Gespräch

2.2K 120 6
                                    

Für einen kurzen Moment blickte ich Ihren langen, schwarzen Haaren nach, bevor ich mich langsam umdrehte und zu Toni aufschaute.
In ihrem Blick stand das blanke Entsetzten und verzweifelt raufte ich mir die Haare.
„Tut mir Leid...", nuschelte ich leise, bevor ich mir meinen Ranzen schnappte und aus dem Zimmer eilte.
Mit raschen Schritten durchquerte ich das leere Lehrerzimmer, bevor ich die Tür aufriss und mich noch einmal umdrehte. Tief in meinem inneren hatte ich gehofft, dass Toni irgendetwas tun würde, doch Sie stand lediglich immer noch dort wo ich Sie zurückgelassen hatte.
Ihre Ausdruckslose Miene schüchterte mich ein, weshalb ich rasch kehrtmachte und die Stufen hinab aus der Schule eilte.
Draußen angekommen schlug mir die eisige Abendluft volle Wucht entgegen, weshalb ich kurz innehielt und mir meine Jacke enger um den Körper zog, welche ich mir im hinunter laufen rasch übergezogen hatte. Kurz verließ ein schwerer Seufzer meine Lippen, bevor ich mich langsam in Bewegung setzte und die Schuleinfahrt hinauflief.
„Zoe, alles gut mit dir?"
Ein eisiger Schauer rieselte mir über den Rücken als ich die besorgte Stimme von Toni erneut in meinen Ohren wahrnahm. Noch immer spürte ich Ihre warmen Handflächen auf meinen Schultern und die sanften Finger in meinen.
„ZOE!"
Erschrocken zuckte ich zusammen als ich den wütenden Aufschrei meiner Mutter vernahm.
„Komm, jetzt setzt dich endlich ins Auto."
Erstaunt schaute ich auf. Seit wann redete Sie in so einer Situation Deutsch mit mir?
Langsam und behutsam setzte ich mich in den silbernen Alfa, welcher schon seit einer halben Ewigkeit meiner Mutter gehörte, und schloss die Tür.
Vorsichtig hievte ich meinen Rucksack auf die Rücksitzbank, schnallte mich an und ließ danach meine verschwitzen Hände auf meinen Oberschenkeln ruhen.
Jede zu hektische oder provozierende Bewegung konnte meine Mutter zum Ausrasten bringen und für mich wäre es höchst unangenehm, wenn genau dies hier im Auto passieren würde. Schließlich waren dort meine Ausweichmöglichkeiten mehr als begrenzt.
„Ich möchte nicht mehr, dass du dich mit dieser Frau triffst, Zoe."
„Sie ist meine Lehrerin..."
Meine Antwort war nicht mehr als ein flüstern, doch trotzdem zuckte ich zusammen als ich sah, wie sich die Muskeln der Frau neben mir anspannten.
„Das ist mir egal."
„Ich habe mit Ihr Unterricht, soll ich den etwa schwänzen?!"
Trotz, dass ich in diesem Moment mehr als nur Respekt vor meiner Mutter zeigte, wurde ich ein wenig lauter. Sie wusste genau wie wichtig mir ein guter Schulabschluss war. Naja, zumindest überhaupt einmal den Realschulabschluss zu schaffen, damit ich hier endlich wegkonnte. Es blieb außer Frage, dass ich hier noch länger als möglich bleiben würde.
Der Plan war, dass ich, nach meinem Abschluss, mit Clara hier gemeinsam weggehen würde. Wir würden eine WG gründen, uns einen guten Ausbildungsplatz suchen und dann endlich unser Leben beginnen.
Wo genau wir hinwollten wussten wir noch nicht, doch alles wäre besser als hier.
„Nein natürlich nicht. Ich werde dir etwas Anderes besorgen."
„Ich werde die Schule nicht wechseln."
Meine Antwort war viel zu schnell, doch das war mir egal.
Im Notfall könnte ich auch bei Clara schlafen und dann würde ich trotzdem weiterhin in diese Schule gehen. Egal ob ich Sie mochte oder nicht.
Dort war Toni. Das entschädigte alles Vorherige.
Ich wollte meiner Mutter nur endlich einmal beweisen, dass ich schon lange nicht mehr nur auf sie hören musste. Schließlich konnten mich die Lehrer nicht einfach wieder aus der Schule jagen wenn ich zum Unterricht erschien.
„Du wirst überhaupt nicht mehr in die Schule gehen."
Ok, das überraschte mich jetzt schon ein wenig.
Irritiert blickte ich zu meiner Mutter hinüber, welche nur Selbstgefällig grinste und den Motor starrte.
„Wie.. wie meinst du das...? Ich hab noch Schulpflicht!"
„Ich weiß."
So wie es klang amüsierte Sie es recht sehr wie verwirrt und verzweifelt ich war, was in mir nur noch mehr die Wut aufbrodeln ließ.
„Hallo?!"
Meine Hände waren geballt, mein Kiefer mahlte ununterbrochen und all meine Fasern waren bis zum Zerreißen angespannt.
Sie sollte mir antworten!
Doch stattdessen fuhr Sie nur in aller Seelenruhe von dem Schulgelände und bog auf die Hauptstraße, welche nach einem Kreisverkehr zu unserer Straße führte, auf der unserer Haus stand.
„Du wirst ab nächste Woche Privat Unterrichtet werden."
„Aber es ist erst Montag..."
Trotz meiner inneren Starre versuchte ich wenigstens ein wenig Gegenwehr zustande zu bringen, doch viel brachte es wahrscheinlich nicht.
„Darum habe ich mich schon gekümmert. Diese Woche bist du noch krankgeschrieben. Nächsten Montag geht es dann los. Der Lehrer wird zu uns Nachhause kommen und dich für ein paar Stunden unterrichten. Nähere Informationen erhältst du noch."
Ich fühlte mich wie in Trance.
Das konnte sie doch nicht machen!
Ich fühlte mich wie als würde soeben meine Welt über mir zusammenbrechen. Keine Frau Roth mehr die mich unterstütze, keine Klasse mehr welche mich hänselte, keine Stunden mehr mit dem nervigen Herr Neulauer, welche ich jedoch meistens nur zum Zeichnen verwendete, keine Raucherpausen mehr mit Clara...Clara!
Wie ein Blitz schoss diese Info durch mein Gehirn und langsam fischte ich mein Handy aus meiner Hosentasche.
Meine Mutter war inzwischen schon auf der Schnellstraße, doch bei Ihrem Fahrstil dauerte die Fahrt meistens sowieso immer eine halbe Stunde.
Wie automatisch entsperrte ich mein Handy und sofort sprangen mir dutzende Nachrichten entgegen.
6 Nachrichten von Clara.
1 Nachricht von Linda.
480 Nachrichten aus dem Klassenchat.
Desinteressiert klickte ich kurz auf den Chat meiner Klasse, bevor ich ihn wieder verließ, nur damit mir diese nervigen Nachrichten nicht mehr angezeigt wurden. Als nächstes war Linda dran.
Linda war etwa ein Jahr älter als ich, wohnte in Nordreinwestfahlen und machte gerade ihr Abi, bevor Sie schließlich Medizin studieren wollte.
Kennengelernt hatte ich Sie über ein soziales Netzwerk und es hatte sich herausgestellt, dass wir uns sehr ähnlich waren. Sie kannte meine Probleme, Gefühle und Guten Seiten und half mir dabei so gut es ging. Trotz dass wir uns noch nie gesehen hatten wollte ich Sie nicht mehr missen.
Linda:
„Hi, na meine süße? Wie lief es denn heute in der Schule, ist ja Montag ;p Zum Glück hatte ich heute frei :D"
Kurz lächelte ich über ihre Nachricht, bevor ich ein schnelles: „Erzähl ich dir später", eintippte und schließlich auf die Nachrichten von meiner besten Freundin tippte.
Clara:
„Hey, sorry komme heute nicht in die Schule, bin ‚krank' ;)"
„Ach und wegen Kino, da muss ich noch schauen wie ich meine Eltern austricksen kann :D"
„Was schreiben Sie denn da in der Klassengruppe? Neue Lehrerin? Was hab' ich verpasst!"
„Da ist man einmal krank, nene xD Ist sonst noch was passiert?"
„Kino klappt heute, treffen wir uns in Zehn Minuten bei mir?"
„Hallo?"
Und wie etwas passiert war...Verzweifelt blickte ich einmal neben mich zu meiner Mutter, bevor mein Blick zurück auf den Bildschirm flog. Das konnte ja was werden.

Frau Roth:

Wie paralysiert stand ich in meinem Zimmer und blickte Ihr nach.
Wieso?
Wieso verdammt musste sowas immer mir passieren?
Und wieso empfand ich schon so viel für ‚nur' ein Mädchen, welches ich doch erst einen Tag kannte?
Nein, Sie war nicht ‚nur' ein Mädchen. Schon seit Sie heute früh mit mir zusammengestoßen war bekam ich Sie nicht aus meinem Kopf. Sie hatte etwas Besonderes an sich, welches man schon gar nicht mehr beschreiben konnte.
Ihre blauen Augen, welche an manchen Stellen bereits in ein Grau übergingen und in denen man sich nur verlieren konnte.
Diese elegant geschwungen Lippen, welche so gut auf meine passten... Ihr Körper, welcher sich auf den Schultoiletten so perfekt an meinen geschmiegt hatte. Nein, Sie war nicht ‚nur' ein Mädchen. Sie war mein Mädchen. Auf jeden Fall wollte ich Sie irgendwann so nennen wollen.
Egal ob ich Ihre Lehrerin war, wir tausende von Kilometern entfernt waren oder ihre Eltern so Homophob, dass Sie mir den Tod auf den Hals hetzten. Ich wollte Sie so nennen können. Und so schnell würde sich daran auch nichts mehr ändern. Ich würde für Sie kämpfen. Und für Sie würde sich das kämpfen lohnen.


_____

(Überarbeitet)


Mienu

My Life, of curse (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt