Kapitel 109 - Aktkunst + Nicht mehr seine Welt

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Freitagabend, 10.12.
Russland, Sankt Petersburg
Bei Wladimir
Im Wohnzimmer


Aktkunst

Sie hatten sich nach dem Abendessen zusammen ins Wohnzimmer gesetzt. Im Kamin brannte ein Feuer und Eva lag zwischen den Sofas am Boden. Ihr Kopf ruhte in Calvins Schoß, sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich streicheln.

Cevin ließ auf Wunsch aller Anwesenden – also alle Bewohner und Miroslav – seinen Unizeichenblock durch die Runde gehen. Auf jeder Seite klebte ein kleines teilweise durchscheinendes Post-It mit einer Note darauf. Das machten die Professoren so, damit sie nicht die Bilder beschmierten.

Der Unterschied im Architekturstudium in Russland zu dem in Zentraleuropa war nämlich, dass die Studenten auf die Straße gingen und Häuserfassaden zeichneten. Ebenso gingen sie in Museen und zeichneten Räume und Interior, Ausstellungsgegenstücke und vieles mehr. Das war ein Punkt mehr für Cevin gewesen, um das Studium in Russland zu favorisieren. Er zeichnete gerne. Sicherlich gab es solche Kurse auch für Architekturstudenten in Zentraleuropa, aber nicht in diesem Ausmaß. Und anders als die russischen Studenten arbeiteten die in James' Breitengrade viel mehr mit Laptops und digitalen Programmen, während das in Russland nicht so verbreitet war.

»Äh«, sagte Calvin, als er in dem Block einmal zu viel umblätterte und eine nackte Frau sah. Er sah zu Cevin und fragte: »Ist das mit Nikolaij abgesprochen?«, und drehte das Bild in die Runde.

Nikolaij lachte. »Ja, das war Aktzeichnen in der Uni.«

Refil und Casey beugten sich ebenfalls vor und studierten das Bild.

»Die ist aber schön«, sagte Casey.

»Danke«, freute sich Cevin. »Ich war ganz aufgeregt, weil ich nur Übung mit...«, er verstummte und wurde rot, weil Wladimir und Miroslav auch anwesend waren.

Nikolaij lachte, tätschelte ihm ein Knie und vollendete den Satz: »...mit mir hat«, er grinste stolz.

Cevin kicherte.

Wladimir grinste. »Mein Sohn macht sich sicherlich gut als Aktbild.«

»Schon, ja«, gab Cevin zu und Nikolaij lachte verlegen, aber er war auch stolz darauf.

»Nikolaij ist sowieso mein liebstes Übungsobjekt, ich zeichne ihn immer, wenn er tanzt. Dazu muss ich natürlich Fotos machen, sonst bewegt er sich zu schnell, und dann die Fotos abzeichnen, aber das macht nichts. Es inspiriert mich, wenn er dabei weiter tanzt.«

Nikolaij sah ihn verliebt an.

Cevin lächelte, dann räusperte er sich und wandte sich an Refil: »Von Künstler zu Künstler. Was sagst du zu meiner Linienführung? Ist sie besser geworden über die Jahre?«

Refil nahm den Block von Cevin entgegen und musterte die Frau, die sich einen Arm vor die Brüste hielt und einen über dem Bauch. Sie saß auf einem Hocker, hatte die Beine überschlagen und Cevin hatte sie im Profil eingefangen. »Keine Ahnung, ich kenne kein anderes Aktbild von dir.«

Casey gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und er lachte. Dann blätterte er vor zu den ersten Häuserzeichnungen und studierte sie. Anschließend schlug er eines der letzten Häuser auf und sagte: »Ja, du hast dich gesteigert, wobei die ersten Bilder auch schon toll waren«, er ließ den Block sinken und grinste Cevin an. »Ich weiß ja, was du kannst. Das wusste ich ja vor fünf Jahren schon.«

Cevin lächelte. »Und ich kenne deine Zeichnungen. Caseys Portrait ist mir das liebste.«

Refil grinste. »Ja, darauf bin ich auch besonders stolz.«

Russisches Ballett - Zukunft I [BxB/MxM]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt