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December, 2024


"Haben wir alles?"

Fragend sah Kai seinen Freund an, welcher sich einmal im Kreis drehte und innerlich alles abhakte, ehe er sich wieder zu Kai wandte und nickte.
"Ich denke schon."
"Gut", lächelte der Jüngere und zog Jule sanft an sich, indem er seine Hände an dessen Taille legte," Dann hol ich Erik gleich mal runter."
"Mach das", lächelte der Blonde und legte seine Arme um Kais Nacken.
"Du bist wunderschön, weißt das?", hauchte Kai leise, während er an Jules Seiten auf und ab strich.
"Hör auf zu lügen. Ich hab immer noch viel zu viel drauf seit der Geburt", brummte der Blonde leise und Kai seufzte lautlos.
Dieses Thema hatten sie immer wieder und Kai wusste einfach nicht, wie er Jule das ausreden sollte.

Ja, er hatte sein altes Gewicht von vor der Schwangerschaft noch nicht ganz erreicht, aber wenn man mal bedachte, dass die Geburt gerade mal zweieinhalb Monate her war, war das auch völlig normal und das hatte auch ihr Arzt Jule schon klar gemacht.
Und für Kai war er trotzdem noch immer der schönste Mann und der beste Papa der Welt und da könnten auch ein paar Kilo nichts dran ändern.
Nur, dass Jule das nicht so sieht, auch wenn Kai es ihm immer und immer wieder zeigte.
Jule wollte ihm einfach nicht glauben und manchmal ließ Kai das verzweifeln, aber er hoffte, dass sich das mit der Zeit vielleicht etwas legen würde und Jule sich akzeptieren könnte.
Aber heute sollte niemand traurig sein, denn es war Weihnachten.
Heute würden Jamal und Flo mit ihrer kleinen Raya kommen und sie würden Heilig Abend miteinander verbringen.

Und auch Jule hatte beschlossen, seinen Frust und seinen Traurigkeit über sein Gewicht heute nicht so präsent sein zu lassen, auch wenn es ihm schwer fiel.
Heute wollte er feiern mit seinem Freund und ihrem Sohn und ihrer dritten, ausgesuchten Familie und nicht Trübsal blasen.
Sie hatten sich schon relativ lange nicht mehr gesehen; das letzte Mal Ende November in Leverkusen. Danach hatte es nie gepasst; immer konnte irgendwer nicht und als es dann gepasst hätte, lagen Kai und Erik krank im Bett.
Es war wie verhext gewesen, aber umso froher waren sie alle jetzt, dass sie Weihnachten zusammen verbringen konnten.

"Ich liebe dich, Jule", wisperte Kai leise und küsste sanft die Stirn des Älteren," Ich hoffe, das weißt du."
"Na klar weiß ich das", grinste Jule glücklich; allein diese drei magischen Worte von Kai reichten, um sich aus seiner Traurigkeit zu lösen; zumindest für eine Zeit lang," Du sagst es mir ja auch jeden Tag."
Gespielt empört sah Kai Jule an.
"Nerv ich dich damit? Dann höre ich auf, es dir zu sagen."
"Untersteh dich", knurrte der Blonde und kniff dem Lockenkopf in die Seite, sodass dieser leicht überrascht zusammenzuckte," Mach das ja nicht."
"Na dann, wenn du das sagst", schmunzelte der Jüngere," Ich liebe dich."
"Spinner", kommentierte Jule belustigt, konnte aber das verliebte Kribbeln in seiner Magengegend nicht ignorieren," Und jetzt hol deinen Sohn."
"Aye aye Captain."

Mit einem gespielten militärischem Gruß drehte er sich um und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer, in dem der kleine Erik noch friedlich schlief.
Kopfschüttelnd drehte Jule sich um und perfektionierte noch die letzten kleinen Details am bereits gedeckten Tisch, während er von oben hörte, wie Kai mit dem Kleinen herumalberte.
Er liebte diesen Mann unfassbar, aber manchmal zweifelte er daran, ob sein geistiges Alter auch bei fünfundzwanzig lag.
Die Gedanken des Blonden wurden durch die helle Türklingel unterbrochen.
Voller Vorfreude lächelnd öffnete Jule die Tür und begrüßte die Neuankömmlinge mit einer überschwänglichen Umarmung.

"Schön, dass ihr da seid."
"Danke, dass wir kommen durften", entgegnete Flo ebenfalls lächelnd.
Auch er freute sich, seine Freunde jetzt endlich mal wiederzusehen, denn das hatten sie seiner Meinung nach viel zu lange nicht getan.
"Kommt rein."

Sie zogen ihre Jacken und Schuhe aus und betraten dann den mollig warmen Wohnbereich, in dem schon alles bereit war.
Der Weihnachtsbaum, der Tisch, alles.
Ja, Jule hatte heute tatsächlich mal gekocht. Kai hatte ihm dabei helfen wollen, aber Jule hatte ihn aus der Küche geschmissen. Wenn es ums Kochen ging, war Kai eine absolute Niete, auch wenn er das selber nicht so sah.
Kai konnte froh sein, dass er nicht so Fußball spielte wie er kochte, denn dann wäre er überall aber nicht beim Bvb, das war klar.

"Wo ist denn der kleine Schatz?", erkundigte sich Jamal neugierig," Und Harvy?"
"Kai zieht Erik gerade um und dann kommen sie auch runter."
Jule beugte sich etwas zu Raya herunter, um ihr vorsichtig und sachte über den kleinen Oberarm streichen zu können, während sie ihn mit großen Augen musterte.
"Und dann siehst du deinen besten Freund auch bald mal wieder, ne?"
Dann wandte er sich wieder zu seinen Freunden.
"Wollt ihr was trinken?"
"Gerne", antwortete Jamal," Hast du Kinderpunsch?"
Theatralisch seufzte Flo.
"Ihr immer mit eurem Kinderpunsch."
"Ja, hab ich. Kai trinkt den auch immer. Und du, Flo?"
"Wasser bitte."
"Kommt."

