Kapitel 19 - Kleine Botschaften

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Leonie

Am Morgen nach dem Streit mit Diego war Levi noch immer sauer auf mich, sodass wir um halb acht stumm zu meinem Auto liefen, um uns auf den Weg zur Schule zu machen, als mein Blick plötzlich auf die Straße unter der Fahrertür fiel. Da war ein Herz. Ein auf den dunklen Teer gespraytes Herz in den Farben lila, blau und pink. Sofort hämmerte es heftig in meiner Brust, während meine Augen aufgewühlt die Umgebung nach Diego absuchten, doch ich entdeckte ihn nicht. Es kribbelte in meinem Bauch, denn ich wusste, dass konnte nur er gewesen sein.

Aber, wann hatte er das gemacht? Etwa in der Nacht?

Da erkannte ich plötzlich ein weiteres Bildnis. Den Stromkasten, wenige Meter von unserem Wohnhaus entfernt, der am vorherigen Tag noch ganz grau gewesen war, schmückte eine wunderschöne Rose.

,,Mama! Hier ist ein Pokeball!'' Mit großen Augen sah Levi mich an und deutete aufgeregt mit dem Finger auf die Straße hinunter. Neugierig ging ich um meinen Wagen herum und folgte Levi's Hand. Tatsächlich, ein Pokeball.

,,Das war Diego!'', rief Levi aufgeregt. ,,Ich weiß es ganz genau!''

Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.

,,Das glaube ich auch'', sagte ich und griff vorsichtig nach seiner Hand. ,,Wollen wir uns wieder vertragen, mein Schatz?''

Nun lächelte auch Levi.

,,Ja. Aber ... Kannst du dich dann auch wieder mit Diego vertragen?''

Ich nickte.

,,Ja, mein Schatz. Versprochen.''

- - -

Die Tage vergingen rasch und ich war mehr als erfreut, dass Levi nachts nicht mehr schweißgebadet aufwachte, da er nicht mehr von Alpträumen heimgesucht wurde. Wenn er nach der Schule nach Hause kam, verbrachte er die Zeit mit Zeichnen, an seiner Nintendo oder wir spielten gemeinsam Karten, bis es Abendessen gab.

Mir ging es ebenfalls besser. Zwar starrte ich immer noch täglich mit glitzernden Augen mein auf dem Nachtschrank stehendes Hochzeitsfoto an, doch hatte auch ich keine Alp- oder schmerzhaft schönen Träume mehr, die mich immer wieder daran erinnerten, was ich verloren hatte. Vielleicht lag es an meinem wunderschönen Papier-Traumfänger, der faszinierenden Zeichnung von Levi und mir, die Diego mir geschenkt hatte und die nun eingerahmt über meinem Bett hing. Selbstverständlich erinnerten uns stets viele alltägliche Dinge an Benedikt, doch mittlerweile konnten Levi und ich lächeln, wenn wir gemeinsam über ihn sprachen - auch wenn es noch immer ein trauriges Lächeln war.

,,Verträgst du dich jetzt wieder mit Diego?'', fragte Levi aufgeregt, als wir am Freitag Hand in Hand zum Kursraum liefen.

,,Ja, das werde ich'', entgegnete ich mit einem Lächeln.

Kaum hatten wir um kurz nach fünf den Kursraum erreicht, erblickten wir den jungen Kunststudenten an der Tür stehend.

,,Diego! Mama hat gesagt, dass sie sich wieder mit dir vertragen möchte!'', rief mein Sohn lauthals, sodass mir sofort wieder die gewohnte Röte ins Gesicht schoss.

,,Pssst!'', tadelte ich ihn und wäre am liebsten im Erdboden versunken.

,,Ach ja?'', sagte der attraktive Kursleiter mit blitzenden Augen, stieß sich vom Türrahmen ab und kam auf mich zu. ,,Dann kannst du ja morgen mit mir den Tag verbringen, oder?''

Abrupt klappte mir der Mund auf.

,,Ich ... Ehm ... Ich weiß nicht, ob ...''

,,Das ist fies! Ich übernachte doch morgen bei Oma und Opa, aber ich will dabei sein!'', beschwerte sich Levi mürrisch.

,,Aber Padawan, wenn du willst, dass deine Mutter und ich uns besser verstehen, dann müssen wir auch die Zeit haben, uns besser kennenzulernen.''

,,Aber ...''

Diego lachte.

,,Nicht immer 'aber'! Wenn deine Mutter den Tag morgen mit mir nicht ganz so schrecklich findet, können wir ja vielleicht am Sonntag was zu dritt machen.''

,,Ja! Einen Film schauen und Pizza bestellen!''

,,Klingt gut'', sagte Diego und zwinkerte Levi zu.

Überrumpelt sah ich die beiden an.

,,Tut mir leid, aber du bist überstimmt'', meinte der Student mit einem überlegenen Grinsen. ,,Ich hol dich dann morgen ab. Ich sage dir später noch, um wieviel Uhr.''

,,Nein! Du musst es ihr jetzt sagen, weil mich später meine Tante abholt!'', mischte sich Levi wieder ein.

Amüsiert verdrehte ich die Augen. Bei diesen beiden kam ich wirklich nicht zu Wort.

,,Okay. Ich hole dich morgen um 15:00 Uhr ab. Und zieh dir etwas gemütliches an.''

,,Etwas gemütliches?'', fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

,,Ja. Oder sportlich.''

,,Was machen wir denn?'', fragte ich und biss mir nervös auf die Unterlippe.

,,Das bleibt ein Geheimnis'', sagte Diego, zwinkerte schelmisch und deutete Levi mit einer Kopfbewegung an, den Kursraum zu betreten.

,,Bis morgen'', sagte der Kursleiter lächelnd.

,,Bis morgen'', wisperte ich.

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