- E S T E L L E -
Wenn man mich fragt, war meine Mutter zu begeistert von Heather. Bevor sie zu Besuch kam, war sie skeptischer als je zuvor, weil sie eben erst die zweite Person war, die ich nach KG ihr vorgestellt habe. Wahrscheinlich erwartete sie trotz meiner Versprechen, dass Heather ebenfalls eine solche Person war, wie ich oder mein bester Freund.
Jetzt war das Problem, dass meine Mutter Angst hat, ich könnte Heather mit in meinen Unfug hineinziehen. Genau so hatte sie es formuliert. Das waren aber ganz bestimmt nicht meine Absichten. Im Gegenteil. Heather sollte nur das tun, was sie will und ich würde jedem, den ich kennenlerne, davon abraten, das Rauchen zu beginnen.
Leute wie Heather mieden mich sonst. Aus diesem Grund war ich überrascht, dass sie es nicht tat und mich sogar irgendwie interessant fand. Dafür war ich unfassbar dankbar. Ich fühlte mich nicht, als würde ich ihre Freundschaft, geschweige denn ihre Aufmerksamkeit verdienen. Vielleicht lag es daran, dass ich das einfach nicht gewohnt war.
Es klingelte an unserer Tür und ich sprang vom Bett auf, um ans Fenster zu gehen. Draußen stand ein mir bekanntes Auto. Ich warf den Kopf in den Nacken und stöhnte genervt auf.
Das Auto gehörte meiner Großmutter, mit der ich ein noch schlechtes Verhältnis hatte, als zu meiner Mutter. Und da hörte ich sie auch schon meinen Namen rufen.
»Ich komme gleich!« Eilig tauschte ich meine Jogginghose mit meiner kurzen Hosen ein und das einfarbige Oberteil mit meinem “Rolling Stones”-Shirt, das ich halb in die Hose steckte. Aber ich konnte mich anziehen, wie ich wollte, meine Großmutter hackte sowieso auf mir herum.
Dass sie an diesem eigentlich ruhigen Sonntag herkam, hat man mir nicht erzählt. Warum auch? Sie war die einzige Person, die neben meiner Mutter noch aus meiner Familie existierte.
Schnell eilte ich die Treppen hinunter und entdeckte auch schon meine Großmutter auf der Couch. Wie sie das eine Bein über das andere geschlagen hatte und mit ihrem streng gebundenen Dutt aus grauen Haaren auf ihren schwarzen Kaffee wartete, so wie jedes Mal.
»Hallo, Grandma«, begrüßte ich sie und versuchte so nett wie möglich zu sein. Ich lächelte sogar, das wahrscheinlich falscheste Lächeln, das ich aufstellen konnte.
»Hallo, Estelle«, sagte sie und verzog keine Miene, während sie mich betrachtete. Nur ihr typischer kritisierender Blick, der mich manchmal sogar in meinen Träumen verfolgte. Die schlimmsten Albträume, die Estelle Graham haben konnte.
»Wie siehst du wieder aus.« Auf diesen Satz habe ich doch nur gewartet. Es war immer das erste, was sie nach ihrer Begrüßung sagte. Jedes. Beschissene. Mal. »Sag doch mal. Wie läuft es mit dem Nachbarsjungen?«
»Wir sind nicht zusammen, wenn du das meinst. Und das werden wir auch niemals sein.«Sie schüttelte den Kopf. »In deinem Alter hatte deine Mutter schon mindestens sieben Exfreunde hinter sich.«
»Das ist übertrieben«, mischte sich Mom ein. Sie war mit einem Kaffee aus der Küche zurückgekommen und stellte ihn vor meiner Großmutter ab, bevor sie sich auf den alten Sessel setzte.Was interessierte mich, was für ein Playgirl meine Mutter früher war? Ich wollte mir weder ein Beispiel an ihr nehmen, noch Typen daten wie die, die sie damals hatte. Ich wollte niemals irgendeinen Typen daten. Aber das sollte ich vorerst lieber für mich behalten.
»Ich bin nicht Mom. Und ich werde es auch nie sein.«
»Ist wahrscheinlich auch besser so. Wie du weißt, hat sie immer die falschen Männer abbekommen.« Sie nippte an ihrem dampfenden Kaffee. »Hauptsache du wirst auch nicht wie dein Vater. Er war nämlich unerträglich. Es reicht schon, dass du ihm mehr ähnlich siehst, als deiner Mutter.«Wie ich es hasste, wenn sie meinen Vater ansprach. Wie ich es hasste, mit ihm verglichen zu werden. Mir war bewusst, dass ich aussah, wie er. Ich habe schließlich Bilder gesehen und von meiner Mutter hatte ich wohl wirklich gar nichts.
»Bin gleich wieder da«, versprach ich und ging die Treppen hinauf zurück zu meinem Zimmer, wo ich nach meinem Handy griff. Ich scrollte zu KGs Chat und schrieb.
Estelle: HILFE!
Estelle: Meine Großmutter ist hier.
KG: Ich glaube, ich kann dir nicht helfen. Du könntest gerne heute zu mir kommen, falls deine Mutter dich gehen lässt.
Mein Handy schob ich in die hintere Tasche meiner Hose und ich machte mich wieder auf dem Weg nach unten. Doch ich blieb abrupt wieder stehen, als ich meinen Namen hörte.
»Estelle ist noch ein Teenager. Sie hätte das mit ihren Tattoos und Piercings gar nicht allein entscheiden dürfen. Du musst doch mal etwas tun«, beschwerte sich meine Großmutter.
»Glaubst du etwa, ich hätte nicht alles versucht? Ich halte genauso wenig wie du von allem, was sie tut. An Hausarrest hält sie sich auch nicht und es gibt absolut nichts, das sie von ihrem Fehlverhalten abhalten könnte.«Ernsthaft!? Sie stritten sich wegen mir. Mal wieder. Das passierte so gut wie jedes Mal, wenn Grandma uns besuchen kam. Die beiden waren sich zu ähnlich. Kaum zu glauben, dass ich ebenfalls eine Graham war.
»Fehlverhalten ist bei ihr noch untertrieben. Wie oft ist sie nun schon von der Schule geflogen? Das ist einfach nur fremdschämend! Sie wird wie ihr Vater. Sie ist es schon! Unverschämt und tut alles, um ihren Körper zu ruinieren. Mit Tinte und Nikotin. Das ist widerlich. Sie ist eine Schande für unsere Familie! Und sie trägt auch noch meinen verdammten Namen, als ihren Zweiten. Eine Schande.«
Dann platzte mir der Kragen. »Denkst du, ich bin dankbar für meinen beschissenen Zweitnamen? Ich verabscheue ihn, so wie ich dich verabscheue. Gut, ich bin eine Schande für dich. Mir ist es aber scheiß egal. Weil du mir scheiß egal bist. Tut mir wirklich leid für dich, wenn dir in deiner Kindheit alles verboten wurde und du eine armselige Jugend hattest, aber ich werde meine Zeit nicht verschwenden und sie so nutzen, wie ich es für sinnvoll halte.« Dann wandte ich mich auch an Mom. »Es ist so traurig, dass du die billige Kopie deiner eigenen Mutter spielen musst.«
In diesem Moment bereute ich kein einziges Wort, das ich den beiden an den Kopf geworfen hatte. Die Haustür fiel hinter mir ins Schloss und ich machte mich schnellstens auf den Weg zu KG.
Doch als ich am Park vorbeiging fiel mir ein weißer Zwergspitz auf, den ich zufälligerweise schon einmal gesehen hatte. Heather hatte ihre langen, blonden Haare mit einer Klammer hochgesteckt und in ihrer Hand hielt sie die Leine.
»Also langsam musst du doch an Schicksal glauben, so oft wie wir uns begegnen«, sagte ich und da drehte sie sich auch schon um.
»Sehr komisch, dass es wieder passiert«, sagte sie.
»Hm, vielleicht sollte ich gestehen, dass ich absichtlich hier langgelaufen bin. Eigentlich muss ich in die komplett andere Richtung, um zu KG zu kommen. Ich dachte mir heute nur, ich mache eine etwas größere Runde, in der Hoffnung auf meine neue Freundin zu stoßen.«Lachend schüttelte sie den Kopf. »Dein Plan hat funktioniert. Candy und ich machen gerade einen kleinen Nachmittagsspaziergang.«
Erstaunlich, wie schnell sie meine Laune wieder in die Höhe katapultiert hatte. Aber es war, als würde sie ein Licht ausstrahlen, selbst an den dunkelsten Orten. Das Licht, das man in einer dunklen Stimmung brauchte.
»Meine Großmutter ist gerade da und ich hasse sie. Wortwörtlich. Sie ist grauenvoll. Sie hat meiner Mutter gerade mehr als deutlich gemacht, was für eine schreckliche Tochter sie zur Welt gebracht hat«, erzählte ich ihr.
Ihre Augen hatten sich geweitet. »Oh, wow. Das klingt ziemlich hart.«
»Eigentlich hat sie nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie mich nicht leiden kann. Es ist immer am besten, wenn das auf Gegenseitigkeit beruht.« Ich glaube, dass es mich nicht interessierte, war mehr als erkennbar in meiner Erzählweise.Ich blickte in ihre schimmernden Augen und konnte nicht anders, als zu lächeln. »Naja. Man sich morgen. War schön, dich hier rein zufällig wieder getroffen zu haben, Heather.«
Mit einem Lächeln war ich dann wirklich zu KG gegangen. Meine Gedanken waren aber bei Heather. Das Mädchen, mit einer Ausstrahlung, wie die eines Engels, für die ich so dankbar war, jetzt in meinem Leben zu haben.
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The touch of an angel
RomanceSie wahrt ihren Heiligenschein, Sie lässt sich nicht ihre Freiheit nehmen. - Obwohl sie das komplette Gegenteil voneinander zu sein scheinen, bleiben sich Estelle und Heather nach ihrem ersten Aufeinandertreffen sofort im Kopf hängen. Während es für...