Und damit verschwand Jule in die Küche, um die gewünschten Getränke zuzubereiten und für sich ein Wasser und für Kai auch einen Punsch. 
Der Jüngere trank das Zeug rauf und runter, weil er es so sehr liebte.
Inzwischen waren auch Kai und Erik dazugestoßen und begrüßten die anderen ebenfalls.
Schon jetzt schienen Erik und Raya sich zu mögen, denn sie beiden begannen leise zu lachen, als sie sich sahen und das war so niedlich, dass auch die anderen mit ihrem Lachen nicht hinter den Berg halten konnten.
"Man man, du bist aber auch gewachsen, du kleiner Mann", meinte Flo, während er den Kleinen liebevoll begutachtete," Hör auf so schnell zu wachsen. Raya kommt ja kaum hinterher."
"Sie hat natürlich auch einen großen Papa", lächelte Jule, welcher gerade zurückkam und seinen Freunden und Kai ihre Getränke gab.
"Stimmt auch wieder."
"Kommt, setzt euch; das essen ist gleich fertig."

~~

"Ach ja", seufzte Flo, als sie gerade am essen waren; Jule hatte wirklich super geklappt und Kai fragte sich, ob er nicht heimlich Kochstunden bei seiner Mama genommen hatte. Klar, Jule konnte schon immer ganz gut kochen, aber so gut?
"Bin ich froh, dass wir dieses Jahr bei euch feiern und mal nicht bei meiner Familie. Bei denen ist es schön, aber auch immer so anstrengend und stressig."
"Fühl ich", stimmte Kai zu," Meine Eltern wollen immer alles ganz perfekt haben und gehen damit eigentlich allen nur auf den Sack; inklusive ihnen selbst."
"Ich weiß gar nicht, was ihr habt", grinste Jule belustigt," Bei meiner Familie ist immer alles ganz entspannt."

Kai sah seinen Freund daraufhin mit seinem typischen Ist-das-dein-scheiß-ernst?-Blick an.
"Bei deiner Familie gibt es zu Weihnachten auch Tiefkühlpizza. Meine Mutter würde im Roten drehen, wenn ich ihr das vorschlagen würde."
"Verdreh mal nicht die Tatsachen hier. Bei uns gibt es auch was Vernünftiges; zumindest manchmal. Ich hab nur gesagt, dass ich im Gegensatz zu euch auch gerne mit meiner Family feier. Aber mit euch feiere ich auch gerne; keine Sorgen."
"Das erleichtert uns jetzt ungemein, Jule", gab Kai sarkastisch zurück," Dass du es mit uns auch aushältst."
"Tja", meinte Jule nur schulterzuckend, ehe er sich wieder dem Essen zuwandte.
Manchmal waren ihre Konversationen total dumm und sinnlos, aber irgendwie waren es genau diese, die sie so zum Lachen brachten und sie irgendwie noch enger zusammenbrachte.
Es war schon komisch manchmal, aber anscheinend war genau das ihr Glück.

Nach dem Essen waren sowohl Erik als auch Raya quengelig geworden; sie waren beide müde.
Jule und Flo hatten sie gemeinsam nach oben ins Bett gebracht und das Babyphone wieder mit nach unten genommen, sodass sie sie immer noch gut im Blick hatten.
Jetzt ging es zum gemütlichen und gleichzeitig spannenden Teil über; der Bescherung.
Sie hatten sich darauf geeinigt, sich nicht allen gegenseitig etwas zu schenken sondern sich nur als Paar etwas zu schenken.

Kai und Jule hatten sich als Geschenk für Flo und Jamal eine Nacht in einem nahe liegenden Hotel mit Candlelight Dinner und Wellnessnachmittag geschenkt, während sie auf die Kleine aufpassen würden.
Die beiden freuten sich natürlich riesig, denn obwohl sie ihre Tochter wirklich über alles liebten, kam die zeit zu zweit tatsächlich zu kurz, seit sie da war und das war wohl die perfekte Gelegenheit, sich dem wieder zu widmen.

Im Gegenzug bekamen Kai und Jule nicht nur ein selbstgemachtes Fotoalbum mit all den Fotos, die in den letzten Monaten von ihnen allen entstanden waren, sondern auch einen Gutschein für einen Fahrt im Heißluftballon.
Kai wollte das schon immer mal machen; das wussten Flo und Jamal, und auch Jule hatte hier und da mal erwähnt, dass man sicher eine gute Aussicht von da ganz oben hätte und super Fotos machen könnte. Da dachten sie, das sei genau das richtige für das junge Paar und hatten damit scheinbar goldrichtig gelegen, denn auch bei Kai und Jule war die Freude groß.

"Danke man. Ihr seid echt die besten."
"Gerne doch", lächelte Flo zufrieden, während sich alle noch einmal umarmten," Wir müssen uns bedanken."
Sie benahmen sich wirklich manchmal wie eine alt eingesessene Familie, die sich schon ewig kannte und jeden Tag das Gleiche machte, aber es war ihnen egal. Dann waren sie halt langweilig, denn genau das gefiel ihnen und machte sie gerade allesamt glücklich."
"Und was machen wir jetzt?"
"Backgammon?"
"Willst du etwa wieder verlieren, Jule?" 
Herausfordernd sah Kai seinen Freund an.
"Höchstens gegen Bambi, aber nicht gegen dich. Vergiss es, Harvylein."
"Na, wir werden es sehen."

The best coincidenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt