Teil 4 - Lily

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Einige Wochen später stelle ich seufzend fest, dass es keinen Sinn mehr hat, mir selbst etwas vorzumachen. Ich musste wohl oder übel den Tatsachen ins Auge blicken. Severus wollte mich nicht beleidigen, er hatte Recht; ich war eine Hexe.
So unglaublich es auch schien, mit der Zeit gewöhnte ich mich an den Gedanken. Sev beantwortete geduldig meine Fragen und nach und nach erfuhr ich vieles über die Zaubererwelt, in der er aufgewachsen war, obwohl nur ein Elternteil von ihm magisch war. Er hatte es Zuhause nicht leicht. Von seinen Eltern erfuhr er wenig Liebe, das merkte ich daran, dass er ziemlich anhänglich war. Doch es störte mich nicht. Im Gegenteil, ich fand es schön, mit ihm Zeit zu verbringen. Er verriet mir, meist im Flüsterton und nicht ohne sich vorher nach allen Seiten umzuschauen, was für ein Erwartungsdruck auf ihm lastete. Sein Vater verstand sich nicht gut mit seiner Mutter. Der eine wollte, dass Sev ein möglichst normales Leben führte, während der andere erwartete, dass er in seine Fußstapfen treten würde und bald in der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei Bestleistungen erbringen würde.

Hogwarts...spätestens als vor einer Woche auch mein Brief eintraf, ließ es sich nicht länger leugnen. Meine Mama reagierte überraschend lässig, als sie erfuhr, was ich tatsächlich war. Ja, sie freute sich sogar sehr für mich, dass ich an der Hogwarts-Schule angenommen war. Tunia hingegen schien nicht sonderlich begeistert zu sein. Es erfüllt mich noch immer mit Wehmut, wenn ich daran denke, was wir damals für ein tolles Team waren. Seitdem ich mich mit Sev angefreundet habe, den sie bei jeder Gelegenheit niedermacht, steht irgendetwas zwischen uns. Ich weiß nicht, ob sie sauer ist oder eifersüchtig. Jedenfalls geht sie mir größtenteils aus dem Weg, zumindest an ihren guten Tagen. Es kommt nur noch selten vor, dass wir zusammen etwas unternehmen und beide wirklich Spaß haben.
Ich hingegen bin schon sehr aufgeregt und freue mich riesig, endlich zu lernen mit meinen Kräften umzugehen. Alles, was Sev mir über Hogwarts erzählt hat, ist einfach nur traumhaft. Ich kann es kaum erwarten, endlich im Hogwartsexpress zu sitzen und vom Sprechenden Hut in eines der vier Häuser eingeteilt zu werden. Ich möchte endlich Leute kennenlernen, die genauso sind wie ich... vielleicht eine beste Freundin finden und mit ihr über das Schlossgelände laufen und meine Freizeit am See verbringen!
Doch bis dahin sind es noch fast drei Wochen. Es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit.
Ich beschließe, die verbliebene Zeit zu nutzen, um die Beziehung zu meiner Schwester wieder ein wenig zu festigen. Ich weiß, dass ich Gefahr laufe, mir erneut eine Ladung ihres Spotts einzufangen, aber es ist mir wichtig. Ich möchte nicht im Streit mit ihr auseinandergehen und ich werde sie frühestens zu Weihnachten wiedersehen. Eine so lange Zeit war ich noch nie von Zuhause weg und ich weiß, dass ich das hier alles vermissen werde. Zeit ist sehr kostbar, wenn man daran denkt, wie wenig davon einem nur noch bleibt.

Entschlossen schleiche ich hinüber und klopfe leise an die Zimmertür meiner Schwester, um meine Mama nicht zu wecken. Sie arbeitet oft nachts und hat ihren Schlaf verdient.
Keine Antwort.
Ich klopfe erneut und nehme ein genervtes Grummeln wahr, als Tunia die Tür öffnet. Ich strahle sie an.
"Was willst du, Lily? Es ist noch viel zu früh, du hast mich geweckt!"
"Ach komm schon Tunia, schau dir doch nur das schöne Wetter an! Es ist richtig warm draußen, da kannst du doch nicht den halben Tag verschlafen. Lass uns zum See fahren!"
Ich strahle sie immer noch an, während sie keine Miene verzieht. Sie möchte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, aber ich stelle meinen Fuß in den Weg und fange an zu schmollen und schaue sie mit meinen Kulleraugen an. "Komm schon Tunia!"
Sie blickt mich noch einen Moment lang an, dann gibt sie nach. "Na gut, aber wehe du hast den Spinner auch eingeladen!"

Freudig laufe ich zurück in mein Zimmer und ziehe mir einen Bikini an. Dann mache ich einen Abstecher ins Badezimmer, um mir die langen roten Haare hochzustecken und ein Handtuch in meine Tasche zu werfen, bevor ich hinunter in die Küche gehe. Tunia ist noch nicht da, also mache ich uns jedem ein Sandwich und nehme noch zwei Äpfel mit, bevor ich im Flur auf sie warte.

Der See ist mit dem Fahrrad nur zehn Minuten von uns entfernt und nicht besonders tief, sodass Mama uns alleine dorthin fahren lässt. Als wir unsere Fahrräder abstellen und hinunter zu dem kleinen Badestrand gehen, dreht sich meine Schwester plötzlich wütend zu mir um und zeigt auf einen Jungen mit langen, schwarzen Haaren. Beinahe schreit sie mich an: "Du hast versprochen, dass du den Spinner nicht einlädst!"

Severus und Lily - geliebt, gekämpft&verlorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt