Lucy Gray hatte ihre Tochter noch immer auf dem Arm, als der Bildschirm längst wieder schwarz war und die Bewohner sich in alle Richtungen verteilten, um ihren normalen Tätigkeiten nachzugehen. Coriolanus hatte wie versteinert gewirkt. Er hatte sie gesehen. Sie wusste, was das bedeutete. Maude tippte sie an. ,,Komm lass uns gehen." ,,Wir müssen verschwinden. Jetzt!" Die Panik kochte in ihr hoch. Sie lief mit schnellem Schritt los, ihre Tochter auf ihrem Arm. ,,Mommy, warum läufst du so schnell?" ,,Alles gut, mein Schatz.", sagte sie, obwohl es alles andere außer gut. Maude lief hinter ihr her und hatte Mühe Schritt zu halten. ,,Was ist los?", fragte sie atemlos. Lucy Gray blieb kurz stehen. ,,Er hat mich gesehen. Uns gesehen." Sie wollte wieder loslaufen, als Maude sie am Arm festhielt. ,,Wie kannst du dir so sicher sein? Wir standen weit hinten. Er hat dich nicht gesehen." Lucy Gray beruhigte sich ein wenig und hoffte, dass sie recht behalten sollte. Ihre Hoffnug wurde je zu Nichte gemacht, als hinter Maude die Friedenswächter auftauchten, die Gewehre in ihren Händen. Lucy Gray drehte sich um und auch dort kamen Friedenswächter auf sie zu. Sie kamen aus allen Richtungen. Maude stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Die Friedenswächter kamen immer näher auf sie zu. Es gab keine Lücke, durch die man hätte entkommen können. ,,Lucy Gray Baird?", fragte einer von ihnen mit tiefer donnernder Stimme. Lucy Gray schluckte. Sie hätte niemals zu dieser Veranstaltung gehen sollen. ,,Ja?", fragte sie kleinlaut. ,,Präsident Snow verlangt nach Ihnen. Sie werden aufgefordert uns zum Zug zu begleiten. Der wird Sie ins Kapitol bringen." Sie versteinerte. Präsident Snow...es klang so merkwürdig. Er hatte jetzt tatsächlich jegliche Macht, die Panem hergab. Sie merkte einen Kloß in ihrem Hals. Sie sah zu Maude, die auf einmal kreideweiß war und wirkte, als ob sie jeden Moment ohnmächtig werden würde. Coriolanus würde sie töten lassen...oder elendig im Gefängnis verotten lassen. Sie merkte wie ihr die Tränen in die Augen traten. Sie schluckte, drückte Ivy noch einmal fest an sich und küsste sie auf die Wange. ,,Ich hab dich lieb, mein kleiner Engel.", flüsterte sie ins Ohr ihrer Tochter. Sie sah zu Maude, die verstand was los war. Auch ihr traten die Tränen in die Augen. ,,Pass bitte gut auf sie auf.", sagte Lucy Gray fast tonlos. Maude nickte wie paralysiert und wollte Ivy an sich nehmen, als der Wächter die Hand hob. ,,Das Kind kommt mit. Er verlangt es explizit." In Lucy Gray kochte Panik auf. Er würde sie beide töten lassen. ,,Nein. Nein, das kann er nicht tun." Der Wächter zeigte sich unbeeindruckt. ,,Ich bitte Sie nun mitzukommen." ,,Und wenn ich mich weigere?" Die Wächter hielten die Gewehre fester. ,,Wenn Sie nicht kooperieren, wenden wir Gewalt an. Und ich glaube, das würden Sie dem Kind gerne ersparen." Sie zögerte noch einen Moment bis sie schließlich nickte. ,,Also schön." Sie griff nach Maudes Hand. ,,Wir kommen wieder." Maude versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Beide wussten, dass sie sich nie wieder sahen. Ivy verstand von dem allen zum Glück noch nichts. Sie winkte Maude zum Abschied fröhlich über Lucy Grays Schulter hinweg und rief: ,,Tschüss, Tante Maude. Bis morgen!" Lucy Gray liefen vereinzelte Tränen die Wange runter, als sie die Straßen Distrikt 12s entlang gingen. ,,Weinst du, Mommy?", fragte Ivy, die natürlich genau in diesem Moment in das Gesicht ihrer Mutter sah. ,,Nein. Ich habe nur etwas im Auge.", sagte sie und versuchte dabei ihre Stimme möglichst ruhig zu halten.
Nur wenige Minuten später hatten sie den Bahnhof erreicht, wo der Zug auf sie gewartet hatte. Sie erkannte direkt, welcher sie zum Kapitol bringen würde. Der Zug war schnell und modern, anders als die Züge, die innerhalb des Distriktes fuhren. Diese rosteten, fielen auseinander und man konnte froh sein, wenn sie überhaupt fuhren. Die Friedenswächter begleiteten sie zum Zugeingang, wo sie die Wächter des Kapitols entgegen nahmen. Das Innere des Zuges bestand aus bequemen Sitzen in hellem blau. Mehrere andere Wächter saßen überall im Waggon verteilt. Lucy Gray setzte Ivy auf einen Sitz und setzte sich daneben. Sie legte den Arm um sie. Die Wächter, die sie draußen in Empfang genommen hatten, setzten sich neben sie und ihre Tochter. Der Zug setzte sich ratternd in Bewegung und ließ den alten Bahnhof hinter sich. Lucy Gray war lange nicht mehr Zug gefahren. Das eine mal war sie mit den anderen Tributen auf dem Weg in die Arena gewesen und letzte Mal, als sie zurückgefahren war. Als Einzige. Alle Anderen hatten ihr Leben gelassen. Noch immer hielten sie die Erinnerungen daran manchmal wach. ,,Wo fahren wir hin?", fragte Ivy. ,,Wir verreisen." ,,Oh, wohin denn?", rief sie und sprang fast von ihrem Sitz auf. ,,Ins Kapitol. Weit weg.", antwortete Lucy Gray und sah dabei aus dem Fenster.
Die Fahrt dauerte zwei Tage. Lucy Gray hatte nicht einmal gegessen oder geschlafen. Sie war totmüde und hungrig. Ivy hingegen ließ sich die Köstlichkeiten, die serviert wurden schmecken und schlief nachts seelenruhig. Die Wächter im Zug waren zu ihr überaus freundlich und hielten Ivy bei Laune. Sie brachten sie zum Lachen und spielten mit ihr Fangen und Halma. Als der Zug im Kapitol einfuhr, rutschte Lucy Gray das Herz in die Hose. Sie wurden aus dem Zug geführt und die Straßen des Kapitols entlang begleitet. Sie hielt Ivys Hand ganz fest umklammert. Sie hatte das Kaptiol noch nie gesehen, weder in Real noch auf Bildern. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber sie war enttäuscht. Alles war in grau, nur an manchen Häusern hing die rote Flagge des Kapitols, auf die Lucy Gray am liebsten gespuckt hätte. Die Stadt war so sauber und ordentlich. Die Menschen, die ihr entgegen kamen, waren ordentlich gekleidet. Nach etwa fünf Minuten, blieben sie vor einer Villa stehen. Sie war, anders als der Rest, aus dunklem Stein gebaut. An den Fenstern befanden sich weiße Fensterladen und Blumenkästen mit weißen Rosen. Die Türe öffnete sich und eine junge Frau mit braunen Haaren trat heraus. Lucy Gray schluckte. War er verheiratet? Die Frau war schlicht gekleidet in eine Jeans, ein schwarzes T-Shirt und ein kariertes Hemd. ,,Lucy Gray?", fragte sie. ,,Das ist sie.", sagte einer der Wächter, bevor Lucy Gray die Chance hatte zu antworten. ,,Ich glaube, sie kann für sich selbst sprechen.", sagte die Frau selbstbewusst. ,,Ab hier übernehme ich. Danke." Der Wächter zögerte. ,,Sind Sie sicher?" ,,Ja, bin ich sehr wohl. Geht jetzt." Die Wächter zogen von dannen. Die Frau trat beiseite und öffnete die Türe komplett, dabei lächelte sie freundlich an. ,,Hallo. Es freut mich sehr Sie kennen zu lernen. Ich bin Gilian, die persönliche Assisstentin von Präsident Snow. Herzlich Willkommen im Kapitol.", sagte sie während Lucy Gray zögernd eintrat und Gilian hinter ihr die Tür schloss. Das Foyer war so gut wie leer. Nur ein purpurner Teppich lag auf dem Steinboden. Jedes Wort hallte von den Wänden wieder. ,,Der Präsident erwartet Sie oben in seinem Büro. Würden Sie mir bitte folgen?" Gilian trat zu der Treppe, die in einem Bogen nach oben führte. ,,Habe ich eine Wahl?", fragte sie bissig. Gilian sah sie mit einem mifühlenden Lächeln an. ,,Wenn Sie möchten, frage ich ihn, ob Sie sich noch etwas ausruhen können." ,,Nein. Bringen wir es hinter uns." Sie folgte Gilian die Treppe hoch. An einer weißen Türe blieben sie stehen. ,,Bevor wir eintreten, brauche ich noch eine Haarprobe von der Kleinen." ,,Ist das Ihr Ernst?", rief Lucy Gray entrüstet. ,,Es tut mir Leid, aber leider ja." Lucy Gray seufzte. Sie griff eine blonde Haarlocke von Ivy und zog daran. ,,Au!", rief sie. ,,Tut mir Leid, mein Schatz." Sie reichte sie Gilian, die die Locke in ein Taschentuch legte und wegpackte. ,,Vielen Dank." Sie öffnete die Türe und ein ebenso schlichter Raum kam zum Vorscheinen. Nur ein Tisch, mit Stuhl und ein Sofa waren darin. Gilian ließ sie eintreten und blieb in der Türe stehen. ,,Ich weiß, es ist nicht schön hier. Er wohnt noch nicht allzu lange hier." Lucy Gray nickte. ,,Wohnen Sie hier?" ,,Ja. Auf Bitten des Präsidenten persönlich. Sonst wohnt hier noch seine Cousine. Bitte nehmt Platz auf dem Sofa. Darf ich etwas zu trinken bringen? Wir haben köstliche Limo." Lucy Gray lehnte dankend ab, Ivy hingegen war Feuer und Flamme. ,,Ja Limo!" Gilian lächelte sanft. ,,Was darf es denn sein? Kirsche oder Apfel?" Die Kleine überlegte. ,,Ich kann mich nicht entscheiden!" Gilian tat so als würde sie überlegen. ,,Wie wäre es damit? Ich mische die beiden Sorten einfach." ,,Oh ja!" Sie lächelte fröhlich schloss die Bürotüre. Die beiden setzten sich und nur zwei Minuten später, brachte Gilian zwei Gläser Limo. Ivy liebte die Limo und Lucy Gray war ebenfalls davon sehr angetan. Während des Wartens standen die beiden auf und sahen aus den großen Fenstern, um ich sehe was was du nicht siehst zu spielen. Sie lachten und Lucy Gray vergass kurz ihren Kummer. Doch dann öffnete sich die Türe, es erklangen Schritte und die Türe schloss sich wieder.
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The Anthem of Gemstones and Wood
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