Kapitel 4

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Mein erschöpftes Gesicht spiegelte sich auf der polierten Herdfläche wieder.Seufzend schob ich mir eine widerspenstige Haarsträhne hinter mein Ohr, als ich das letzte Staubkorn entfernte. Jetzt glänzte die Küche wieder wie neu.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon nach neun war. Die Sehnsucht nach meinem Bett wurde immer größer, besonders da mein Kopf sich anfühlte, als hätte man damit neunzig Minuten Fußball gespielt, plus Verlängerung und plus Elfmeterschießen. Collins und mein Onkel waren jedoch immer noch in der Preisverhandlung und das hieß für mich - kein Feierabend.

Ich hatte immer noch ein ungutes Gefühl, aber der Abend war ohne weitere Zwischenfälle verlaufen sodass ich meine Panik beinahe wieder albern fand. Da ich nicht wusste was ich noch tun konnte, ging ich ins Gästebadezimmer und erneuerte die Handtücher und die Seife. Aus dem Wohnbereich hörte ich wie die Stühle zurück geschoben wurden.

„Das hört sich nach einem Deal an. Dann werde ich den Verkäufer über den Preis informieren. Entschuldigen Sie mich kurz."

Collins stand ebenfalls auf. „Nur zu. Ich warte solange."

Ich hörte wie die Bürotür zuschlug und Collins im Wohnzimmer auf und ab ging.Als ich misstrauisch aus der Tür spähte, sah ich wie er leise in sein Handy sprach.

„Code Rot! – Ja, verdammt dunkelrot! - Nein, keine Ahnung. – Wenn ich in der nächsten halben Stunde nicht draußen bin, dann bin ich am Arsch ok? – Wünsch mir Glück."

Während er sein Handy zurück in die Hosentasche schob schaute er sich gehetzt im Raum um. Er ging zu dem Bücherregal neben dem Fernseher und zog eilig mehrere Exemplare raus und durchblätterte die Seiten. Ich wusste doch, dass er irgendetwas vorhatte. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Plötzlich begegnete er meinem Blick und kam mit ernster Miene auf mich zu. Scheiße! Was wollte er von mir? Der Gedanke an die Entführung erhob sich wieder in meinem Kopf. Ich zog mich schnell ins Badezimmer zurück, bemerkte dann jedoch, dass ich in der Falle saß und wollte wieder raus. Doch er stand bereits im Türrahmen und ich wäre fast gegen ihn gelaufen. Unsicher blieb ich stehen und starrte auf seine Schuhe. Durch Elises erneut aufkommende Wut ballten sich meine Hände zu Fäusten und meine Panik ließen sie zittern.

„Hi" sagte Collins.

Ich reagierte nicht und versuchte mich an ihm vorbei zu quetschen. Doch er bewegte seinen muskulösen Körper keinen Millimeter. Als er seine Hände plötzlich um mein Gesicht legte konnte ich gerade noch einen kleinen Aufschrei unterdrücken. Mich hatte noch nie jemand fremdes so vertraut berührt. Allgemein hatte mich seit langer Zeit niemand mehr berührt. Die fast schon vertraute Welle aus dieser seltsamen Wärme und Ruhe überschwemmte meinen Körper und ließ mich sofort wieder entspannen. Ich genoss dieses Gefühl ohne Schmerzen und ohne Elises Echo. Als ich ihm in seine Augen sah erwartete ich wieder den Sog zu spüren aber nichts geschah. Ich sah nur zwei normale, naja fast normale, Augen und zum ersten Mal sein eigentliches Gesicht.

„Ich hole dich hier raus, ok? Halte noch ein bisschen durch."

Seine Stimme brachte mich wieder zum Schaudern. Nur am Rande nahm ich war, was er überhaupt zu mir sagte. Ich war viel zu fasziniert von seinem Anblick.Sein Gesicht war mir so nahe, dass ich einen Geruch von Holz, Erde und Vanille wahrnahm. Sein Kinn war markant, männlich und unrasiert. Zwischen den braunen Stoppeln konnte ich einzelne rote erkennen. Er hatte eine leicht gekrümmte Nase und seine Lippen sahen unglaublich weich aus. Unwillkürlich stellte ich mir vor wie sie mich auf die Wange küssten. Fühlte es sich genauso an wie in diesem Traum? Seine dichten Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen.

„Hast du mich verstanden? Ich hole dich hier raus!" sagte er eindringlich.

Moment Mal! Was? Rausholen? Panik vertrieb diese Ruhe in mir. Oh nein, die Entführung. Er würde es tatsächlich machen - mich wegbringen, zum Senat. Collins sah anscheinend mein Entsetzen, denn er wollte mir mit verwirrter Miene noch etwas sagen. Doch in dem Moment hörte ich aus dem Büro den Telefonhörer knallen.Er ließ abrupt mein Gesicht los und ich rannte in die Küche. Froh von ihm los gekommen zu sein und froh, dass mein Onkel es nicht gesehen hatte. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich an die Tür. Und ich hatte doch tatsächlich gedacht er wäre ein freundlicher Dämon. Mein Onkel hatte wie immer Recht. Keiner würde mich akzeptieren oder beschützen. Ich war nur hier sicher. Sicher und doch Gefangen.

Vor der Tür hörte ich die Stimme meines Onkels.

„Mr. Collins wir müssen uns einmal unterhalten"

Die Stimme verhieß nichts Gutes. Neugierig wie ich war horchte ich an der Tür.

„Was ist passiert?"

„Ich glaube Sie waren nicht ganz ehrlich zu mir." Wusste ich es doch!

„Ach tatsächlich? Und was bewegt Sie zu dieser Annahme, McCurly?"

Mein Onkel gab ein kurzes, hässliches Lachen von sich.„Erstaunlicherweise ist Steven Collins seit gestern Abend als vermisst gemeldet. Wie erklären Sie das?"

Es folgte ein kurzes Schweigen.„Nun ja, das ist offensichtlich ein Fehler. Ich stehe ja genau vor Ihnen." Sein Lachen klang unsicher. So ein Lügner! Gibt doch zu das du mich entführen willst! Plötzlich erklang ein lauter Knall gefolgt von einem dumpfen Aufschlag. Etwas zerschellte am Boden, dann war es wieder still. Da ich aus Erfahrung wusste, dass es jetzt gefährlich wurde, verkroch ich mich hinter der Arbeitstheke.

„Ich mag es nicht sonderlich, wenn man mich verarscht!"Wieder ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Stöhnen.

„Das ist mir aufgefallen." Collins Stimme klang schmerzerfüllt.

Ich verkroch mich tiefer in die Ecke und schloss die Augen und hielt mir die Ohren zu. Ich wollte mir die Geräusche, das Leiden und die Gewalt nicht anhören. Davon gab es schon genug auf dieser Welt.

Als ich klein war hatte mir meine Mutter immer ein Lied vorgesungen. Nur noch ganz dunkel konnte ich mich an ihre Stimme erinnern - voller Liebe und Zuneigung. Egal ob es draußen gewitterte oder ich Bauchschmerzen hatte, bereits nach der ersten Strophe schlief ich ein und vergaß alle meine Sorgen. An den Text konnte ich mit nicht mehr erinnern aber immerhin noch an die Melodie.Leise summte ich sie vor mich hin, versuchte die Geräusche vor der Tür zu vertreiben und mich an damals zu erinnern. An meine Mutter, meinen Vater, ja sogar an meinen Onkel als er noch nicht von diesem Dämon überschattet wurde.

Wie lange ich vor mich hin summte wusste ich nicht. Aber irgendwann wagte ich es durch die Tür zu spähen. Wie erwartet war es ein Chaos. Einige Bilder lagen zerbrochen auf dem Boden und auch drei Vasen mussten dran glauben. Ein Stuhl war zerbrochen und auf dem Marmorboden sah ich einige Blutflecken. Ich war nicht überrascht denn die Dämonen hatten im Gegensatz zu Menschen eine unglaubliche Kraft.

An einem dieser seltenen Tage, an denen ich einige Stunden alleine war, hatte ich, wie fast bei jedem Mal, den großen Plasmafernseher eingeschaltet. Wohl bedacht nicht die Nachrichten einzuschalten. Schließlich war ich bei einem Boxkampf hängen geblieben.Zwei Dämonen standen sich auf einem großen Fußballfeld gegenüber. Zuerst hatte ich gedacht sie würden tatsächlich Fußball spielen doch als der Kampf begann wusste ich warum sie so viel Platz benötigten. Der Dämon mit dem roten Shirt traf seinen Gegner mit dem blauen Shirt mit einem gezielten Faustschlag. Daraufhin flog der Blaue etwa dreißig Meter nach hinten. Schockiert dachte ich er sei tot, doch er stand einfach auf und rannte auf den Roten zu. Die nächsten sechzig Minuten, so lange ging dieser Kampf tatsächlich, flogen die Gegner mehrere Male über das Feld, es brachen Knochen, die blitzartig wieder heilten, es spritze Blut in die Menge, das grölend bejubelt wurde und am Ende hatte der Rote dem Blauen den Kopf abgerissen. 

Also eigentlich hätte ich glücklich sein sollen, dass mein Onkel und Collins nicht das gesamte Haus auseinandergenommen hatten - und dass ich keinen blutenen Kopf wegräumen musste.

Ich warf einen Blick auf die Uhr, kurz vor zehn. Das würde eine kurze Nacht werden. Als ich mit dem aufräumen fertig war und zum zweiten Mal an diesem Tag den schwarzen Boden wischte war mein Onkel immer noch im Keller in seinem Werkzeugraum. Oben hörte man zum Glück nicht viel aber wenn ich gleich zu Bett ging, würden mich die Geräusche im Schlaf begleiten.

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