Kapitel 12

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»Die Augen!«, rief Theo. Schlagartig schlug er die Augen auf. War hellwach. Einer der anderen Jungen beschwerte sich, was das denn solle. Wieso er mitten in der Nacht auf einmal herumschreien müsste. Aber das war Theo egal. Sein Herz pochte wie wild und er grinste. Konnte es wirklich sein? Konnte es wirklich so einfach sein? Theo schüttelte den Kopf, aber der Gedanke hatte sich festgebissen. Er musste es herausfinden. Er musste mit ihm sprechen.

Leise, um die anderen nicht zu wecken, stand er auf und zog den Stundenplan aus seinem Rucksack. Er überflog den Zettel und stellte zufrieden fest, dass heute erneut eine Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste anstand. Mit Blick auf die Uhr, bemerkte er, dass es gar nicht mehr so lange bis zum Frühstück war. Theo entschied sich dazu, in Ruhe duschen zu gehen. Schnell hatte er all seine Sachen eingesammelt und ging auf den Gang hinaus, wo er niemandem begegnete. Auch im Bad war er alleine und so duschte er ausgiebig und vor allem heiß. Als seine Fingerkuppen schon ganz schrumpelig waren, machte er das Wasser aus, trocknete sich ab und zog sich an. Frisch geduscht und voller Tatendrang ging er zurück in den Schlafsaal, wo die anderen mittlerweile auch wach waren.

»Was grinst du denn so?«, fragte Nick ihn, aber Theo zuckte nur mit den Schultern.

»Weiß nicht, hab gut geschlafen«, antwortete er, packte seinen Sachen zusammen und schulterte seinen Rucksack. »Kommt ihr?«, fragte er in die Runde. Nick sah ihn mit großen Augen an, deutete erst auf sich und dann auf die anderen.

»Nein. Wir sind noch nicht fertig«, sagte er übertrieben deutlich.

»Okay, wir sehen uns dann unten«, sagte Theo und verließ den Schlafsaal. Seine Freunde ließ er einfach stehen. Normalerweise hätte er gewartet, aber er war so voller Tatendrang, dass er es nicht aushielt zu warten.
Auf dem Weg in die Große Halle grübelte er darüber nach, wie er sein Anliegen Professor Lupin vortragen könne, ohne seltsam dabei zu klingen. Je weiter er ging, desto unsicherer wurde er. War es wirklich eine gute Idee? Was, wenn er sich täuschte und nur der Wunsch alleine hatte dazu geführt, dass er etwas sah, was nicht da war?
Völlig verunsichert kam er an der Halle an, setzte sich an den Ravenclaw Tisch. Er nahm sich etwas zu essen, aber stocherte nur darin herum.

»Was ist denn auf einmal los?«, fragte Jason, als er sich neben ihn setzte. Nick und Marvin setzten sich ihnen gegenüber. Theo atmete laut aus und schüttelte den Kopf. Er wollte noch nicht über seine Vermutung reden. Erst musste er Gewissheit haben. Oder nicht? Der Junge blickte unsicher zum Lehrertisch hoch, suchte die Tafel ab, aber dort war er nicht. Vielleicht kam er ja später, dachte Theo.

»Was haben wir als Erstes?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.

»Kräuterkunde«, sagte Marvin, wie aus der Pistole geschossen. »Mit Hufflepuff.«

»Woher weißt du das?«, fragte Nick skeptisch.

»Hab geschaut, bevor wir los sind.« Marvin zuckte mit den Schultern und stopfte sich schnell ein Toast in den Mund. Theo musste schmunzeln. Sein Blick wanderte wieder zum Lehrertisch, in der Hoffnung er würde jetzt dort sitzen und er könne seine Überlegungen überprüfen. Aber es gab immer noch keine Spur von dem Professor. Leicht schüttelte er den Kopf, um so seine Gedanken zu verscheuchen. Als Erstes hatte er anderen Unterricht und darauf sollte er sich konzentrieren.

»Lasst uns gehen«, sagte Nick und sie standen auf. Theo, immer noch in Gedanken, trottete seinen Freunden hinterher zu den Gewächshäusern. Hier hatten sie letzte Woche schon ihre erste Unterrichtsstunde absolviert und würden sicher genau da anknüpfen, wo sie das letzte Mal aufgehört hatten.
Am Gewächshaus angekommen wurden sie auch sofort von Professor Sprout eingelassen, die sie anwies, sich um die Tische in der Mitte des Raumes zu platzieren. Auf der einen Seite des Tisches standen die Ravenclaws und auf der anderen die Hufflepuffs. Alle sahen jetzt nach vorne, außer Theo, der geradeaus starrte und nicht zuhörte.

»Theo, hier!«, sagte Jason und hielt ihm Ohrenschützer hin. Irritiert sah er auf. »Die sollen wir aufsetzen und die hier auch.« Er hielt ihm ein Paar Handschuhe hin. Beides nahm Theo entgegen. Er sollte wirklich anfangen aufzupassen. Sie nahmen offensichtlich etwas Neues durch, da sie diese Utensilien letzte Woche nicht gebraucht hatten.
Theo zog sich die Ohrenschützer auf und streifte die Handschuhe über. Professor Sprouts Stimme drang nur noch gedämpft an sein Ohr, also beobachtete er ganz genau, was sie tat. Sie zog an den Blättern einer Pflanze, die, als sie die Erde verließ, wild anfing zu zappeln und zu schreien. Theo war mehr als froh, dass er die Ohrenschützer trug und der Schrei daher nur leise an sein Ohr drang. Allerdings lauter als die Stimme von Professor Sprout vorhin. Sie steckte die Pflanze in einen neuen, größeren Topf und sobald sie Erde in den Topf getan hatte, hörte das Geschrei auf. Sie bedeutete ihnen, dass sie dies mit den Pflanzen vor ihnen auf den Tischen ebenfalls tun sollten.
Schnell war der Raum erfüllt von Schreien, sowohl von den Pflanzen, als auch von den Schülern, die laut fluchend die widerspenstigen Pflanzen umtopften. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnten sie endlich das Gewächshaus verlassen. Schwitzig und völlig außer Atem trotten die Erstklässler in Richtung Schloss.

»Was haben wir jetzt?«, fragte Nick.

»Verteidigung gegen die dunklen Künste«, antwortete ihm diesmal Theo. Bei dem Gedanken verkrampfte sich alles in ihm. Sollte er ihn wirklich jetzt fragen? Oder lieber doch warten? Ihn außerhalb der Schulzeit abpassen? Aber würde er es dann wirklich noch durchziehen? Lieber jetzt, als später, oder?
Während er darüber nachdachte, waren sie am Klassenzimmer angekommen. Sie setzten sich auf dieselben Plätze, wie letztes Mal und warteten gebannt darauf, dass Professor Lupin hineinkommen würde.
Schwungvoll wurde die Tür aufgeschlagen und herein kam niemand geringeres als Severus Snape. Theo starrte ihn mit offenem Mund an. Er konnte sich keinen Reim daraus machen.

»Wo ist denn Professor Lupin?«, fragte er frei heraus, ohne nachzudenken.

»Professor Lupin fühlt sich heute nicht imstande zu unterrichten, Mr. Campbell.«

»Was hat er denn?«

»Das hat Sie nicht zu interessieren. Wir fangen jetzt an.« Sein Tonfall duldete keine weiteren Nachfragen. Theo saß niedergeschlagen auf seinem Platz. Was hatte er nur, dass er nicht unterrichten konnte? Im Krankenflügel konnten sie doch alles ganz schnell heilen. So hatte er gehört. Also, wieso war er dann nicht in der Lage zu unterrichten? Der Junge malte sich alles Mögliche aus, kam aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Resigniert schüttelte er den Kopf.

»Wie wendet man ihrer Meinung nach den Protego Zauber richtig an, Mr. Campbell?«, fragte ihn Professor Snape. »Nein? Fünf Punkte Abzug für Ravenclaw.«

»Was? Wieso?«, beschwerte sich Nick neben ihm. Professor Snape, der sich wieder der Klasse zugewandt hatte, drehte sich ganz langsam zu Nick um, schritt auf ihn zu.

»Weitere fünf Punkte Abzug für unaufgefordertes Dazwischenreden«, sagte er süffisant und grinste die beiden Jungen überheblich an. »So, möchte noch jemand etwas sagen? Nein? Dann fahren wir jetzt fort.«

Die Stunde zog sich wie Kaugummi und als Professor Snape sie endlich entlassen hatte, waren die vier Jungen aus Ravenclaw, die ersten, die den Raum fluchtartig verließen.

»So ein Idiot«, sagte Nick verärgert.

»Was Professor Lupin wohl hat?«, fragte Marvin. Theo zuckte mit den Schultern und die anderen beiden schüttelten die Köpfe. Keiner hatte darauf eine Antwort.

»Hoffentlich wird er schnell wieder fit«, sagte Theo, mehr zu sich selbst, als zu seinen Freunden. Seine Freunde stimmten murmelnd zu. In der Großen Halle angekommen setzten sie sich schweigend an den Tisch und aßen.

WolfsblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt