• 8: Angefreundet •

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- H E A T H E R -

Sie kennenzulernen fühlte sich an wie etwas ganz besonderes. Etwas, das ich in meinem Leben brauchte und mich wirklich glücklich machte. Ich glaube, dass ich mich auch irgendwie glücklich schätzen konnte. Sie schien mich auf eine Weise zu verstehen, wie ich mich nicht einmal selbst verstand.

Ein Arm legte sich um meine Schulter und ich wurde augenblicklich zurück in die Wirklichkeit geholt. »Hey, Schatz«, sagte Dave und gab mir einen leichten Kuss auf den Mund. Hinter ihm tauchte auch Trisha auf. »Macht mich nicht noch mehr neidisch, ja?«

Eigentlich stand meine beste Freundin schon ewig auf jemanden in ihrem Biologiekurs, aber sie war viel zu schüchtern, um ihn anzusprechen. 
   »Sag einfach gar nichts«, kam von ihr, als ich sie wieder mit dem Tja-wenn-du-ihn-ansprechen-würdest-Blick ansah.

Die beiden hatte ich zum Abendessen bei mir Zuhause eingeladen. Meine Eltern freuten sich sowieso immer auf ihren Besuch und auch Holly hatte die beiden gern. Sie vergnügte sich vor allem dann mit Trisha, die sie irgendwann zu ihrer Drittbesten-Freundin gemacht hatte.

   »Trisha«, schrie Holly, als wir in das Haus getreten sind und sie meine beste Freundin entdeckt hatte. Holly sprang vom Sofa auf, um Trisha in die Arme zu fallen, die extra schon in die Hocke gegangen war.

   »He, kriege ich wenigstens ein Highfive?«, fragte Dave und Holly steckte ihm frech die Zunge raus, bevor sie sich von Trisha löste und lachend seinen Wunsch erfüllte.

Mom kochte das Abendessen bereits. Ich nahm Besteck und Teller aus den Schränken und deckte den Tisch. Dave half mir dabei, während Trisha verhindert war.

   »Bleibt ihr über Nacht?«, fragte Mom an Dave gerichtet, der den Kopf schüttelte. »Ich nicht und ich glaube Trisha und ihre Familie haben morgen früh was vor.«
   »Sie gehen wandern und sie kann es sicher kaum erwarten«, sagte ich und grinste zu Trisha, die die Augen rollte.

Dave warf mir einen belustigten Blick zu. »Ärgere deine zweite Schwester nicht so.«
   »Zweite Schwester!?«, kam es daraufhin von Holly. »Ja, dann bist du auch meine zweite Schwester.« Sie zerdrückte Trisha beinahe.

   »Und welche Schwester hast du dann lieber?«, fragte ich sie und setzte mich neben sie und Trisha auf die Couch.
   »Das kann ich doch dann nicht entscheiden! Das ist ja so, als müsste ich mich zwischen Mom und Dad entscheiden. Das ist unmöglich. Ich hab euch alle gleich doll lieb!«

Das war eine Sache, die mich beruhigte. »Na, das hoffe ich für dich.« Ich grinste meine Schwester an, die mit ihren dicken Wangen und den Sommersprossen so zuckersüß aussah, dass man ihr wirklich nie, was sie auch jemals tat, böse sein konnte.

   »Wann bringst du eigentlich mal deine neue Freundin mit?«, fragte mich plötzlich Dad, der bis zu dem Zeitpunkt hinter der Zeitung versteckt war.

Dave gesellte sich dazu und runzelte die Stirn. »Du hast eine neue Freundin?« Diese Frage kam von Dave und Trisha wie aus einem Munde geschossen. Ich schluckte, als ich daran dachte, wie die beiden über Estelle sprachen.

   »Ja, sie hat von der neuen Mitschülerin erzählt«, sagte dann Mom. »Hast du den beiden nichts erzählt?«
   »Doch, klar hat sie. Wir hatten mit der Neuen bloß noch nicht viel zu tun«, log Trisha, aber sah mich dabei so durchdringlich an, dass ich mich schlecht fühlte.

Sie gab uns ein Zeichen, womit sie zeigen wollte, dass Dave und ich ans Handy gehen sollten. In unserem Gruppenchat kam ihre Nachricht an.

Trisha: Du hast dich mit diesem Punk-Mädchen angefreundet!?

Ich: Ihr Name ist Estelle.

Trisha: Wie auch immer. Sie ist seit gestern an unserer Schule! Wann ist das denn passiert?

Als ich vom Handy aufsah, hatte sie die Augenbrauen in die Höhe gerissen und ihre Kinnlade war heruntergefallen. Dann widmete sie sich wieder ihrem Handy und begann zu tippen.

Trisha: Sorry, ich will sie auch gar nicht verurteilen und schon gar nicht dich. Ich weiß nur nicht, ob sie der beste Umgang für dich ist und ich glaube, deine Eltern werden das noch viel mehr so sehen.

Dave: Das denke ich auch.

Ich: Ihr kennt sie nicht. Sie ist nicht so schlimm, wie ihr denkt, nur weil sie sich so gibt, wie sie will.

Dave: Ach und du kennst sie?

Ich: Das wollte ich damit gar nicht sagen. Bitte lasst es einfach gut sein. Ich weiß, was ich tue.

Dave: Daran zweifle ich gar nicht, Babe.

Trisha: Du sollst nur wissen, dass du uns nichts verschweigen brauchst. Vor allem nicht mir, ich bin deine beste Freundin.

Wir lächelten einander an und dann rief Mom auch schon zum Abendessen. Doch ich bekam eine Nachricht rein, die ich noch schnell checkte. Sie war von Estelle.

Estelle: Hast du Lust, morgen vorbeizukommen? Meine Mutter will dich unbedingt kennenlernen. Sie muss wissen, ob du wirklich so bodenständig bist, wie sie es haben will.

Estelle: Ich würde mich übrigens auch sehr freuen.

Ich musste lächeln und tippte eine Antwort. Ich sagte zu, auch wenn es mich etwas nervös machte, ihre Mutter kennenzulernen, mit der sie scheinbar eigene Probleme hatte, was sie anbelangte.

• • •

Estelle hat mir noch ihre Adresse geschickt, die, wie wir ja herausgefunden hatten, nicht weit von meiner entfernt lag. Ich konnte ganz einfach zu Fuß gehen.

Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet und geklingelt habe, dauerte es gar nicht lang, bis sie die Tür öffnete. Auf ihrem Gesicht bildete sich ein Grinsen. »Hast du dich etwa extra hübsch gemacht?«

   »Ich sehe aus wie immer«, sagte ich und ging an ihr vorbei durch die Tür.
  »Stimmt. Du siehst nämlich immer hübsch aus.« Es war, als würde mein Herz einen Moment aussetzen. Mit Komplimenten solcher Art konnte ich wohl absolut nicht umgehen. Konnte ich noch nie.

Estelle sah anders aus als sonst. Sie war ungeschminkt und trug eine normale schwarze Jogginghose und ein graues, ausgewaschenes T-Shirt.

   »Tut mir Leid. Ich hätte mich wahrscheinlich etwas besser anziehen können.« Sie blickte an sich hinab. »Darf ich vorstellen? Mein super bequemer Wochenend-Look.«

Ich schmunzelte. »Sieht definitiv sehr bequem aus. Ich finde, das steht dir mindestens genauso gut, wie dein Punkt-Stil.«
   »Danke. Ich kann an einem Finger abzählen, wie viele Personen mir das schon gesagt haben. Dann kann ich wohl ab jetzt einen zweiten dazu nehmen.«

Meine Augen verengten sich, als ich Estelle weiter ansah und plötzlich musste ich sie mir in Kleidern vorstellen. »Ich würde dich zu gerne mal in einem Kleid sehen.« Sie stieß ein Lachen aus und schüttelte den Kopf. »Oh nein. Glaub mir, das willst du ganz bestimmt nicht.«

Schritte waren zu hören und eine Frau mit blond gefärbten Haaren kam die Treppe hinunter. Ich drehte mich gleich zu ihr. Mein ganzer Körper schien sich anzuspannen, aber ich lächelte. »Hallo, Miss Graham. Ich bin Heather.«

Als ich sie ansah, konnte ich kaum eine Ähnlichkeit zu Estelle erkennen, nur ein klein wenig. Sie sah überrascht aus, als sie mich begann zu mustern. Erst nach ein paar Sekunden schüttelte sie lächelnd meine Hand. »Es freut mich, dich kennenzulernen, Heather.«

The touch of an angel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt