• 6: Schicksal •

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H E A T H E R

Da war sie. Schon wieder. Nicht im Club, nicht in der Schule, diesmal hier im Park mit einer Zigarette im Mund und sprach von Schicksal. Unsere Aufeinandertreffen waren bisher nur Zufälle, oder eben Schicksal, wie Estelle es nannte.

   »Schicksal. Ja, klar«, brachte ich lachend hervor. Estelle ging in die Hocke, um Candy zu streicheln. Mein kleiner, niedlicher Zwergspitz. Sie wurde mir vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt und begleitet mich seitdem durch mein Leben.

Immer schon wollte ich ein Haustier haben und keines passte besser zu mir, als die kleine Hündin Candy. Ihre Zigarette brannte hinunter, während Estelle unten hockte und sie nur im Mund behielt, um beide Hände frei zu haben.

   »Es ist wohl wahr, dass Hunde ihren Besitzern ähneln«, meinte sie und wuschelte Candy durch das weiche Fell, die sich auf den Rücken gelegt hatte und begann sich am Boden zu wälzen.
   »Mach dich doch nicht dreckig, Candy!« Ich ging ebenfalls wieder in die Hocke und versuchte meine Hündin davon abzuhalten, aber es war zu spät.

Estelle lachte nur und unsere Blicke trafen sich. »Candy?«
   »Ja, weil sie so zuckersüß ist, wie Süßigkeiten«, gab ich als Antwort und Erklärung. Sie sah auf Candy, deren Augen wie Schlitze waren, weil sie die Streicheleinheiten so genoss.

   »Sie scheint mich zu mögen. Das tun nicht viele.« Ich erhob mich wieder. Ihre Aussage traf mich. Mir tat es Leid und ich war nicht sicher, ob ich nachfragen sollte.

Ich war kurz davor, aber sie war schneller, nachdem sie ihre Zigarette auf den Boden geworfen und zertreten hatte. »Früher habe ich mir immer eine schwarze Katze namens Shadow gewünscht.« Sie kam nun auch wieder rauf. »Leider hasst meine Mom Katzen und hat, glaube ich, generell etwas gegen Haustiere.«

Es war etwas überraschend für mich, dass sie mir diese Dinge über sich preisgab. Dabei war es nichts ergreifendes, nichts total persönliches. Es war nur ein Kindheitswunsch, von dem sie mir erzählte, aber dass sie es mir erzählte, bedeutete mir seltsamerweise etwas.

   »Wohnst du etwa hier in der Nähe?«, fragte sie mich dann. Ich nickte rasch. »Da irgendwo um die Ecke.« Ich machte eine Kopfbewegung, um hinter mir ungefähr zu deuten, wo.
   »Seltsam, dass wir uns vorher noch nicht begegnet sind. Ich wohne in die andere Richtung ein paar Straßen weiter.«
   »Naja, vielleicht sollte es so sein. Vielleicht hat das Schicksal es so entschieden, wie es entschieden hat, dass wir uns jetzt ständig begegnen.«

Estelle verengte die Augen und überschlug die Arme vor ihrem schlanken Körper. Die Ironie in meiner Stimme hatte sie auf jeden Fall erkannt. »Du glaubst nicht an Schicksal, habe ich Recht?« Sie grinste und ich schüttelte den Kopf. »Wie auch immer. Wie kommt es, dass du freiwillig an eine so weit entfernte Schule gehst?«, war ihre nächste Frage.

Stimmt. Sie musste es schwer gehabt haben, nach ihrem Schulverweis eine neue Schule zu finden, aber meine war immer offen für neue Schüler, egal wie oft jemand geflogen ist. Ich glaube, der Rektor sah immer alles relativ optimistisch und erhoffte sich von Schülern wie ihr, dass sie aus ihren Fehlern lernten.

   »Meine Eltern waren früher dort und ihnen war es wichtig, dass meine Schwester und ich die gleiche besuchen werden«, erklärte ich und ein Fragezeichen bildete sich in ihrem Gesicht. »Schwester?«
   »Ja, ich habe eine kleine Schwester. Holly. Sie ist fünf Jahre alt.«

Holly war ein echtes Wunderkind. Sie ist mit einem Herzfehler geboren und wäre bei der Geburt beinahe gestorben. Ich weiß noch genau, wie es für mich war. Ich war elf Jahre alt mit einer riesigen Vorfreude auf meine kleine Schwester.

Als Dad mir erzählte, dass Holly durch mehrere Operationen musste und nicht sicher ist, ob sie alle überleben wird, erfuhr ich die größte Angst in meinem gesamten Leben und ich bin mir sicher, diese Angst kann niemals von einer anderen übertroffen werden. Noch heute bereitete es mir eine widerliche Gänsehaut, wenn ich an diese Zeiten dachte.

Wenn es so etwas wie Schicksal wirklich gab, könnte das damals Schicksal gewesen sein? Dass sie alles überlebte und heute so normal, wie es eben ging, leben konnte? Möglicherweise. Vielleicht gab es Schicksal. Vielleicht sollte ich anfangen, an Schicksal zu glauben.

   »Du kannst übrigens ins Schwimmteam. Du musst nur damit zurechtkommen, dass du neben den anderen wahrscheinlich ganz schön bescheuert aussehen wirst«, teilte ich ihr mit und grinste daraufhin, nur um sie zu ärgern.

   »Entschuldigung? Was soll denn bitte das heißen?« Sie tat verärgert, aber lachte dann. »Kein Problem für mich. Ich bin schließlich Expertin darin, negative Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.« Sie lächelte, aber dass das pure Wahrheit war, ließ es irgendwie traurig wirken. Obwohl es schien, als würde sie super mit alle dem klar kommen, als würde es sie nicht interessieren. Und das bewunderte ich so sehr an ihr.

   »He! Wenn es sowieso unser Schicksal ist, ständig aufeinanderzutreffen und wir jetzt zusammen trainieren…«, setzte ich an und öffnete die kleine, beige Umhängetasche aus Kunstleder, die ich bei mir trug und holte mein Handy hervor.

Als sie verstand, leuchteten ihre Augen auf. »Wie es aussieht, mache ich auf dich einen gar nicht so schlechten Eindruck.« Sie nahm mein Handy, das ich ihr entgegenhielt, tippte ihre Nummer ein und gab es mir zurück. 
   »Nein. Machst du nicht. Bisher finde ich dich sogar ziemlich cool«, gestand ich und hob dann den Finger. »Bisher

Sie hob die Handflächen, deren Fingernägel schwarz lackiert waren. An ihren Fingern waren dicke, silberne Ringe in verschiedenen Formen. Einer sah aus wie eine Schlange. Auch an ihren Handgelenken hingen verschiedene Armbänder.

Wie sehr mir ihr Lächeln gefiel. Durch den dunklen Lippenstift sah es ganz anders aus, als jedes andere. Ihr Lächeln war anders als jedes andere und es war wunderschön. Sie ließ ihre Hände wieder sinken.

   »Ich muss dann auch wieder zurück. Die süße Zuckerwatte hier auf dem Boden, muss dringend ein Bad nehmen«, sagte ich und bückte mich zu ihr, um die Leine wieder zu befestigen. »Bis morgen, Estelle.« Ihren Namen betonte ich extra.

   »Bis morgen, Heather.« Sie sagte es in der gleichen Tonlage wie ich und ich spürte ein seltsames Kribbeln in meiner Magengegend. Mein Name klang seltsam schön aus ihrem Mund.

An der Leine führte ich Candy über die Straßen. Der Himmel wurde langsam dunkler und die Sonne war fast hinter dem Horizont verschwunden. Hinter den Häusern konnte man sehen, wie sie in rot-orangen Farbtönen strahlte. Ich musste ein Foto davon machen. Nein. Gleich sieben.

Als ich Zuhause angekommen war, folgte Candy mir in mein Zimmer und legte sich in ihr Hundekörbchen. Natürlich war es noch längst nicht wieder nötig, sie unters Wasser zu halten. Zumal die Arme es nicht besonders leiden konnte, gewaschen zu werden.

Die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich und Mom stand im Rahmen. »Na? Du warst etwas länger weg als sonst«, fiel ihr auf. Ich nickte. »Ja, ich habe eine Freundin getroffen.« Wir kannten uns nicht lange und schon nannte ich sie eine Freundin in der Gegenwart meiner Eltern.

   »Freundin?«, halte Mom nach und kam zu mir. Sie setzt sich neben mich auf mein Bett. Ich nickte wieder. »Eigentlich ist sie neu. Heute dazugekommen. Aber sie ist echt cool. Sie wird mit ins Schwimmteam kommen.«
   »Das klingt gut. Vielleicht kannst du sie mal zum Essen einladen?«

Meine Augen waren auf Mom gerichtet und ich sagte nichts. Ich war nicht sicher, ob Mom und Dad es genauso sehen würden wie ich. Wahrscheinlich nicht. Sie achteten darauf, dass meine Freunde zu mir passten. Sie sollten so wissbegierig und verantwortungsvoll sein wie ich. Leider musste ich bezweifeln, dass sie Estelle mögen würden.

   »Ja, bestimmt.« Ich lächelte. Mom lächelte ebenfalls und stand dann auf, bevor sie mein Zimmer verlassen wollte. »Wie war das Training überhaupt?«, fragte sie dann und drehte sich noch einmal zu mir.

   »Gut. Wir haben ein paar Fortschritte gemacht. Ich habe noch alleine trainiert, bevor es losging.« Sie lächelte zufrieden. Genau das war, was sie hören wollte.

The touch of an angel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt