II. Auf der Jagd

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„Es klingt wirklich so, als wolle jemand absichtlich Traffic auf diesen Seiten schaffen. Vielleicht einer von denen selbst, um den Algorithmus zu füttern?" Tucker hob seinen randvollen Becher zum Mund und schlürfte genüsslich die Schaumkrone seines Cappuccinos. Robin schüttelte den Kopf und nippte an dem schwarzen Getränk, dass their Lebensgeister angenehm ankurbelte.
„Das glaube ich nicht. Wir haben genug mit diesen Kommentaren zu kämpfen. Diese Aktivitäten helfen uns nicht, sie vertiefen nur den Graben, indem sie die Menschen auf unsere Profile locken, für die unsere Gedanken gar nicht bestimmt sind."

Tucker nickte nachdenklich. „Da hast du natürlich recht. War auch nur so eine Idee." Er rückte seine breitgeränderte Brille auf der großen Nase zurecht und zog einen Mundwinkel nach oben.
„Du hast einen Plan?" Robin erkannte sofort, wenn their Kollege und Freund einen Geistesblitz hatte. Neugierig lehnte they sich vor und stütze den Kopf auf die aufgestützten Unterarme. „Tell me more!"

Tucker gab sich geheimnisvoll und versteckte sich noch einmal kurz hinter seiner Tasse, bevor er Robin einweihte. „Ich dachte nur gerade an etwas, das ich mal in einem meiner Online-Rollenspiele benutzt habe. Es geht um proaktiven-Resonanz-Aktivismus, also das vorausschauende und strategische Handeln, um eine emotionale Reaktion bei Mitspielenden auszulösen. Das funktioniert sowohl mit positiven Auslösern als auch mit negativen Aktivitäten. Am besten funktioniert das, wenn man schnell handelt und Gegenspieler*innen keine Zeit zum Nachdenken lässt. Man führt idealerweise eine starke emotionale Reaktion herbei, die den Spieler aus der Deckung kommen lässt und dann 'Zack', schlägt man zu!"

Tuckers Hand knallte bei dem Wort so heftig auf den Tisch, dass der Kaffee in Robins Becher kurz überzuschwappen drohte. „Manipulation also", fasste Robin das Gehörte begeistert zusammen. „Du meinst also, dass diese Offensive darauf abzielt, schnell emotionale Triggerreize zu setzen, die weitere User*innen dazu animieren sich äußern zu wollen und somit die Reichweite der Beiträge erhöhen?"

„Genau! Was ja erstmal positiv aussieht, ist in diesem Falle schlecht für die initialen Ersteller*innen dieser Posts. Die negativen Diskussionen gehen viral und wenden sich schließlich gegen die, welche für eine positive Entwicklung plädiert haben."
„Und meine queere Community gerät weiter ins Hintertreffen. Aber warum sollten Menschen so etwas tun? Ich meine, welche Motivation steht dahinter? Was haben sie davon?"
„Keine Angst, Robin, das werden wir herausfinden!" Tucker strahlte.
„Ach ja?" Robin wirkte weniger zuversichtlich. „Wie willst du das anstellen?"
„Wir wenden die gleiche Taktik an, um herauszufinden, auf was die Hater anspringen. Du setzt einen Post ab, suchst dir ein paar passende Hashtags raus und wir sehen, was passiert. Wenn wir eine*n User*in gefunden haben, schauen wir uns die Daten konkret an und finden heraus, wer sich dahinter verbirgt. Die Hater*innen wissen ja nicht, dass wir in das Netz des Unternehmens eintauchen können und Jagd auf sie machen werden. Hach, das wird ein Spaß!"

„Na gut", stimmte Robin nach kurzem Überlegen zu. „Das könnte funktionieren. Lass uns gleich starten!" Voller Euphorie stand Robin vom Tisch auf.
„Und was ist mit meinem Cappuccino?"
„Wenn du recht hast und wir die Typen schnappen, lade ich dich auf einen neuen ein." Robin zwinkerte. Tuck seufzte, dann trank er den letzten Schluck eilig aus. „Ich kann dir einfach nichts abschlagen!" Er erhob sich ebenfalls und folgte Robin in einen der Fokus-Räume des Unternehmens. Die beiden Analyst*innen ließen sich einander gegenüber an zwei identisch aussehenden Arbeitsplätzen nieder. Robin öffnete their Profil auf der Unternehmensseite, während Tuck sich mit seinen eigenen User-Account einloggte. Ein paar Minuten saßen die beiden schweigend da und bereiteten ihren Test vor. Robin hatte einen kurzen Post geschrieben, der verschiedene Aktionswörter und Hashtags enthielt, die they am Vormittag als relevant für potenzielle Hater identifiziert hatte. Bevor they auf „Veröffentlichen" klickte, versicherte Robin sich bei Tucker, dass auch er startklar war.

„Ich folge dir und warte auf die Nachricht in meinem Postfach. Meine Testnachricht ist bereits in meinem Zwischenspeicher. Wenn ich sehe, dass du was geschrieben hast, setze ich sofort einen Kommentar ab. Mal sehen, ob ich schneller bin als die Hater."
„Mögen die Spiele beginnen", grinste Robin und klickte mit dem Zeigefinger auf die Maustaste. Es dauerte nur zwei Sekunden, bis der erste Kommentar unter Robins Post erschien. They verzog den Mundwinkel, versuchte aber die unangemessene Provokation zu ignorieren. Zwei weitere Sekunden später folge der Kommentar „Test" von Tucker. „Sehr kreativ", spottete Robin. „Und viel zu langsam", stelle Tuck fest. „Dabei habe ich gleich nach der Meldung gepostet. Wie konnte TheRealPeople so schnell reagieren?" Robin zog die Stirn in Falten. „Ich habe da eine Idee." Their Finger flogen über die Tastatur. „Ich habe dir meine Hashtags in den Chat gestellt. Wenn du diese in deine bevorzugten Nachrichten-Optionen einfügst, bekommst du die Nachricht vielleicht schneller als über die Follower*innen-Einstellung."
„Gute Idee", lobte Tuck und richtete die Benachrichtigung ein. Robin löschte their Post und kreierte einen neuen. Geduldig wartete they auf Tucks Zeichen. „Bereit!"

Erneut veröffentlichte Robin their Nachricht und wartete. Wieder war ein Hater schneller, auch wenn Tucks Kommentar kurz darauf erschien. „Immer noch nicht schnell genug!"
„Das kann nicht sein!" Tuck schielte an seinem Bildschirm vorbei zu Robin. „Hast du schon mal daran gedacht, dass es gar keine Menschen sind, die uns belästigen, sondern dass..." „Es sich um eine programmierte KI handeln könnte?" Robin nickte. They hatte den Gedanken schon am Morgen gehabt, aber schnell wieder verworfen. „Es gibt ethische Regeln für die Programmierung einer künstlichen Intelligenz. Du weißt selbst am besten, dass eine hassverbreitende KI nicht nur gegen unsere moralischen Wertvorstellungen verstößt, sondern auch gegen Artikel 2a des Grundgesetzes. Der Artikel zu den persönlichen Freiheitsrechten sagt klar aus, dass das Programmieren, Trainieren und Verwenden von Künstlicher Intelligenz, die Hasskommentare generiert oder verbreitet, verboten ist. Hasskommentare sind Äußerungen, die die Menschenwürde anderer verletzen, die Persönlichkeit angreifen oder die zu Gewalt oder Diskriminierung aufrufen", rezitierte Robin beunruhigt.

„Und wenn es die Verantwortlichen nicht schert, was in unserem Grundgesetz steht? Was, wenn es eine terroristische oder politische Vereinigung ist, welche die bevorstehenden Wahlen beeinflussen will?" Tuck flüsterte plötzlich, so als wolle er verhindern, dass ihnen jemand zuhörte. „Das wäre höchstkriminell und ethisch äußerst fragwürdig! Es gibt zwar ein Recht auf freie Meinung, aber nicht auf Hass! Menschenrechte gelten auch digital!" Robin schien fast empört über diese Idee, musste aber zugeben, dass dies eine durchaus schlüssige Erklärung für das beobachtete Verhalten war.

„Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden!" Tuck sah Robin mit offenen Augen an, die durch seine Brillengläser nur noch größer schienen. „Wir müssen ins Netz und die User*innen identifizieren!" Robin nickte zustimmend und rief die interne Datenbank des Unternehmens auf. Dort folgte they der Spur, welche die letzten beiden Aufrufe hinterlassen hatte. Doch die Recherche stimmte Robin unzufrieden. „Sackgasse! Die IP-Adresse ist ein Wandelwicht. Die KI produziert alle paar Minuten anscheinend mehrere Fake-User-Daten, die sich in die Diskussionen einmischen und dann wieder verschwinden. Die IP-Adressen wechseln schneller als ich meine Liebhaber."
„Ein Scherz oder ein subtiler Hinweis?" Tuck grinste schief, als er Robin zwischen den Bildschirmen hindurch fragend ansah. Ein helles Lachen erfüllte den Raum. „Das musst du wohl bei einem zweiten Kaffee herausfinden!"
Tuck rollte mit den Augen, musste aber trotzdem ein wenig schmunzeln. Plötzlich wurde Robin wieder ernst. „Vielleicht sollten wir versuchen, die Muster in den Kommentaren genauer zu analysieren. Vielleicht gibt es subtile Unterschiede zwischen den von der KI generierten Bots und denen echter Nutzer*innen."

Tuck brummte nachdenklich. „Das könnte klappen. Wir müssen herausfinden, welche Muster die KI verwendet, um die Fake-User-Daten zu erstellen. Vielleicht finden wir so eine Schwachstelle, die wir ausnutzen können, um sie zu identifizieren."
„Wenn wir der Masse der Bots folgen können, kommen wir so vielleicht an den*die Ersteller*in des Codes", überlegte Robin laut. „Dann mach dich mal bereit in die dunklen Schatten des Netzwerks einzutauchen", raunte Tuck verschwörerisch.

Robin erfasste ein angenehm vertrauter Schauer, als they their Tasche mit dem hochentwickelten technischen Spielzeug aus dem Schließfach holte. Dieser Part an der Arbeit gefiel them immer am besten. They würde sich auf eine Reise in die Welt der unendlichen Weiten der Internets einlassen und das Verbrechen, dem sie beide auf der Spur waren, aufklären!





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