ꕤ Prolog ꕤ

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Blut floss unter ihrem Körper hervor, dessen Glieder unnatürlich verdreht waren. Der Schädel hatte einen gewaltigen Riss und auch aus diesem strömte die rote Flüssigkeit hervor. Ihr weißes Kleid, das im Dunkeln zu leuchten schien, hatte sich voller Blut gesogen und sie glich einem Engel, der vom Himmel herabgestürzt war. Ihre einst so schönen Augen, deren Wälder nur so vor Leben erblühten, starrten ihn glanzlos an. Der Anblick ließ ihn schwanken und seine Knie wurden weich.

Die Schreie, die seinen Lippen entwichen, hallten laut in dem stillen Innenhof wider und antwortete ihm mit einem Chor aus Geheul, das in seine Klage einstimmte. Tränen rannen seine Wangen hinunter und tropften auf ihren toten Körper, neben dem George niedergesunken war.

Es dauerte nur einen Blick bis das Landgut zum Leben erwachte. Lichter wurden angezündet. Laute drangen aus dem Inneren. Bedienstete hetzten auf den Hof. Einige Mägde schrien beim Anblick der Leiche auf. Andere eilten sofort zurück durch die inzwischen weit aufstehende Flügeltür, um den Hausherren über den Vorfall in Kenntnis zu setzen.

Doch das wäre nicht nötig gewesen. Sobald dieser bemerkt hatte, dass seine Gattin nicht bei ihm im Bett war, hatte er sich sogleich auf die Suche nach ihr gemacht. Das Geschrei seines Schwagers und kurze Zeit später das der Mägde hatte ihn in den Innenhof stürmen lassen.

Seine Klage übertönte das Fußgetrampel und Stimmengewirr. Der Schmerz darin durchfuhr George wie ein Blitz. Er konnte sehr gut nachvollziehen, wie hart es William getroffen hatte. Der erste Schock währte nicht lange, denn ein Trommeln aus Schritten und ein heftiges Keuchen kündigte den Earl an. Einen kurzen Moment später sank dieser neben ihm zu Boden und warf sich auf seine Ehefrau, während er ununterbrochen ihren Namen rief.

Doch sie wussten beide, dass sie nicht zurückkommen würde. Nie wieder.

„Oh Gott, warum musstest du mir meine Anne nehmen?"
Niemand wusste eine Antwort darauf, denn wer kannte schon die Wege des Herrn?
Das betroffene Schweigen wurde nur gelegentlich von vereinzelten Schluchzern unterbrochen. Jeder, der nicht um sie trauerte, beging in George Augen Verrat.

Denn die Hausherrin war wahrlich ein Engel gewesen. So sanftmütig und rein. Aufopferungsbereit und barmherzig. Ihre gute Seele war weit über die Grenzen dieses Guts hinaus bekannt gewesen. Nie hatte jemand auch nur ein schlechtes Wort über die Countess verloren. Deshalb würde ihr Tod umso schmerzlicher sein.

Ein Räuspern ertönte und der Hausarzt, auf dessen Brust ein rotes V prangte, ließ sich neben den beiden Herren nieder.
„Was wollen Sie hier?", fuhr William den älteren Mann an, die Augen rot vom Weinen.
Höflich erklärte dieser dem Earl, dass er die genaue Ursache ihres Todes untersuchen wolle. Je eher, desto besser.

Nach einer kurzen Diskussion merkte George an Williams herabgesunkenen Schultern, dass dieser schließlich aufgab.
„Kümmern Sie sich bitte um den Jungen", fügte der Arzt noch etwas leiser hinzu. William nickte langsam und legte anschließend einen Arm um George.

„Ich weiß es ist schwer, George, aber du musst dich später verabschieden." George zögerte im ersten Moment, denn er wollte seine Schwester nicht alleine lassen. Der Earl redete sanft auf ihn ein, bis er nachgab.

Sobald er sich aufgerichtet hatte, rief William, man möge einen warmen Tee für den Jungen zubereiten.
Der Ehemann seiner Schwester, der für ihn wie ein großer Bruder war, geleitete ihn in das Esszimmer, wo sonst immer Gäste empfangen wurden.

Sowie sie den Raum betraten, trug eine Bedienstete eine Kanne Tee, zwei Tassen und Shortbread, die liebste Kekssorte des 16-Jährigen, herein. Sie zwinkerte ihm zu und verschwand wieder.

Hausnummer 2123 (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt