25 - Lee Know

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Kapitel 25 - Lee Know

Anfang August 2023

»Lino, kannst du später ins Studio kommen?«

Ein Herz und ein bettelnd dreinschauender Emoji vervollständigten die Nachricht.
Ich unterdrückte ein Gähnen, während ich mich schweren Schrittes durch die langen Flure von JYP Entertainment schleppte.
Zum wiederholten Male las ich Jisungs letzte Nachricht, doch es war weniger das, was er geschrieben hatte, das mich irritierte, sondern vielmehr die Uhrzeit, zu der er sie abgeschickt hatte. 6.04 Uhr, vor einer halben Stunde. Eine absolut untypische Zeit für ihn, schließlich zählte er eher zur Fraktion der Langschläfer, während ich mich auch gern mal zur frühen Stunde aus dem Bett quälte. Aber vielleicht hatte auch nur sein Smartphone die Nachricht nicht früher rausgeschickt.

Dennoch ging ich nicht schnurstracks ‐ wie ich es eigentlich geplant hatte - Richtung Proberaum, um mit meinem morgendlichen Tanztraining zu starten, sondern machte einen kleinen Umweg über unser Aufnahmestudio.
Auch wenn ich mir nicht recht vorstellen konnte, Jisung dort wirklich anzutreffen. Wahrscheinlich drehte er sich gerade zu Hause zum hundertsten Mal im Bett um und befand sich tief im Reich der Träume.

Um diese Uhrzeit war im Gebäude noch nicht so viel los. Die wenigen Leute, denen ich begegnete, waren größtenteils Mitarbeiter; von den anderen Bands war ich bisher keinem begegnet. Ein Grund mehr, warum ich gern so früh trainierte: Ich hatte meine Ruhe und die Trainingsräume für mich alleine.

Schließlich erreichte ich die Tür zum Studio. Alles wirkte ruhig, kein Laut war zu hören, selbst als ich versuchsweise mein Ohr dagegen legte. Trotzdem drückte ich, in Erwartung, die Tür verschlossen vorzufinden, gegen die Klinke. Mit einem leisen Geräusch schwang sie auf und ließ mich davor überrascht verharren.
War er etwa wirklich hier?
Ein ziehendes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus.
„Hanie?"
Das Licht brannte, doch niemand antwortete.
Langsam trat ich ein. Auf den ersten Blick wirkte das Studio verlassen, erst auf den zweiten Blick entdeckte ich Jisungs dunkle Haare, die hinter der Lehne von einem der großen Stühle hervorlugten. Er rührte sich nicht, selbst als ich unmittelbar hinter ihn trat.
Seltsam zusammengekauert saß er auf dem Stuhl, die Beine eng an den Körper gezogen, die Augen geschlossen. Er schien allen Ernstes in dieser Position, von der ich allein vom Zuschauen Rückenschmerzen bekam, zu schlafen.
Schmunzelnd beugte ich mich über die Lehne, strich ihm sachte, um ihn nicht zu erschrecken, ein paar längere Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er hatte im Moment wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem niedlichen, Winterschlaf haltenden Eichhörnchen.
Unwillkürlich kam in mir der Gedanke auf, ob er gar nicht vor mir angekommen war, sondern direkt im Studio übernachtet hatte. Es wäre nicht das erste Mal, obwohl das sonst viel eher Chans Angewohnheit war.

„Hanie", flüsterte ich leise. Immer noch keine Reaktion. Mein Grinsen wurde weiter.
Vorsichtig stupste ich ihm mit dem Finger gegen die Nase, die sich augenblicklich kräuselte. Ich unterdrückte ein Lachen und machte weiter.
„Wach auf. Du klagst nur wieder über Nackenschmerzen, wenn du so sitzen bleibst."
Ein Murren antwortete mir, anscheinend war er noch nicht gewillt, richtig aufzuwachen. Ich musste zu härteren Geschützen greifen.
Ich ersetzte den Finger durch meine Lippen und drückte ihm einen Kuss auf die Nasenspitze, nur um gleich darauf leicht hineinzubeißen.
Das Murren wurde zu einem Grummeln, als Jisung die Augen einen Spalt breit öffnete und mich fast schon in Zeitlupe anblinzelte. Ich kicherte und gab ihm abermals einen kleinen Kuss auf die Nase, ehe ich mich vor ihn hockte.

So müde wie er aussah, tat es mir fast ein wenig leid, ihn geweckt zu haben. Doch zum einen hatte er mich hierher bestellt und zum anderen hatte ich ihn vor drohenden Rücken- und Nackenschmerzen bewahren wollen.
„Lino?"
Träge streckte er die Hand nach mir aus und stupste mir nun ebenfalls gegen die Nase.
„Was machst du hier?", kamen die Worte schleppend über seine Lippen. Da war jemand eindeutig noch nicht wach.
Ich griff nach seiner Hand, bevor sie erneut auf meiner Nasenspitze landete, und verschränkte unsere Finger ineinander. Seine Hände waren so viel wärmer als meine. Leicht strich ich mit dem Daumen über seine Handknöchel.
„Du hast mir geschrieben, dass ich herkommen soll."
Ich sah es hinter seiner Stirn rattern und konnte mir ein amüsiertes Grinsen beim besten Willen nicht verkneifen.
„Oh, stimmt." Ein Gähnen übermannte ihn. Mit der freien Hand rieb er sich über das Gesicht. „Sorry. Irgendwie bin ich nicht zum Schlafen gekommen."
Das sah man und allmählich wurde ich wirklich neugierig darauf, was ihn so lange beschäftigt hatte.

Through the years (Minsung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt