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June, 2024

Erschöpft lehnte Jule den Kopf an die kühle Fensterscheibe des Zuges und beobachtete die Regentropfen, die sich zu kleinen Schlangen verformt hatten und sich nun ihren Weg über die Fensterscheiben bahnten.
Der Himmel war grau und es regnete schon die ganze Fahrt über; würde Jule nicht wissen, dass Sommer war, würde er glatt denken, es wäre Oktober.

Mit einem leisen Geräusch ließ er die Luft aus seinen Wangen entweichen.
Er war müde und das obwohl er heute nichts getan hatte bis auf Zugfahren.
Er war trotzdem so müde, dass er sich am liebsten in sein Bett legen und die nächsten zwei Tage durchschlafen wollte.
Gut, vielleicht lag das auch weniger an der Reiserei, als an dem kleinen Wunder, dass Jule mit sich herum trug.

Leicht vor sich hin lächelnd legte der Blonde eine Hand auf seinen Bauch, der schon relativ eindeutig war. Zumindest wenn er nicht so einen weiten Pulli trug, wie jetzt.
Gut, dass in Jules Abteil eigentlich fast keiner war.
Nur eine ältere Dame, die aber vollkommen in ihr Stricken vertieft war und ein Mann, der vor ihm saß und ihn sowieso nicht sehen konnte.
Schon seit den Anfängen seiner Schwangerschaft hatte ihr kleiner Prinz ihm jegliche Energie geraubt.

"Er macht sich da drinnen hübsch für den Tag, an dem er zu uns kommt", sagte Kai immer, wenn Jule ihm am Telefon erzählte, dass schon wieder todmüde war, und brachte seinen Freund damit jedes Mal aufs Neue zum Schmunzeln.
Kai war sehr viel mehr romantisch und sentimental, als er es zugab.

Sein vibrierendes Handy riss Jule aus seinen Gedanken.
17:46 stellte er fest, als er zum ersten Mal auf dieser Zugfahrt auf die Uhr sah.
Sein Zug hatte schon jetzt fast eine halbe Stunde Verspätung und er würde noch gut zwei Stunden fahren.
Natürlich hätte er auch mit dem Auto fahren können, aber seit er schwanger war, tat er das eigentlich nicht mehr so gerne.
Er wusste selbst nicht mal warum, aber irgendwie hatte er Respekt davor.
Und außerdem konnte er im Zug ein bisschen die Augen zumachen und sich ausruhen.
Er tippte auf die Nachricht, die Kai ihm gerade eben geschrieben hatte.
'Freu mich schon ganz doll auf dich. Sag Bescheid, wenn du aussteigst'
Das Lächeln auf den Lippen des Blonden wurde breiter.
Er freute sich auch.
Er freute sich, Kai endlich wiederzusehen und natürlich auch die anderen Jungs; aber vor allem Kai.
Er freute sich, wieder Zeit mit ihm verbringen zu können; wenn auch nur ein bisschen Zeit.
Und er freute sich, dass Kai endlich wieder richtig mit ihrem Sohn reden konnte und nicht nur über Telefon.
Auch wenn Kai es ihm nicht sagte und auch nahezu alles dafür tat, dass Jule es nicht bemerkte, wusste der Blonde sehr wohl, dass es seinen Freund kränkte, nicht viel von der Schwangerschaft mitzubekommen.
Aber weder er noch Kai konnten im Moment viel an der Situation ändern.
Sie mussten sich wohl oder übel damit arrangieren und das Beste daraus machen, auch wenn es ihnen manchmal schwer fiel.
'Freue mich auch auf dich und unser Kleiner freut sich auch auf iseinen Papa.'

Er setzte hinter seine Antwort noch ein rotes Herz und prompt kam die Antwort von Kai zurück.
'Wie geht es euch denn? Alles gut überstanden?'
Ein Kribbeln durchfuhr den Körper des Älteren.
Auch wenn es vielleicht komisch klang, aber er liebte diese niedliche Besorgnis, die Kai immer an den Tag legte.
Er war schon immer bekümmert darum gewesen, dass es Jule gut ging, aber seit der schwanger war, hatte sich das nahezu ins Unermessliche gesteigert.
Manchmal nervte es Jule, aber meistens fand er es einfach nur süß.
'Uns geht es gut; wir freuen uns so sehr auf dich.'
Jule war wirklich dankbar, dass Julian Nagelsmann ihm die Möglichkeit gegeben hatte, Kai im Camp der Nationalmannschaft, in dem die Spieler gerade waren, um sich auf die bevorstehende Europameisterschaft vorzubereiten, zu besuchen.
Dafür würde er sich morgen definitiv nochmal bedanken müssen, denn das war alles andere als selbstverständlich.
Eigentlich war es ja Jules Plan gewesen, selbst im Trainingslager zu sein als Spieler und sich mit vorzubereiten, aber nun war ihm ja dieser kleine Umstand dazwischen gekommen. Zugegeben, der süßeste und mit Abstand beste Umstand, den er sich jemals hätte vorstellen können.
Er würde wahrscheinlich jeden Titel und jedes Turnier gegen dieses Glück eintauschen.
Kai reagierte mit einem roten Herz und einem 'Bis später. Ich liebe euch' auf seine Nachricht.
Lächelnd schickte Jule ein rotes Herz zurück und legte sein Handy dann wieder neben sich, um wieder nach draußen schauen und seinen Gedanken nachhängen zu können.

The best coincidenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt