• 7: Freiheit •

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E S T E L L E

Der Engel strahlte überall, wo er sich hin begab. Überall wo Heather war, war es, als würde sie leuchten. Als würde der Heiligenschein über ihrem Kopf schweben und sie immer begleiten, egal wohin sie nur ging.

In ihrer Schule war das nicht anders. Obwohl sie nicht viele Freunde zu haben schien, nur die braunhaarige Schülersprecherin und ihren Freund, hatte sie sonst nur ein paar wenige, mit denen sie mal ein kurzes Gespräch führte.

Wenn sie in meiner Nähe war, konnte ich meine Augen nicht kontrollieren. Ich konnte meine Augen nicht von ihr nehmen, weil sie auf eine ganz andere Art und Weise aus der Menge herausstach. Das hatte sie schon im Club geschafft.

Sie lächelte und winkte mir zu, wenn sich unsere Blicke trafen, ganz gleich, ob ihre Freunde dabei waren. Ich sah sie, wie sie sich von dieser Trisha und diesem Dave verabschiedete. Oh Gott, wie mich allein sein Name aufregte.

Heather lief in Richtung Schwimmhalle und schnell eilte ich ihr hinterher. »Gehst du wieder trainieren?«, fragte ich sie.
»Jap! Was muss, das muss«, sagte sie und ich riss skeptisch die Augenbrauen in die Höhe. So sollte sie nicht denken, aber sie tat es. Genau diesen Gedanken hatte ich früher auch viel zu oft. Eigentlich ununterbrochen, weil ich alles richtig machen wollte.

»Ich mache dir einen Vorschlag, Heather. Wir unterhalten uns ein wenig und dann kannst du gerne trainieren. Eine Sportart oder ein Hobby sollte Spaß machen und nicht erzwungen werden.« Ich wollte sie kennenlernen. Ich wollte mit ihr befreundet sein. Ich wollte, dass sie sich bewusst wurde, was sie wirklich will.

Sie hat zugestimmt und wir saßen auf dem nackten Fliesenboden, an der nackten Fliesenwand. Ich freute mich, dass sie sich offenbar so fühlte wie ich. Sie war offen und freundlich, was ich so sehr an ihr schätzte. Das waren wahrscheinlich die meisten an dieser Schule und genau aus diesem Grund passte vor allem sie perfekt dahin. Aber sie wirkte zu perfekt. Dabei gab es doch perfekt gar nicht. Nicht in dieser kaputten Welt.

»Fühlst du dich nicht manchmal gefangen?« Heather drehte den Kopf zu mir, aber ich starrte weiterhin auf das Wasser im Schwimmbecken. »In der Schule beispielsweise oder in bestimmten Beziehungen? Allgemein? Denn ich habe es eine sehr lange Zeit getan.« Dann sah ich zu ihr. In ihre schönen Augen, die darauf warteten, dass ich mehr von mir erzählte. Ich war mehr als bereit dafür. Also sprach ich.

»Ich habe mich zum ersten Mal in jemanden verliebt. In meine damalige beste Freundin. Ich begann zu verstehen, warum ich nie von Jungs angezogen wurde, egal wie toll sie waren. Oder auch Charaktere in Filmen und Serien. Es waren immer Mädchen.«

Ich erinnerte mich an meine einzige beste Freundin, die ich jemals hatte. Vor ihr war ich unsichtbar. Manche gaben vor, mich zu mögen und meine Freunde zu sein, bis sie mich auf den Fluren vor allen ausgrenzen und auslachten. Und dann kam sie und hat mich aufgemuntert und ihr war egal, dass man sie genauso seltsam fand wie mich.

»In dieser Zeit begann ich, mich selbst kennenzulernen. Ich wollte neue Dinge ausprobieren. Ich habe herausgefunden, welche Kleidung mir gefällt, habe meinen eigenen Make-Up-Look kreiert und wollte unbedingt eine Veränderung an meinen Haaren. Mir wurde egal, dass meine Mutter mich angeschrien hat jedes Mal wenn etwas neues dazu kam, denn ich habe verstanden, dass das ich bin und ich mich zum ersten Mal wirklich frei fühlte.«

Wahrscheinlich fragte sich Heather, warum ich ihr davon erzählte, aber ich merkte, wie es sie zum Nachdenken brachte. Sie war nicht so frei, wie sie gerne wäre und wir wussten es beide. Seitdem wir uns zum ersten Mal sahen und miteinander sprachen.

»Ich denke, jeder fühlt sich mal gefangen. Manche weniger, manche öfter«, sagte sie. Ich lächelte. »Ja. Das denke ich auch.« Und sie lächelte. Und wir lächelten einander an. Mein Herz wollte aus meiner Brust springen.

»Weißt du? Es ist immer die Freiheit in gewissen Dingen, die einen Menschen glücklich macht. Und Glücklichsein ist das mit Abstand wichtigste für uns.« Freiheit war der Begriff, der mein Leben beschrieb. Denn es gab nichts, das ich mehr wollte und brauchte, als Freiheit.

Aber nicht jeder war bereit, eine solche Freiheit zu genießen, nicht jeder war dazu in der Lage. Es gehörte viel Mut dazu, sich Menschen in den Weg zu stellen, die dich liebten und die du liebst, dir aber mehr oder weniger unabsichtlich das Gefühl von Gefangenschaft gaben. Meist war es eine mentale Gefangenschaft und ganz oft war man sogar selbst die Ursache dafür, weil man sich selbst nicht genug liebte und eine Menge Selbstbewusstsein fehlte.

»Eigentlich könntest du ein riesiges Vorbild für die meisten sein. Für mich bist du es«, sagte sie. Ich schmunzelte. »Ich? Ein Vorbild? Ich schwänze die Schule, fliege von drei High Schools, rauche und gehe mindestens jedes zweite Wochenende feiern.« Kopfschüttelnd leckte ich mir über die Lippen.

»Das vergessen wir ganz kurz mal, aber alles andere bewundere ich wirklich sehr an dir. Du weißt, was du willst und hast keine Scheu zu tun, auf was du Lust hast.«
»Weißt du nicht, was du willst?«, fragte ich nach.
»Doch, schon. Ich möchte vor allem alles richtig machen.«
»Man kann nie alles richtig machen und man kann es nie allen recht machen. So ist das Leben. Genau deshalb habe ich aufgehört es zu versuchen. Man sollte mehr auf sich Acht geben.«

Eine Weile sahen wir uns nur an, bis sie lächelte und in diesem Moment wusste ich, das war das schönste, das ich jemals gesehen habe. Dieses Lächeln war das, was ich am liebsten für immer jeden Tag meines Lebens sehen wollte.

»Aber was ist mit dir? Gibt es überhaupt irgendetwas, das du nicht kannst?«
»Chemie.« Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Sie grinste. »Bis auf Chlor habe ich wirklich keine Ahnung von Chemikalien. Aber keiner kann alles. Auch nicht ich. Erst Recht nicht ich.«

Beide unserer Blicke war auf das Wasser gerichtet. »Aber wie schaffst du es, mit diesen nervigen Vorurteilen bezüglich deines Aussehens umzugehen? Mir ist schon aufgefallen, wie man dich ansieht und anfängt zu lästern.«
»Ich nehme sie einfach als Kompliment. Schließlich ist es ihre Zeit, die Leute damit verschwenden, nur um mich kritisierend anzustarren oder zu lästern. Ich fühle mich geehrt, dass Fremde mir Aufmerksamkeit widmen.«

Sie stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Klar! So geht es natürlich auch.«
»Man sollte auch Schlechtes positiv sehen können. Probier's mal aus. Das macht das Leben so viel einfacher.«

Wie sehr ich es genoss, mit ihr zu sein, hätte ich niemals in Worte fassen können. Genauso wenig wie ihre Schönheit. Ob es die äußere oder die innere war. Es gab keine Worte auf dieser Welt, um sie beschreiben zu können. Und es fühlte sich an, als würde uns so viel verbinden.

Sie fühlte sich womöglich wie ich vor wenigen Jahren. Brachte ich sie tatsächlich dazu, das zu verstehen? Es sah ganz danach aus. Ich dachte an ihre Worte. Ich war ein Vorbild für sie.

Selten wurde ich wirklich ernst genommen und selten, fanden mich Leute nicht unverschämt und dachten, ich wäre vom Weg abgekommen. Ich war Heather so unfassbar dankbar. Und sie ließ mein Herz höher schlagen. Mit jedem Wort, das ihre rosanen Lippen verließ und mit jedem Lächeln, das sie mir schenkte. Sie gab mir das Gefühl, doch irgendwo gewollt zu sein.

Ich stand von dem kalten, harten Boden auf und schaute auf sie herab. »Wenn du nach Freiheit suchst, wenn du etwas fühlen möchtest, das du noch nie gefühlt hast, dann komme zu mir und ich zeige dir meine Welt.«

The touch of an angel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt