an und als er an ihr vorbei zur Haustür gehen wollte, legte sie ihm die Hand auf die Schulter. Sie führte ihn aus seinem Zuhause hinaus, in eine ihm unbekannte Welt. Er würde es wahrscheinlich nie zugeben, aber diese kleine Geste der Professorin gab dem Jungen halt. Halt in seiner auf den Kopf gestellten Welt.
Als sie auf die Straße traten, wollte er direkt den Weg zur U-Bahn-Station einschlagen, aber Professor McGonagall hielt ihn zurück.
»Wir werden dieses Mal etwas anders reisen. Vertraust du mir?« Theo nickte, auch wenn er sich etwas unwohl fühlte, ob der Frage. »Gut, wir werden jetzt apparieren. Bitte, halte dich an meinem Arm fest.«
»Appa- was?«, fragt er, aber bevor er eine Antwort bekommen konnte, wurde er schon an seinem Bauchnabel nach hinten gezogen. Panik stieg in ihm auf und er hatte das Gefühl jeden Moment zu ersticken. Die Schwärze hatte ihn vollkommen eingenommen und bevor er endgültig das Bewusstsein verlieren konnte, schlug er hart auf dem Boden auf. Keuchend beugte er sich nach vorne und übergab sich vor die Füße der Professorin, die erschrocken zurücksprang.
»Du meine Güte. Mit so einer Reaktion habe ich wahrlich nicht gerechnet«, sagte sie, während sie das Erbrochene mit einem Schwenk ihres Zauberstabes entfernte.
»Tut mir leid«, nuschelte der Junge leise und richtete sich wieder auf. »Was war das eben?«
»Du bist gerade Seit-an-seit-appariert. Das ist die schnellste und einfachste Methode, von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Allerdings habe ich wohl vergessen, was es mit einem unerfahrenen Körper macht. Das tut mir leid«, sagte sie und legte ihm erneut die Hand auf die Schulter. »Komm, wir müssen dir schließlich noch ein Zimmer für die restlichen Wochen organisieren.« Etwas taumelnd folgte Theo ihr und gemeinsam betraten sie erneut den Pub, welcher immer noch gut besucht war. Sie gingen zum Tresen und McGonagall sprach mit Tom, dem Wirt.
»Theo?«, sprach McGonagall ihn an. Er zuckte zusammen. »Tom hat für die restlichen Sommerferien ein Zimmer für dich. Er wird auch ein Auge auf dich werfen. Ich werde gleich zurück nach Hogwarts reisen, aber ab und an vorbeischauen, ob alles in Ordnung ist.« Der Junge nickte und nahm den Schlüssel entgegen, den sie ihm reichte.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen ihr Zimmer«, sagte der Wirt, als er hinter dem Tresen hervortrat. Er ging durch den gefüllten Schankraum und steuerte auf eine kleine Treppe zu, die nach oben führte. Theo hatte sie bisher nicht wahrgenommen. Das ganze Gebäude war ein wenig schief und die Gänge sehr eng. Tom blieb vor einer Tür stehen.
»Hier wären wir, Mr. Campbell. Ihre Residenz für die nächsten Wochen. Machen Sie es sich bequem und wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich gerne bei mir.« Mit diesen Worten ließ er die beiden stehen und ging zurück.
»Danke«, sagte Theo noch schnell, bevor der Wirt gänzlich verschwunden war. Er hob zum Dank kurz die Hand, drehte sich aber nicht um.
»Hier hast du deinen Koffer«, sagte Professor McGonagall. Sie zog den winzigen Koffer aus dem Umhang und zauberte ihn wieder groß.
»Danke, Professor.« Theo schloss die Tür auf.
»Ich werde die Tage wiederkommen und dir einen geeigneten Koffer mitbringen und ich hoffe dir wird es in der Zwischenzeit nicht zu langweilig«, sagte sie und griff ein weiteres Mal in ihre Tasche. Sie zog ein Säckchen heraus und hielt es Theo entgegen. Unsicher nahm er es an. In dem Säckchen klimperte es und es war recht schwer.
»Was ist das?«, fragte er.
»Etwas Geld, damit du dir ein paar schöne Wochen hier in der Winkelgasse machen kannst.« Sie lächelte ihn an, was Theo nur zu gern erwiderte.
»Danke, Professor«, strahlte er sie an.
»Nun, also-«, sie stockte kurz, wie um sich zu sammeln. »Ich werde dann jetzt gehen. Bis nächste Woche, Theodore.« Sie drückte ihm zum Abschied noch einmal die Schulter und ging den schmalen Gang zurück zur Treppe. Theo blickte ihr nach, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwunden war. Mit schwerem Herzen trat er in das Zimmer ein. Es war nicht sehr groß und auch nicht besonders ordentlich, aber das störe Theo nicht weiter. Er stellte den Koffer in eine Ecke und ließ sich, angezogen wie er war, auf das Bett plumpsen, welches überraschenderweise wirklich sehr bequem war. Er zog das Foto aus seiner Hosentasche und betrachtete es. Eine einzelne, kleine Träne rann seine Wange hinab und tropfte auf das Kissen.
»Mum, du fehlst mir so sehr«, flüsterte er und drückte das Foto fest an seine Brust. So schlief er ein paar Minuten später ein.
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Wolfsblut
Fanfiction»Dein Vater, Remus, war ein Zauberer und du bist auch einer.« Innerhalb von Sekunden, hatte sich das Leben von Theo von Grund auf verändert. Aber wer genau war dieser Remus? Lebte er noch? Wusste er von Theo? Würde Theo ihn jemals treffen? *** (c) D...