Kapitel 1

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Kapitel 1

„Freja, liebste Freundin, halte doch bitte durch, bitteeee! Du kannst mich nicht schon allein lassen. Du musst wieder gesund werden!"

Ich halte schon seit Stunden die kraftlose Hand meiner fiebernden Freundin. Freja ist ein Jahr jünger und hat vor zwei Tagen ganz plötzlich sehr hohes Fieber bekommen. Sie glüht förmlich und unser Heiler hat keine Idee mehr an was das Mädchen erkrankt sein könnte.

Ich fürchte, er hat sie insgeheim bereits aufgegeben. Ich habe diesen Eindruck, wenn ich ihm in die Augen schaue. Ich kann darin nur Ratlosigkeit erkennen. Diese Machtlosigkeit versetzt mir einen äußerst schmerzhaften Stich mitten ins Herz. Ich sitze die ganze Zeit an ihrem Bett und wechsle die kalten Wickel, die ihre Temperatur senken sollen. Aber die Wirkung ist nicht der Rede wert. Ich bin am Verzweifeln.

„Sei mir nicht böse, ich schaffe es nicht", meint sie. Ihre Stimme ist schwach, kaum mehr als ein Hauchen. Ich muss mich anstrengen, sie zu verstehen.

„Du kannst mich nicht allein lassen. Was mache ich ohne dich?"

„Du bist eine starke junge Frau, Serena."

„Und du bist meine einzige Freundin, die beste die es gibt. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen."

„Du warst von klein auf meine beste und einzige Freundin und ich danke dir, dass du immer zu mir gehalten hast. Ich hätte liebend gern noch viel, viel mehr Zeit mit dir verbracht. Ich fürchte aber, es soll nicht sein. Das Schicksal hat andere Pläne", antwortet sie. Sie tut mir schrecklich leid, weil ich sehe, wie sehr sie das Sprechen anstrengt.

„Halt durch, du musst das Fieber besiegen!", jammere ich.

Tränen sammeln sich in meinen Augen. Ich habe die letzten Stunden versucht, stark zu sein, zu tun, als würde ich nicht kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Aber irgendwann kann ich beim besten Willen nicht mehr. Es ist einfach zu viel für mich. Je hoffnungsloser die Situation wird, je mehr ich sehe, dass Freja leidet und je länger sich ihr Siechen hinzieht, umso mehr bröckelt die Kraft, mit der ich krampfhaft versuche, meine Gefühle immer und immer wieder zurückzudrängen.

Ich will stark sein, stark für Freja. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem ich es einfach nicht mehr schaffe und dieser Zeitpunkt ist jetzt. Zuerst ist es nur eine einzelne Träne, die über meine Wange nach unten kullert. Sie bleibt aber nicht lange allein und es werden zunehmend mehr.

„Sei nicht traurig", versucht Freja mich zu trösten. „Ich hatte ein schönes Leben, dank dir."

„Aber es darf noch nicht zu Ende sein!", hauche ich verzweifelt. „Du bist noch so jung! Wir haben noch so viel vor uns!"

Ich halte immer noch ihre Hand und lege die Stirn auf ihren Unterarm. Ich bin traurig, unglaublich traurig sogar. Meine Tränen tränken allmählich den Stoff ihres dünnen Hemdchens, das sie normalerweise zum Schlafen anhat. Das habe ich ihr einst geschenkt, weil sie nichts hatte.

„Serena, du musst mir versprechen, dein Leben zu leben. Ich weiß, du bist zu Großem berufen."

„Ich?"

„Ja, du."

„Wie kannst du so etwas sagen? Ich fürchte, solche Gedanken entspringen nur deinem Fieberwahn."

„Glaube mir, ich weiß es. Du bist die Güte in Person, du hilfst allen Menschen, die Hilfe brauchen und verteidigst die Schwachen mit all deiner Macht. Du bist der beste Mensch, den ich je getroffen habe."

„So viele hast du noch gar nicht getroffen, um das sagen zu können."

„Glaub mir, es waren genug, um zu erkennen, dass es wichtig ist, in die Seele eines Menschen zu blicken. Dort drinnen erkennst du sein wahres Wesen."

„Und das hast du alles bei mir gesehen?"

„Du hast eindeutig das Herz eines Drachens."

Bei diesem Satz brechen alle Dämme und ich kann einfach nur noch hemmungslos heulen. Diese Worte erinnern mich an frühere Tage, an glückliche Tage, die wir als Kinder zusammen beim Spielen verbringen durften. In jungen Jahren haben wir immer davon geträumt, eines Tages Drachen zu sehen. Wir haben fest daran geglaubt, dass es diese majestätischen Tiere gibt und dass sie eines Tages ihren Weg zu uns finden werden.

Diese Erinnerung bringt mich aber auch zum Schmunzeln. Es ist schön, dass sie gerade in dieser Situation, da ihr Tod zu nahen scheint, wieder an diese Wesen denkt. Wir haben schon seit Jahren nicht mehr von ihnen gesprochen.

„Ich brauche auch das Herz eines Drachens, weil darin ganz viel Platz sein muss, um alle schönen Erinnerungen an dich einzuschließen und für alle Zeiten zu bewahren. Ich will nicht eine einzige Sekunde vergessen, die wir zusammen erlebt haben."

„Du musst dein Leben weiterleben und nicht in der Vergangenheit verweilen. Es ist lieb von dir, dass du mich in deinem Herzen behalten willst. Aber dort muss auch Platz für Neues sein."

„Keine Angst, mein Herz, das hast du selbst gesagt, ist groß."

„Ich habe dich lieb Serena, so unglaublich lieb!"

„Ich dich auch, Freja."

Kaum habe ich das gesagt, schließt sie langsam die Augen, die zuvor nur noch starr in die Weite geblickt haben. Der Kopf neigt sich langsam zur Seite und mir fällt auf, dass das beruhigende Heben und Senken ihrer Brust nicht mehr da ist. Freja atmet nicht mehr! Sie ist tot!

Die Königin der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt