|7|Narben

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Tessa

Eigentlich könnte man meinen, dass wenn jemand einen zur Arbeit fährt, dieser jemand einen eben auch wieder abholt.

Aber Caleb ist vor ungefähr einer Stunden mit einem Mädchen unterm Arm gemeinsam mit Zander und dem anderen Typen verschwunden. Ich dachte, er würde vielleicht noch zurückkommen, um mich zu holen, doch Fehlanzeige.

Ich stehe hier schon seit zehn Minuten in der Kälte der Nacht. Ich bin verdammt müde, aber bin gleichzeitig auch so beschwingt von meiner neuen Arbeit. Ich liebe das Neon Lights, meinen Chef Steve und Cody ist einfach nur wunderbar. Vielleicht liegt es aber auch nur an der Erleichterung, endlich irgendetwas gefunden zu haben, wo ich recht gut verdiene.

Nach weiteren fünf Minuten gebe ich es auf, auf Caleb zu warten. Ich hole mein Handy aus der Hosentasche und öffne die Busfahrpläne. Nebenbei bemerke ich, dass er noch immer nicht auf meine Nachrichten reagiert hat.

„Tessa Tiger. Hey." Cody kommt nun auch aus dem Gebäude. Er hat sich genauso wie ich eine Jacke übergeworfen und vergräbt die Hände in ihren Taschen. „Was machst du noch hier?" Mit zur Seite gelegtem Kopf sieht er mich an. „Doch nicht etwa wegen mir, oder?" Gespielt gerührt legt er sich eine Hand auf die Brust.

Ich lache auf. „Nein. Mein Idiot von Bruder ist irgendwie verschollen. Jetzt darf ich den Bus nehmen." Entnervt verziehe ich das Gesicht.

„Ich kann dich auch mitnehmen. Ich wohne zwar in der anderen Richtung, aber es würde mir nichts ausmachen. Vor allem wenn die Alternative für dich ein dunkler Bus um kurz nach Mitternacht ist." Cody runzelt besorgt die Stirn.

Lächelnd winke ich ab. „Ach, lass gut sein. Ich bin schon groß. Wie ein Tiger, vergessen?" Ich zwinkere ihm zu, als ich auf meinen Spitznamen anspiele, den ich bekommen habe, weil ich mich sofort in die Arbeit stürze, wie ein Tiger auf seine Beute. Und weil Cody gesagt hat, ich würde ihn an eine Raubkatze erinnern.

Er lacht auf. „Ok. Aber wenn du nicht zu deiner nächsten Schicht auftauchst, dann fühle ich mich höchstpersönlich dafür verantwortlich." Drohend zeigt Cody mit seinem Zeigefinger auf mich.

„Alles klar." Mit einem Grinsen verabschiede ich mich, bevor ich mich auf den Weg zur Haltestelle mache.

Cody hat recht behalten. Die Straßen sind dunkel und ich finde keine Menschenseele unterwegs. Der Bus selber ist bis auf zwei Personen menschenleer. Und jedes Mal, wenn ich ein mir unbekanntes Geräusch höre oder jemand sich räuspert, schrecke ich zusammen. In weiser Voraussicht habe ich an mein Pfefferspray gedacht, welches ich in meiner Jackentasche fest umklammere.

Als ich es endlich überstanden habe, laufe ich förmlich zu meiner Haustüre. Calebs und Zanders Wägen stehen beide nebeneinander in der Auffahrt. Entweder sind die zwei zu Fuß unterwegs, oder sie sind zu Hause, was wiederrum bedeuten würde, dass Caleb mich einfach vergessen hätte.

Ein großer Klumpen bildet sich in meinem Hals und wandert in meine Brust zu meinem Herzen. Eiserne Finger umfassen meinen Muskeln und drücken fest zu.

Sorry, Tess...

Ich schüttele meinen Kopf. Nein, Caleb würde mich nicht vergessen. Ich bin seine Schwester, verdammt. Sein Fleisch und Blut.

Und du warst Zanders beste Freundin, wispert eine Stimme in meinem Kopf.

Ich räuspere mich. Entschlossen, nicht auf meine innere Stimme zu hören, betrete ich leise das Haus. Da ich nicht weiß, ob überhaupt jemand da ist, bewege ich mich so lautlos, wie es nur geht.

Als ich mir ein Wasser holen möchte, erstarre ich auf halbem Weg in die Küche im Wohnzimmer. Der Fernseher flackert, weil irgendein Film mit Autos läuft. Doch was mich überrascht, ist Zander. Er liegt ausgestreckt auf der Couch, einen Arm nach oben über die Augen gereckt, die andere Hand hält die Fernbedienung. Und er schläft bereits tief und fest.

One KissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt