"Komm schon Thiago, noch einen Schritt!", ermutigte ich den 16-Jährigen Jungen vor mir, der offensichtlich absolut genervt von mir war.
"Ziba, ich kriege das nicht hin..", grummelte er vor sich hin und ich sah die Enttäuschung in seinen Augen. Er stand zwischen den Gehbarren und hielt sich mit beiden Händen an dem jeweiligen Barren fest. Fest entschlossen davon, noch einen Schritt von ihm hervorzubringen, stellte ich mich an seine Seite und gab ihm eine leichte Hilfestellung.
"Das zählt nicht, wenn du mir hilfst.", er schaute zu mir runter und schenkte mir ein leichtes Lächeln.
"Hilfe anzunehmen bedeutet nicht keine eigene Leistung zu bringen. Es zeugt von-"
"Es zeugt von Stärke und Mut, etwas besseres für sich selbst zu wollen.", unterbrach er mich und schüttelte lachend den Kopf, "Ich weiß, ich weiß.."
Diesen Satz sagte ich hier so oft am Tag, ich sollte ihn mir mittlerweile einfach auf den Arm tätowieren und ihn dann den Patienten zum Lesen hinstrecken.
Ich festigte meine Hilfestellung , "Na dann, beweg deinen Arsch Thiago!"
Und er tat wie ihm befohlen wurde und ging nicht nur einen sondern zwei Schritte. Lächelnd schaute ich zu ihm hoch und mein Herz ging auf, denn die Enttäuschung, die eben noch seinen Blick plagte, war nun durch Stolz und Freude ersetzt. Genau das war der Grund, warum ich Medizin studierte. Unsere Gesundheit ist am Ende des Tages unser kostbarstes Gut und ich hatte das Privileg Menschen dabei zu helfen ihre Gesundheit wiederzuerlangen.
Und mit Privileg meinte ich meinen Studentenjob bei der Sportklinik Villa Stuart.
Wie ich hier angenommen wurde, weiß ich selbst nicht so genau, denn diese Klinik war einer der Besten Europas und behandelte größtenteils entweder sehr reiche oder sehr berühmte Patienten und Sportler. Vielleicht war es ja mein unglaublicher Humor oder mein wunderbares Lachen oder ganz vielleicht auch einfach mein ehemaliger Chef, der heimlich ein gutes Wort für mich eingelegt hatte.
Da ich noch Studentin war, behandelte ich schwierige Fälle oder sehr hohe VIP-Patienten natürlich nicht alleine, aber die jüngeren Patienten wurden mir sehr gerne zugeteilt. Denn es war meinem Chef anscheinend aufgefallen, dass ich schnell einen guten Draht zu ihnen entwickelte, was unglaublich wichtig für die Genesung war.
Und meinen ersten guten Draht hier, hatte ich zu Thiago entwickelt. Er ist im Alter meines kleinen Bruders, wodurch ich ihn ebenfalls sehr schnell mochte.
Thiago ist zwar nur sechzehn, aber bereits ein sehr gefragter Basketballspieler und der Autounfall, in welchem er vor 4 Monaten verwickelt war, hat ihm temporär die Fähigkeit zu Gehen genommen, welche wir gerade am Aufarbeiten sind.
Ich half ihm in seinen Rollstuhl und da mein Dienst zu Ende war, entschieden wir zwei uns noch dazu eine Runde, im riesigen Gelände dieser Klinik, zu drehen.
Ich zog mich schnell in der Umkleide um, warf meinen Kasak in den Wäschekorb und zog mir mein weißes Sommerkleid drüber, welches mir bis zur Hälfte meiner Unterschenkel ging. Meine Haare steckte ich mit meiner Lieblingsklammer, welche hellrosa schimmerte, hoch und ließ vorne ein paar lockige Strähnen mein Gesicht umranden.
Mit meiner viel zu voll gepackten Tasche, schlenderte ich etwas müde, aber zufrieden mit meinem Arbeitstag, zurück zu Thiago und wir machten uns auf den Weg zum Park hinter der Klink.
"In drei Jahren..", setzte Thiago an, als wir den Platz vor einem Brunnen einnahmen.
"In drei Jahren?", verwirrt wartete ich auf den restlichen Teil des Satzes, während ich zwei Capri-Sonnen aus meiner Tasche fischte. Wenn man tief genug in dieser Tasche graben würde, würde man wahrscheinlich noch ein ganzes Camping-Zelt finden.
"In drei Jahren werde ich dich heiraten.", erzählte er mir ganz selbstbewusst und ernsthaft und nahm dankend die Capri-Sonne an.
"Ich bin vier Jahre älter als du Thiago", erklärte ich ihm lachend, "und ich stehe nicht auf Jüngere."
"Ja deswegen ja in drei Jahren, denk doch mal mit.", warf er mir entgegen und tippte mit seinem Zeigefinger auf seine Schläfe, als würde ich hier die verrückten Aussagen machen.
Ich wuschelte ihm durch seine dunklen Locken, was er garnicht mochte, und gab nur ein "Halt die Klappe, Thiago." von mir.
Während er, aus Rache, ebenfalls versuchte meine Frisur zu zerstören, wir aussahen wie zwei Streithähne und ich kurz davor meine Capri-Sonne als Waffe zu benutzen, hörte ich wie Schritte auf uns zukamen und ein kurzes Räuspern folgte.
Ich wandte mich den Schritten zu und sah meinen Chef mit einem weiteren Mann im Anzug, welche uns belustigt zuschauten.
"Frau Azadi.." fing mein Chef an, "darf ich Ihnen Herr Motta vorstellen, er ist der Trainer des Kaders von Juventus Turin."
Ich stand auf, ging auf Herr Motta zu und begrüßte ihn freundlich, "Freut mich Sie kennenzulernen, Herr Motta. Nennen Sie mich gerne Ziba."
"Die Freude ist ganz meinerseits, Ziba.", antwortete er mir höflich.
Sein Blick blieb an meiner Capri-Sonne kleben und anstatt wie eine ernsthafte Medizinstudentin zu wirken, wirkte ich gerade wahrscheinlich eher wie einer von Thiagos Freunden.
Heimlich hielt ich die Capri-Sonne hinter meinen Rücken und Thiago nahm sie so diskret wie möglich entgegen, doch ein schadenfrohes Kichern, konnte er sich dann doch nicht verdrücken.
"Einer von Herr Mottas Spielern hatte einen Unfall beim Training und wird nun kurzzeitig bei uns behandelt werden.", erläuterte mir mein Chef. Aufmerksam hörte ich ihm zu, wie er mir die genauen körperlichen Umstände des Spieles erklärte.
"Er ist in deinem Alter Ziba und da ich Herr Motta von deinem hervorragenden Umgang mit jungen Sportlern und Athleten erzählt habe, würden wir Dir gerne die Therapie überlassen.", lächelnd erzählte er mir von diesem unglaublichen Angebot.
Ich sah gerade wahrscheinlich aus wie die Königin aller Honigkuchenpferde, weil ich gar nicht mehr aufhören konnte zu lächeln. Ich brauchte dringend ein praktisches Projekt, was wir jetzt in den Semesterferien angehen sollten und dieses war mir gerade in den Schoß gefallen. Ich bedankte mich vielmals bei meinem Chef sowie bei Herr Motta für das Vertrauen, welches Sie mir schenkten.
"Ich schicke dir die genauen Daten; Diagnose, Anamnese, Therapiemöglichkeiten und Patienteninformation per Email zu.", sagte mir mein Chef schließlich und die beiden Männer verabschiedeten sich freundlich von uns.
Mit einem breiten Grinsen drehte ich mich zu Thiago und dieser betrachtete mich nur skeptisch "Wehe du vernachlässigst mich wegen Ms. Juventus.", drohte er mir und ich versicherte ihm, dass keiner seinen Platz jemals einnehmen würde und dass ich ihn sogar heirate, falls ich in vier Jahren immer noch das trockenste Liebesleben der Welt habe.
Da mich der Hunger so langsam packte und Thiago seiner Fortnite-Sucht nachgehen musste, verabschiedeten wir zwei uns mit unserem typischen Handschlag voneinander und ich machte mich auf dem Weg zur Straßenbahn.
Völlig im Einklang mit der Welt, weil mein Leben gerade so perfekt lief, schlenderte ich zufrieden durch die Gegend, legte meine Kopfhörer auf, spielte meine perfektionierte Playlist ab, als ich die angekündigte Email meines Chefs erhielt.
Ich öffnete die Datei des Patientenbogen und vor Schreck verschluckte ich mich fast an meiner eigenen Spucke, weil warum zur Hölle stand da dick, fett gedruckt "Patient 7744: Yildiz, Kenan".
Wo sind die Kameras und wer will mich gerade verarschen?
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ONLY YOU- KENAN YILDIZ FF
RomanceJa, die Liebe. Ein schwieriges Thema. Für manche scheint es doch so einfach: Kennenlernen, Verlieben, Beziehung, Heiraten. Für mich scheint es eher so wie das Abseits beim Fußballspiel; je öfter ich drüber nachdenke, desto komplizierter erscheint es...