|4|stahlgraue Gewässer

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Tessa

Mein Blick ist starr auf das Brett unter mir gerichtet. Mit Schwung springe ich ins Wasser. Dieses schlägt kühl über mir zusammen, bevor ich anfange mich zu bewegen. Ich gleite mühelos bis zum ersten Drittel, bevor ich an der Oberfläche ankomme. Mit langen, kräftigen Zügen schwimme ich bis ans andere Ende des Beckens, ehe ich unter Wasser die Wende ausführe. Perfekt. Meine Muskeln übernehmen die Arbeit für mich. Inzwischen habe ich das so oft gemacht, dass ich die Bewegungen im Schlaf ausführen könnte.

Mein Kopf ist vollkommen leer und ich ziehe kurz vor dem Ende noch einmal an, dann schlage ich beide Hände am Beckenrand ab.

Inzwischen bin ich schon seit drei Tagen bei Caleb eingezogen. Ich habe auch Brandon kennengelernt, der noch am selben Abend wieder nach Hause gekommen ist. Mit ihm kann man sich recht gut unterhalten. Er ist für jeden Spaß zu haben und weiß, wie man lacht. Mit seinen braunen Haaren und den warmen, ebenso braunen Augen wirkt er ein bisschen wie ein Bär, den man knuddeln möchte.

Den zweiten Mitbewohner habe ich noch nicht kennengelernt. Caleb sagt, er hat immer noch nicht mit ihm gesprochen, aber ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass er mich nicht im Haus haben will.

Was auch verständlich ist, nur muss ich dann auf die Schnelle einen anderen Schlafplatz finden, denn ich habe nicht vor, so schnell das Handtuch zu werfen. Das Schwimmen ist mein Traum. Und das Schwimmen an der Brighten-University unter dem Training von Coach Ross – zweifacher Olympiasieger und erfolgreicher Trainer anderer Gewinner – ein noch viel größerer.

„Chambers! Sehr gute Zeit. Ich glaube aber, wir können das noch steigern, was meinst du?" Die tiefe Stimme meines Trainers hallt in der sonst so gut wie leeren Halle wieder, als ich aus dem Wasser steige und mir die Schwimmbrille absetze.

„Sicher, Coach." Wir haben Einzeltraining, nachdem ich bei ihm angefragt habe, ob wir nicht schon eher anfangen können, weil ich so schnell zurück ins Wasser kommen wollte, wie nur möglich. Ich habe das Gefühl, manchmal habe ich Kiemen und kann nur durchs Wasser wieder richtig zu Atem kommen.

Coach Ross schreibt sich etwas auf sein Klemmbrett. „Ich glaube, die Zeit können wir gleich beibehalten für unser Einzeltraining, oder was meinst du?"

Verlegen sehe ich ihn an. „Ähm... Ich will mich im Moment nur ungern festlegen, weil ich noch nicht von dem einen Jobangebot gehört habe. Ich weiß also nicht, wann ich Schichten habe. Kann ich Ihnen im Laufe dieser Woche Bescheid geben?"

Aus zusammengezogenen Augenbrauen sieht er mich an. Es ist offensichtlich, dass es ihm nicht gefällt, das wir uns noch nicht auf eine Zeit einigen können.

Aber ich brauche diesen Job. Meine Ersparnisse reichen mir für die ersten beiden Mieten bei meinem Bruder. Außerdem wollte ich meinen Eltern noch Geld schicken. Ich habe vor, ihnen so gut es geht unter die Arme zu greifen. Und da ich bereits ein Stipendium habe, kann ich meine Einnahmen von dem Nebenjob auch ihnen zukommen lassen.

„Tut mir leid, Coach. Ich schwöre, ich sage Ihnen bis zum Freitag Bescheid und wir können es dann festmachen. Keine Änderungen mehr. Versprochen."

„Du bist bis jetzt unter den vielversprechendsten Schwimmerinnen, die ich trainieren darf, Tessa. Ich zähle auf dich, dass du mich nicht enttäuschen wirst." Er schreibt wieder etwas auf sein Klemmbrett, bevor er mich mit einem kleinen Lächeln ansieht. „Freitag ist in Ordnung. Aber nicht später, Chambers, verstanden?" Gespielt drohend zeigt er mit dem Kugelschreiber auf mich.

Auch ich lächle ihn dankbar an.

„Und jetzt ab ins Wasser. Noch eine Runde. Ich bin sicher, wir können diese Zeit schlagen."

One KissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt