𝐏𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠

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Ich atmete tief durch, als ich den gewaltigen Saal betrat. Er war hell erleuchtet. Die Reihen der Hörer waren gefüllt. Die Seraphim hatten sich versammelt, um zu hören, was ich zu sagen hatte. Mein Blick fiel auf zwei Gestalten in einer anderen Reihe auf einem anderen Podest. Ich knurrte, als ich sie sah. Eine der zwei Gestalten stand auf und riss die Arme in die Luft. »Uriel, meine alte Freundin! Du hast dich gar nicht verändert, immer noch so sexy wie eh und je!«, rief sie.

Ich verzog den Mund. »Hey, Adam...«, begrüßte ich ihn nicht erfreut. Adam, der erste Mann, der damals erschaffen wurde, grinste böse mit seiner hässlichen Maske und setzte sich wieder. Ich wandte mich um zu den Seraphim, die waren im Moment wichtiger als Adam. »Und ich begrüße auch alle anderen hier in diesem Saal. Herzlichen Dank, dass ihr alle heute erschienen seid, um mich anzuhören.« Ich verbeugte mich einmal. Sera, das Oberhaupt der Seraphim, stand auf.

»Wir haben uns heute versammelt, um Uriel, einen der Erzengel anzuhören. Das Thema dieser Verhandlung ist die Idee einer humanitäreren Alternative der Auslöschung in der Hölle«, verkündete sie. Sie nickte mir zu und gab mir damit das Zeichen, dass ich beginnen könne. Dann setzte sie sich.

Ich räusperte mich und begann zu sprechen. »Jedes Jahr fliegt ihr hinab zur Hölle und tötet tausende von Seelen am Tag der Auslöschung. Ihr nennt es Bereinigen der Hölle, ich würde es eher als Völkermord bezeichnen.« Ich hob meine Hand und eine riesige Flamme erschien vor mir, die Bilder vom Tag der Auslöschung zeigte. Adam klatschte erfreut in die Hände.

»Das war einer deiner besten Moves, Lute!« Er gab der Frau neben ihm ein High-five. Sera warf ihm einen drohenden Blick zu, und er schwieg.

»Nur mal ganz kurz nebenbei: Wenn Menschen jemanden umbringen, kommen sie in die Hölle. Wir töten Seelen als Engel und kehren ohne Probleme in den Himmel zurück!«, rief ich. »Es muss doch eine humanitäre Lösung geben, oder? Wir können die Population der Hölle doch auch anders verringern!«

»Und wie soll das gehen?« fragte Adam. »Du kleine Besserwisserin denkst, dass die Auslöschung etwas schlechtes ist, aber überleg doch mal! Den Menschen im Himmel gefällt, was sie sehen! Außerdem haben es die Seelen in der Hölle verdient, dort zu sein. Sie hatten ihre Chance und sie haben sie schlecht genutzt.«

Ich ballte eine Faust, doch zwang mich zur Ruhe. »Das mag vielleicht sein, Adam, aber ich glaube an zweite Chancen. Was wäre, wenn sich Seelen in der Hölle ändern können? Was wäre, wenn wir Sünder rehabilitieren und ihnen die Chance geben, in den Himmel zu kommen?«, schlug ich vor.

Im Saal wurde es laut, allen voraus Adam, der laut schrie: »Das würde niemals funktionieren! Keine Seele ändert sich so stark, dass sie es von der Hölle in den Himmel schaffen könnte!«

»Ruhe!«, rief Sera laut, und der ganze Saal verstummte. Sie wandte sich an mich. »Uriel, komm zum Punkt.« Ich nickte und räusperte mich noch einmal.

»Wir könnten Leute hinabschicken und eine Art Einrichtung schaffen, die Sünder rehabilitiert. Auf diese Weise reduzieren wir die Population der Hölle auf eine humanitäre Art und gewinnen Seelen im Himmel!«, rief ich.

»Aber ich will nicht, dass hier solche schmutzigen Huren rumlaufen!«, keifte Adam. Ich verschränkte die Arme.

»Wenn ihr ein ordentliches Sicherheitssystem habt, dann werden hier auch keine „schmutzigen Huren" sein«, entgegnete ich.

Adam wurde wütend, er sprang auf und flog zu mir hinab. Er kam ganz nah an mein Gesicht heran und flüsterte: »Pass auf, Uriel. Lucifer ist auch gefallen, als er etwas ändern wollte.«

Ich biss mir auf die Unterlippe, dann zischte ich: »Lucifer hat für das Richtige gekämpft. Und genau so kämpfe ich jetzt für das richtige.« Ich wandte mich zurück an alle. »Seelen zu töten ist falsch! Seht ihr das nicht?« Mein Blick fiel auf eine kleinere Seraphim neben Sera. Ich wusste, dass ihr Name Emily war. Ihre Augen leuchteten, als sie hörte, was ich sagte. Ich lächelte, als ich begriff, dass sie von meiner Idee überzeugt war.

»Warum sollte es falsch sein? Sie haben auch Menschen getötet!«, rief Adam und spuckte mir dabei ins Gesicht.

»Wenn sie Menschen töten, ist das falsch, aber wenn wir es tun, ist es das richtige?«, fragte ich ihn mit einem drohenden Unterton. »Wenn es darum geht, müssten wir alle nun in der Hölle sein!«, schrie ich ihn an.

Adam funkelte mich böse an. »Ja, vielleicht solltest du in der Hölle sein«, knurrte er mich an. »Du mit deinen kleinen, dummen Ideen. Warum willst du ändern, wie es ist? Du hast doch gar nichts mit der Hölle zu tun, oder etwa nicht?«

»Ich bin Uriel, der Erzengel von Licht, Frieden und Weisheit! Nie und nimmer werde ich zuschauen, wie ihr ganze Völker ermordet!« Ich merkte, wie die Flamme im Heiligenschein über meinem Kopf heiß wurde.

»Vielleicht wirst du ja von unten zuschauen!«, lachte Adam und grinste böse.

»FICK DICH, ALTER MANN!«, brüllte ich und sprang auf seinen Rücken. Ich nahm ihn in den Schwitzkasten und drückte zu. Adams Maske fiel ab, sein Gesicht färbte sich rot und dann blau. Ich würgte ihn immer fester. Vor meinen Augen war alles rot vor Wut und ich hatte keine Kontrolle über mich.

»GENUG!«, rief Sera. Eine unsichtbare Macht riss mich von Adam und drückte mich zu Boden. Ich schlug so hart auf, dass ich mir die Rippen brach. Ich ächzte und wand mich unter dem Griff. Sera flog hinab und schaute mich an. In ihren Augen war tiefste Traurigkeit.

Hinter ihr schrie Emily. »Lasst sie los! Sie kämpft für etwas gutes!« Sera schnippte mit den Fingern und Emily verdrehte ihre Augen und sackte zusammen. Ich schrie laut, doch ich verstummte, als ich Sera sah.

»Uriel«, sprach sie mit ruhiger Stimme. »Aufgrund deines Verbrechens gegen Adam, den ersten Menschen, wirst du aus dem Himmel verbannt.« Meine Augen füllten sich mit Tränen.

»Nein...«, keuchte ich auf. Ein paar Exorzisten kamen und packten mich an den Armen. Ich warf Sera einen letzten Blick zu. »Das werde ich niemals vergessen, Sera. Wir sehen uns in der Hölle.« Die Exorzisten schliffen mich aus dem Raum. Kurz bevor wir den Saal verließen, sah ich Emily, die aufwachte und mich ansah.

»Ist das Uriel?«, fragte sie. Ich begriff, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte.

Sera flog hinauf und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Ja, das ist sie. Sie ist eine Verbrecherin.«

»Nein, Emily! Nein, ich bin das nicht! Ich kämpfe für das gute! Ich kämpfe für...«, brüllte ich, dann schlossen sich die Türen vor mir. Ich wurde von den Exorzisten zum Eingang des Himmels gezogen. Die ganze Zeit versuchte ich mich zu wehren und zu fliehen, doch die Exorzisten waren stärker als ich. Sie stießen mich hinaus durch das Tor. Saint Peter, der Wächter des Tores, schaute nur zu und schüttelte den Kopf.

Ich fiel auf die Knie und versuchte aufzustehen, doch meine Rippen schmerzten zu sehr. »Bitte«, flehte ich. »Hört mir doch nur zu...« Die Exorzisten lachten. Einer von ihnen zog seinen Speer, der andere packte meine Haare und riss mich herum, sodass ich auf den Knien und Händen vor ihnen hockte. Ein brennender Schmerz glühte in mir auf und ich schrie, als sie meine Flügel abschnitten. Goldenes Blut verteilte sich überall. Die Flamme über meinen Kopf erlosch und der Heiligenschein hörte auf zu glühen. Er fiel herab und war nur noch ein silberner Reifen. Ich griff nach ihm und presste ihn mir an die Brust.

Die Exorzisten lachten immer noch, als sie mich packten und aus dem Himmel warfen. Ich fiel, und fiel. Lange. Der Schmerz machte mich blind und taub. Irgendwann holte mich die Ohnmacht. Ich war ein gefallener Engel.

𝐅𝐚𝐥𝐥𝐞𝐧 𝐀𝐧𝐠𝐞𝐥 [𝘏𝘢𝘻𝘣𝘪𝘯 𝘏𝘰𝘵𝘦𝘭]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt