KAPITEL 46

277 30 11
                                        

XYLA

Der Physiotherapeut lehnt lächelnd über Hunters Körper, während ich summend auf dem Sessel sitze und den Songtext überarbeite. In den letzten sechs Wochen hat sich an seinem Zustand nicht viel verändert. Zwar atmet er mittlerweile selbstständig, aber ist bislang nicht aufgewacht.

Der Therapeut dehnt die Sehnen an seinen Fingern und seine Schulter. Sie war ausgekugelt und seine Gelenke ziemlich steif, was Kegan gut in den Griff bekommen hat. Er ist zufrieden mit dem Fortschritt, auch wenn Hunter es noch nicht aus eigener Kraft schafft. Hunters Nase ist verheilt, die Schwellung nicht mehr zu sehen und die Platzwunden auf seinen Wangen beinahe gänzlich verschwunden. Man sieht nur noch leichte Schatten, wenn man genau hinsieht. Einige Nähte haben sich von selbst aufgelöst und laut Hugh ist es ein gutes Zeichen, wie sein Körper heilt.

Seitdem er von der Intensivstation verlegt worden ist, bin ich beinahe jeden Tag hier. Hin und wieder fahre ich nach Hause oder ins Haus der Remingtons, aber die meiste Zeit verbringe ich in seiner unmittelbaren Nähe. Ich rede mit ihm, erzähle ihm von Howard und seinem Neffen und davon, dass Hudson im Augenblick eine schlagfertige Frau datet, die ihn genauso zur Weißglut bringt, wie Hana.

Seine Schwester hat immer öfter Besuch von Wren, der – wie ich erfahren habe – tatsächlich ihr Chef ist. Die zwei sind wie turtelnde Teenager, aber ihre Sexualität hat mich schon in einige Mal überrumpelt. Vor zwei Tagen bin ich ins Haus gekommen, zudem Everett mir einen Schlüssel gegeben hat, um einige Sachen aus Hunters Zimmer zu holen, da haben sie in der Eingangshalle auf der Treppe Sex gehabt.

Mit hochrotem Kopf bin ich in Hunters Zimmer gestürzt und habe das Haus fluchtartig wieder verlassen. Hana hat sich daran nicht gestört. Sie hat sich fröhlich kichernd von ihm auf den Treppenstufen verwöhnen lassen.

Ich werfe einen Blick auf Hunter, der friedlich die Augen geschlossen hat. Der Pflegebalsam lässt seine Lippen glänzen, weil ich den Anblick der rauen Haut nicht mehr ertragen habe. Ich reibe ihn jeden Tag damit ein, damit seine Lippen so weich und sinnlich werden, wie sie vor dem ganzen Horror gewesen sind.

Als der Beatmungsschlauch entfernt worden ist, habe ich mich an Howard und Hudson geklammert, weil ich das Geräusch kaum ausgehalten habe. Es hat einige Sekunden gedauert, bis Hunter von selbst Luft geholt hat. Hugh wäre beinahe durchgedreht.

Jetzt liegt er in dem breiten Bett und wird von dem Physiotherapeuten bearbeitet. Er bekommt von all dem nichts mit. Die Ärzte sind der Ansicht, dass sein Körper noch Erholung braucht und der deshalb nicht aufwacht. Das künstliche Koma wurde mit dem Absetzen der Schlafmedikamente beendet und jetzt heißt es warten. Hugh sieht jeden Tag nach Hunter, sobald er seine Visite beendet hat. Er versorgt mich mit Essen, Tee und Zeitschriften. Auch jetzt spaziert er ins Zimmer.

»Hey Kegan. Wie macht sich unser Patient?« Er stellt sich mit verschränkten Armen neben das Bett von seinem Bruder und wirft einen knappen Blick auf die Monitore. Sein Herz schlägt. Kräftig, gleichmäßig, ruhig.

»Es wird allmählich. Die Finger sind noch etwas steif, aber das sollte ich in den nächsten Tagen hinbekommen. Zwar wäre es leichter, wenn er mithelfen würde, aber er weigert sich einfach.« Kegan gluckst leise und tritt einen Schritt zurück. Hugh zieht Hunters Augenlid auf, leuchtet mir einer kleinen Lampe hinein und tastet anschließend über seine Nase. Er nickt mit ernster Miene, dann gleiten seine Finger über den Stirnknochen.

»Ich müsste mir, seinen Nacken ansehe. Kannst du ihn kurz hochheben?«, bittet er Kegan. Nickend hievt er Hunters Körper in eine sitzende Position und ich starre ihn schluckend an. Jedes Mal, wenn ich ihn so sehe, wünsche ich mir, dass er die Augen aufmacht. Hugh tastet über die Narbe an seinem Nacken und verzieht unzufrieden den Mund. »Mist«, zischt er und bedeutet Kegan ihn, wieder abzulegen.

Almost Erase YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt