ꕤ Kapitel 7 ꕤ

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Wer im Hexenhaus sitzt, sollte nicht an den Ziegeln knabbern
Cassia
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Einars Kommentar ging in dem lauten Rauschen unter, das alles unter sich begrub. Ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinunter und sie zitterte.

Sie hatte zugesehen, wie Jerelyn einer ihrer Federn in eine unscheinbare Ritze ganz weit unten in den Stein geschoben hatte. Darauf war das melodische Klingeln eines Windspiels ertönt und wie sich lichtender Nebel erschien eine Holzhütte, deren Dach ungeordnet mit Ziegeln aus Moos bedeckt war und aus deren Schornstein Rauch stieg.

Drinnen hörte man es klappern und schließlich klirren, wobei sie bei dem Klang zusammenzuckte.
„Nichts passiert", ertönte es aus der Hütte und kurze Zeit später wurde die Tür geöffnet.

Cassias Mund stand noch vor Schreck offen.
Sie starrte die junge Frau an, die dort sich immer wieder umblickend im Türrahmen stand. Sie hatte eher mit einer alten Schachtel mit Warzen gerechnet, wie ihre Familie ihr eben Hexen beschrieben hatten.

„Du bist doch selber eine Hexe und nicht alt", lachte ihr Verstand sie aus. Da musste Cassia ihm Recht geben. Da hätte sie aber auch selbst draufkommen können.

Ihr Gegenüber schätzte sie auf Mitte zwanzig und somit um Weniges älter als sie selbst.
Utopa hatte wirres, braunes Haar, das mehr schlecht als recht zu einem Knoten auf ihrem Kopf gebunden war und von einem Pinsel gehalten werden sollte. Doch viele Strähnen hatten sich bereits gelöst und der Pinsel hing ziemlich schief.

Auf ihrem langen, gelben Kleid waren jede Menge Flecken und glänzende Farbkleckse, auf denen grüne Kräuter klebten. Um sich die Hände zu waschen hatte, hatte die Zeit scheinbar nicht gereicht. Auch diese waren voller Farbe.

„Schnell, kommt rein" Sie winkte sie mit der Hand zu sich.
„Einar nicht, aber wir schon", erklärte Jerelyn ihr und flog ins Innere. Sie ließ sich kurz auf Utopas Schulter nieder und murmelte ihr etwas zu, bevor sie endgültig in die Hütte flatterte.

Cassia zögerte. Ihr ganzes Leben wurde ihr eingetrichtert, auf gar keinen Fall einer Hexe zu vertrauen und erst recht nicht, in ihr Haus zu gehen.

Aber ein Teil von ihr wollte auch ins Warme. Und aus der Hütte duftete es verlockend nach Kräutertee und, oh, etwas Verbranntem.
Und roch sie da etwa Schokolade?

Als ihr Vater noch als Händler gearbeitet hatte und sie manchmal zu benachbarten Städten gereist waren, gingen sie am letzten Tag in ein Kaffeehaus und Cassia durfte eine heiße Schokolade trinken.
Wie sehr sie diese Ausflüge geliebt hatte...

Ich kann dem Ganzen ja eine Chance geben.

Was hatte sie auch für eine Wahl?
Lieber tat sie etwas Verbotenes als hier in der Kälte zu erfrieren und Einars schlechter Laune ausgeliefert zu sein.
Sollte ihr allerdings nur irgendeine Kleinigkeit verdächtig vorkommen, würde sie sofort wieder gehen.

Sie war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie gar nicht gemerkt hatte, dass Utopa die ganze Zeit geduldig in der Tür gewartet hatte.
Ihre himmelblauen Augen sahen sie so verständnisvoll an, dass Cassia sich beinahe schämte.

Mit gesenktem Kopf trottete sie auf Utopa zu, die zur Seite trat, um den Weg frei zu geben.
Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter, was Cassia erneut zusammenzucken ließ.
„Hey" Ihre Stimme war warm und weich wie flüssiger Honig. „Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst, um dich mit allem vertraut zu machen."

Cassia errötete noch mehr vor Scham. So freundlich hatte sie abgesehen von ihrer Familie und Ann schon lange niemand mehr behandelt.
Sie hätte nie gedacht, dass Hexen so... menschlich sein konnten.

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