|16|Wahrheit oder Pflicht

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Tessa

Die nächsten drei Tage vergehen wie im Flug. Zander hat mich am Dienstag auch wirklich abgeholt, obwohl ich viel lieber den dunklen Bus genommen hätte als mit Zander zehn Minuten im Auto zu sitzen. Vor allem, weil er nach einem Frauenparfüm gerochen hat und ich einen Knutschfleck auf seinem Hals entdeckt habe.

Das Ziehen in meiner Brust ignoriere ich, genauso wie ihn. Er tut dasselbe. Er beachtet mich nicht, vögelt jeden Abend eine andere, die ich am nächsten Morgen in unserer Küche in seinem Shirt finde. Die letzte hat zumindest den Kaffee aufgesetzt. Aber das Gestöhne höre ich auch trotz der Tatsache, dass ich am anderen Ende des Flures schlafe.

Zanders Worte spielen sich wie eine kaputte Schallplatte in meinem Kopf ab. Der vertraute Schmerz setzt wieder ein. Er nistet sich wie ein Parasit in meinem Körper ein und frisst an meinen Unsicherheiten.

Umso besser finde ich es, dass heute endlich Freitag ist und ab morgen das verlängerte Wochenende anfängt. Den Labour-Day am Montag verbringen Caleb und ich in Denver bei unseren Eltern, weshalb wir morgen in der Früh auch schon losfliegen, um so viel Zeit wie nur möglich mit ihnen zu haben.

Cora aber hat mich auf eine Party geschleppt. Doch auch das kommt mir sehr gelegen, da ich so endlich mal abschalten kann. Also führt mich meine erste Mission, als wir das laute Haus betreten, in die Küche zum Alkohol. Ich schenke mir das harte Zeug ein, bevor ich es in einem Zug runterkippe. Meine Freundin und mein Bruder ziehen überrascht eine Augenbraue hoch, doch ich zucke nur mit den Schultern.

„Tess." Caleb mustert mich eingehend. Er scheint eine Entscheidung getroffen zu haben, denn er nickt leicht. „Ok." Er sieht mich mild an. Ich glaube, er merkt, dass ich loslassen möchte. Er spürt, dass ich für eine Nacht einfach vergessen möchte. Irgendwie hatten wir auch schon früher diese Art von Bindung, obwohl wir keine Zwillinge sind.

Nach Moms Diagnose habe ich alles für die Familie getan. Und das hat Caleb mitbekommen. Wahrscheinlich ist das auch der einzige Grund, weshalb er mir den zweiten Becher nicht aus der Hand nimmt.

Er wendet sich an Cora. „Pass auf sie auf." Dann sieht er mich an. „Ich bin auch hier. Wenn etwas passiert, dann komm zu mir." Caleb trinkt einen Schluck seines Wassers, bevor er sich wieder an meine Freundin wendet. „Und du auch, Cora. Ja?"

Doch meine beste Freundin verdreht nur die Augen. „Ja, Mister Ritter."

Caleb schüttelt seufzend den Kopf, doch dabei kann er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ok. Dann bin ich weg. Viel Spaß euch noch." Er gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich aus der Küche entfernt.

Wenig später tritt Miles, ein Bekannter von Cora, auf uns zu. Schon als Cora uns einander vorgestellt hat, hat es bei uns wie von selbst geklickt.

„Tessa." Mit ausgebreiteten Armen bleibt er vor uns stehen.

„Miles. Hey", begrüße ich ihn lächelnd. Cora und Miles sind in letzter Zeit die einzigen mit Caleb, die es schaffen, dass ich zumindest wieder ein bisschen abschalten kann.

Die Musik ist laut und es haben sich bereits einige Leute auf die nicht vorhandene Tanzfläche gewagt.

Miles umarmt mich, aber als ich jemanden ins Wohnzimmer gehen sehe, erstarre ich.

Ich löse mich und sehe Cora an. „Zwölf Uhr."

„Deins oder meins?" Sie nippt an ihrem Becher.

„Meins", flüstere ich.

Cora dreht sich langsam und unauffällig um. Als ihr Blick wieder meinen trifft, sieht sie mich aus großen Augen an. „Was macht der denn hier?"

Ich habe ihr bei unserem täglichen Ritual im Café erzählt, was passiert ist. Sie war außer sich vor Wut, dabei ist es nicht einmal ihr selber passiert. Dafür liebe ich sie noch mehr. Cora ist einfach die beste Freundin, die man sich wünschen kann.

One KissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt