• 2: Mineralwasser •

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H E A T H E R

Schon die lauten Techno-Bässe ließen mich unwohl fühlen und gaben mir zu verstehen, dass ich hier vollkommen fehl am Platz war. Alles war voller tanzender Menschen, die sich quasi aneinander rieben und von denen bestimmt schon die Hälfte betrunken war. Und der Club stank nach Schweiß vermischt mit Alkohol.

Am liebsten wäre ich sofort wieder umgekehrt und wie ein Gnu, das vor einem Löwen davonläuft, aus diesem furchtbaren Gebäude gestürmt. Aber ich wusste auch, warum ich hier war und ein paar Stunden hielt ich das schon irgendwie aus. Ganz sicher werde ich überleben.

Verrückt war ich, dass ich mein Leben für meinen Freund riskierte. Okay, Heather. Übertreib nicht. Es war Daves Geburtstag und auch sein erster Besuch in einem Club. Eigentlich war es meiner Meinung nach unverantwortlich, dass man Teenager in meinem Alter überhaupt in solche Läden rein ließ. Das sollte verboten werden. Ach stimmt! Es ist ja sogar verboten, nur scheint das die Leute in dieser Stadt nicht zu interessieren. Zumindest nicht in diesem Nachtclub. Es wird, wie es aussieht, doch nicht stark genug kontrolliert. Die angsteinflößenden Türsteher am Eingang sahen sowieso aus, als würden sie den Job nur für Geld machen. So unaufmerksam, wie sie waren, würden sie wahrscheinlich sogar Zwölfjährige reinlassen.

Trisha sah genauso begeistert aus wie ich und irgendwie hoffte ich, dass auch Dave die Idee bereute und wir ganz schnell wieder verschwinden konnten, aber das konnte ich vergessen. Denn dieser war hochmotiviert und zog mich hinter sich her, durch die Menschenmassen, um irgendwo zwischen diesen Leuten zu tanzen zu beginnen. Dabei war die Musik die mit Abstand schrecklichste, die ich mir je antun musste.

Wie zum Teufel konnte Dave nur so viel Spaß und Freude empfinden? Vielleicht war die Motivation auch nur so hoch, weil er in wenigen Stunden siebzehn Jahre alt wurde. Hoffentlich.

   »Ich gehe mir was an der Bar holen. Soll ich euch was mitbringen?«, fragte ich und schrie dabei buchstäblich, damit sie mich verstehen konnten. Ich musste nur so schnell wie möglich aus dieser Menge heraus. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so seltsam und auf eine Art angeekelt gefühlt.

Dave schüttelte den Kopf und Trisha tat es ihm gleich. Ich drängelte mich verkrampft an knutschenden Paaren vorbei… Nein, Stop! Sie knutschten nicht. Sie fraßen sich beinahe auf. Ich verzog das Gesicht und widmete meine Aufmerksamkeit den Tresen, denen ich mich näherte.

Erleichtert atmete ich durch und setzte mich auf den freien Barhocker neben einem Mädchen, das kaum älter war als ich. »Ein Mineralwasser, bitte.« Mir war klar, dass das eigenartig klang und die Frau an der Bar runzelte die Stirn. Im nächsten Moment aber stand ein Glas mit Wasser vor mir, das ich in einem Zug leerte und wieder auf  die Theke knallte.

   »Interessante Cocktail-Wahl. Der Trend muss wohl an mir vorbei gegangen sein«, sagte das Mädchen neben mir, dessen Blick ich schon vorher auf mir ruhen spüren habe. »Du siehst nicht aus, als wärst du freiwillig hier.«

Ob ich freiwillig in diesem Club war, fragte ich mich allerdings auch. Ich tat es für Dave, der zu seinem siebzehnten Geburtstag mal etwas anderes machen und auch ausprobieren wollte. Aber ich weiß, dass er mich nicht dazu zwang mitzukommen. Ich hätte sagen können, dass das nichts für mich ist und er wäre okay damit gewesen. Vielleicht hätten wir so ruhig gefeiert wie im letzten Jahr, damit wir trotzdem zusammen waren oder ich wäre einfach nicht dabei gewesen. Doch ich wollte dabei sein und seinen Wunsch wollte ich ihm auch nicht verwehren.

   »Da musste sie überlegen«, sprach das Mädchen in der dritten Person über mich und zog die rötliche Flüssigkeit aus ihrem Glas durch den gläsernen Strohhalm. Ihr Look war… auf jeden Fall viel passender als meiner, wenn man sich die anderen Leute im Club ansah.

Ihr Make-Up war auffällig und dunkel, an der Nase hing ein Septum, in ihren geradeso schulterlangen, dunklen Wellen waren knallrot gefärbte Strähnen aufzufinden und durch ihr enges Netzoberteil schimmerte ein Tattoo oberhalb ihres Dekolletés hindurch. Wenn mich nicht alles täuschte, war es ein kleiner Schwarm von tiefschwarzen Vögeln. Weil sie meines Erachtens nach ein auffallender Typ war, überraschte mich das doch eher das weniger selten vorkommende Tattoo.
  
Sie wandte sich wieder zu mir und ihre Augen wanderten an mir ab und wieder auf und schließlich an meinen haften blieben. »Also. Was führt jemanden an diesen Ort, wenn er doch so gar nicht hierher passt?«

Zusammen mit dem Lächeln auf ihrem Gesicht sah sie tatsächlich interessiert an meiner Antwort aus. Wieso sollte sie sonst auch diese Frage stellen?

Ich strich mir eine meiner langen, blonden Strähnen hinters Ohr, die mich vor meiner Nase störten. »Wir, also meine Freunde und ich, feiern in den Geburtstag meines Freundes rein. Und bitte frag mich nicht, was er sich dabei gedacht hat, denn das würde ich auch nur allzu gern wissen.« Ich zog die Augenbrauen in die Höhe und bestellte noch ein Glas Wasser.

   »Wow. Mich würden keine zehn Pferde hier reinkriegen, wenn ich du wäre. Da ist mir mein Wohl einfach lieber, als die Geburtstage irgendwelchen Leute, die sowieso jedes Jahr wieder stattfinden«, meinte sie.

Das wieder befüllte Glas Wasser wurde mir gebracht und diesmal nahm ich nur einen kleinen Schluck daraus. »Ist es wirklich so offensichtlich, dass ich hier nicht hingehöre und nicht sein will?«

Noch einmal schaute sie an mir auf und ab und zog eine Grimasse. »Naja… ja, so ziemlich. Ehrlich gesagt, ist das nicht zu übersehen. Kein normaler Mensch trägt sowas im Club. Andere würde man in deinem Outfit wahrscheinlich nicht einmal reinlassen, aber bei den Türstehern hier ist das eh kein Wunder. Du hast also echtes Glück.« Es bildeten sich tiefe Grübchen in ihren Wangen, als sie noch breiter lächelte.

Das glaubte ich ihr aufs Wort. »Das war das einzige Kleid in meinem Kleiderschrank, das für eine Party irgendwie in Frage kam«, gab ich zu. Ein neues zu kaufen, empfand ich als sinnlos, weil ich mir sicher war, dass dies nicht nur mein erster, sondern auch letzter Clubbesuch sein würde.

   »Es ist süß. Und es passt zu dir«, sagte sie und ich sah sie mit Skepsis an, weil das so klang, als würde sie krampfhaft etwas Nettes darüber sagen wollen. Das wiederum kaufte ich ihr nicht ab. »Ach ja? Woher willst du wissen, was zu mir passt? Du kennst mich doch gar nicht.«

Anstatt auf meine Frage zu antworten, stellte sie eine andere. »Wie ist dein Name?« Das war ihre Frage und erst sagte ich nichts, weil ich eigentlich darauf gewartet hatte, dass sie meine beantwortet.

   »Heather«, sagte ich trotz dessen. Wieder lächelte sie breit. »Und schon kenne ich dich mehr, als du mich.« Sie erhob sich vom Barhocker. »War nett dich kennengelernt zu haben, Heather. Ich hoffe, wir begegnen uns mal wieder. Und falls nicht, möchte ich dir wenigstens einen Rat geben. Tue nicht, was du nicht unbedingt tun willst, sondern nur das, worauf du wirklich komplett Lust hast und lasse dich nicht von irgendwelchen Leuten beeinflussen, nur weil du ihnen nahe stehst. Deine Zufriedenheit und dein Wohlbefinden sollten immer an erster Stelle stehen.«

Das waren ernsthaft ihre letzten Worte. Sie wollte mich doch komplett verarschen! Ließ mich ihren Namen nicht wissen und geht einfach so und ich wusste nicht einmal, ob ich sie jemals wiedersehen würde. Würde ich es mir denn wünschen?

The touch of an angel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt