2. Silbernes Armband

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Je näher ich mir meinem Ziel kam, desto stärker leuchtete meine Armkette. Ich wusste zwar nicht zu was oder zu wem sie mich führen würde, aber durch die vertraute Ausstrahlung konnte es ja nur was positives sein, dachte ich mir. Ich hatte mir die Kapuze hochgezogen um mein immer noch blutverschmiertes Gesicht so gut es geht zu verstecken. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hat mich das Blut von dem armen Mann gestärkt. Das versuchte ich aber noch zu verdrängen. Das Leuchten meiner Armkette wurde immer stärker. Sie führte mich außerhalb der Stadt in ein ländliches Gebiet. Ich ging immer weiter bis ich vor einer etwas heruntergekommenen Fabrik halt machte.

Ich ging leise auf das große Eingangstor zu, da ich schon das Gefühl hatte nicht alleine zu sein. Das Tor war schon einen kleinen Spalt breit auf, es war jedoch zu dunkel um etwas zu erkennen. Mir blieb also keine andere Möglichkeit, als es mehr zu öffnen, sodass die letzten Sonnenstrahlen hineinstrahlen konnten.

Die Halle der Fabrik war geräumig und es standen vereinzelt alte Arbeitsgeräte herum. Ich konnte jedoch meinen Augen nicht trauen, was ich in der Mitte des Raumes sah. Ein Junge in ungefähr meinem Alter saß gefesselt auf einem Holzstuhl. Sein Mund war zugeklebt mit Panzerband und seine Hände waren mit einem Seil hinter dem Stuhl zusammengebunden. Er sah mich verzweifelt an. Instinktiv rannte ich zu ihm und entfernte das Panzerband. „Danke", flüsterte er. „Einige Personen mit schwarzen Kapuzenmänteln haben mich hier festgehalten und wollten mir angeblich helfen. Befrei mich erstmal, ich erzähle dir alles wenn wir in Sicherheit sind". Ich nickte nur, hatte aber auch das Gefühl, dass ich ihm vertrauen konnte.

Als ich das Seil an seinen Händen gelöst hatte, konnte ich sofort seine leuchtende Armkette sehen. Sie sah genauso aus wie meine, seine war jedoch silber. Noch bevor ich ihn was fragen konnte, hörte ich Schritte die sich uns näherten. Und dann sah auch ich sie. Es waren sicher vier oder fünf Personen mit Kapuzenmänteln die zu uns liefen. Ihre Gesichter konnte ich jedoch nicht erkennen. „Lauf!", schrie der Junge und griff nach meiner Hand. Beim rauslaufen der Fabrik konnte ich noch hören wie die Personen uns hinterherschrien. Wir liefen solange in das Tal hinein, bis wir uns sicher waren, dass uns keiner mehr verfolgte.

„Also...", schnaufte ich „Wer bist du? Und was hat es mit der Armkette auf sich?". Es schien als hätte er jetzt erst gesehen, dass unsere beiden Armketten synchron zueinander leuchteten. „Ich habe leider keine Erinnerung mehr an dem was vor der Fabrik passiert ist", antwortete er verlegen. „Als ich aufwachte, war ich schon gefesselt und die Personen meinten zu mir, dass sie mir helfen wollten. Ich habe ihnen anfangs geglaubt, da sie anscheinend wussten, warum ich meine Erinnerung verloren hatte. Als sie mir jedoch eine Flüssigkeit verabreichen wollten und ein Tropfen auf mein Bein gelandet ist, wusste ich, dass sie lügten. Der Tropfen hat sich durch meine Shorts geätzt und mein Bein hat direkt angefangen zu brennen. Da wusste ich, dass es Säure war, was sie mir verabreichen wollten. Meinen Namen weiß ich aber noch, ich bin Jake, schön dich kennenzulernen".

Jake streckte seine Hand aus und ich zögerte etwas bevor ich sie zu schütteln begann. „Ich heiße Stella", brachte ich heraus. Inzwischen ist auch der Mond aufgegangen. Wir hatten uns in einen kleinen Schuppen gesetzt, der anscheinend zu einem kleinen Bauernhof in der nähe gehörte. Zwischen schlafenden Hühnern auf Heu saßen wir zusammengekauert auf dem Boden. Jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Er hatte bestimmt die selben Fragen wie ich. Kannten wir uns vorher? Was war meine Verbindung zu ihm? Leider wusste keiner von uns eine Antwort darauf.

Erst jetzt konnte ich mir Jake mit Hilfe des Mondlichtes genauer anschauen. Er hatte eine ähnliche Shorts wie ich an, seine war jedoch gepflegter, bis auf das Brandloch am rechten Oberschenkel. Sein graues ohne Muster bedrucktes T-shirt war auch anscheinend gebügelt und er machte generell einen gepflegten Eindruck (was man von mir nicht behaupten konnte). Seine Haare waren an den Seiten kürzer geschnitten, aber seine längeren Strähnen fielen ihm durcheinander ins Gesicht. Es sah wenigstens ein bisschen so aus, als hätte der Tag ihm auch zugesetzt. 

Ich war noch zu aufgeregt um zu schlafen, weshalb ich Jake bescheid sagte, dass ich draußen kurz frische Luft schnappen würde. Ich mochte die Nacht, sie hatte etwas beruhigendes an sich bei dem ich mich wohlfühlte. „Hey du.." kam es plötzlich neben mir. Ich zuckte vor Schreck zusammen und wäre aus Reflex schon fast wieder weggerannt. „Oh Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken". Die Stimme gehörte zu einer älteren Dame. Sie trug ein dunkel lilanes Gewand und hatte bis zu den Schultern lange graue Haare. „Alles gut, ich habe nur nicht mit Personen hier gerechnet", antwortete ich höflich. „Ich war gerade auf meinem abendlichen Spaziergang und habe dich und deinen Freund in die Scheune laufen sehen. Ich hoffe doch ihr wollte keine Eier stehlen". Sie musterte mich kritisch. „Nein das nicht, wir sind bloß Wanderer und haben eine Bleibe für die Nacht gesucht" „Ach wenn das so ist, dann kommt doch mit zu mir. Mein Haus ist nicht weit entfernt und ist groß genug um Gäste zu empfangen." „Das ist wirklich großzügig, aber ich möchte das erst mit meinem Partner absprechen".

Ich ging zurück in die Scheune und erzählte Jake von dem Angebot. Er wäre schon fast zwischen zwei Hühnern weggedöst, aber wir entschieden uns trotzdem das Angebot anzunehmen. Auch wenn ich mich schon darauf eingestellt hatte zwischen den ganzen Hühnern zu schlafen, bevorzugte ich noch ein menschlichen Bett. Und so kam es, dass wir der alten Dame nach Hause folgten.

Licht im Schatten der VergessenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt