IV.

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Nervös schaute ich in meinen Badezimmerspiegel und betrachtete mein Aussehen. Meine Haare trug ich in einem engen Dutt und mein Make-Up hatte ich heute dezent gehalten. 

Ich trug ein enganliegendes graues Top mit einer weißen, lockeren Leinhose und dunkelgrünen Adidas Campus. Ein wenig von meinem Lieblingsparfüm durfte nicht fehlen und meine Goldkette, mit einer kleinen Meeresschildkröte als Anhänger trug ich jeden Tag.

Die Kette hatten mir meine Mama und Oma gekauft, als ich für mein Medizinstudium zugelassen wurde und warum sie sich für eine Schildkröte entschieden hatten, weiß ich bis heute nicht, aber meine Oma meinte nur "Guck nur wie klein sie ist, sie sieht aus wie du." und lachte mich danach mit ihrem strahlenden Lachen an.

Unkonzentriert lief ich durch meine kleine Studentenwohnung und suchte all die benötigten Sachen für den  Arbeitstag zusammen, der heute auf mich zukam.

"Mein Gott, Ziba stell dich nicht so an..". flüsterte ich mir selber zu und nahm einen tiefen Atemzug. Bei der Aufregung, bräuchte ich etwa fünfzig weitere tiefe Atemzüge, um wieder Ruhe zu finden, aber dafür war jetzt keine Zeit.

Ich packte meine Tasche, nahm mein Handy und lief zu meiner Haustür, an welcher ich noch einen letzten Halt machte, um in den Spiegel zu gucken, welcher im Flur befestigt war.

"Du schaffst das, er ist ein ganz normaler Patient und du bist professionell und machst einfach deinen Job!", sprach ich mir selber zu und so langsam kam ich mir ein bisschen zu verrückt vor, weswegen ich die Selbstgespräche einstellte. 

Ich eilte zur Straßenbahn, stieg ein und setzte mich auf einen beliebigen Platz. In meinem Kopf ging ich nochmal alle wichtigen Patientendaten durch und schaute nun zum hundertsten Mal auf meine Notizen, welche den genauen Therapieplan von Kenan Yildiz beinhalteten.

Allein der Gedanke daran so viel Zeit mit ihm verbringen zu müssen, war schon genug um mir die schlimmsten Bauchkrämpfe der Welt zu verschaffen, aber ich konnte meinem Chef ja schlecht erzählen, dass ich sein unglaubliches Angebot nicht annehmen wollen würde, weil der Typ mich auf Instagram gefühlt blockiert hatte.

Ich weiß, er hat mich nicht blockiert, aber das wäre um ehrlich zu sein, angenehmer gewesen als sein "Bitte lass mich in Ruhe, du Psycho"-Text.

Ich kam an meiner Haltestelle an, stieg aus und lief zur Klinik , welche nur wenige Minuten entfernt lag.

Angekommen lief ich direkt zur Umkleide ohne auch nur irgendjemanden zu begrüßen und das wunderte anscheinend einiger meiner Kollegen, denn wenige Sekunden platzen Donna und Camilla rein, während ich noch halbnackt war.

"Was ist los mit dir, Polpetta?", fragte mich Donna mit einem besorgten Blick und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn ihr Kosename für mich, welcher übrigens Fleischbällchen bedeutete, brachte mich jedes Mal zum Lachen.

Donna war Mitte 50 und eine süße, kurvige Italienerin mit hellbraunen Locken. Sie hatte ich hier als erstes kennengelernt und durfte bereits viel von ihr lernen, denn sie war eine erfahrene Physiotherapeutin und hatte sich auf die Osteopathie spezialisiert.

Außerdem konnte sie unglaublich gut kochen und backen, weswegen sich alle in der Mittagspause gerne in ihrer Nähe aufhielten, da sie immer einer ihrer magischen Gerichte von zu Hause mitnahm.

Ich zog mich fertig an und setzte mich auf die Bank der Umkleide, "Danke der Nachfrage, Leute, aber ich bin nur etwas nervös wegen meinem Patienten..", ich wollte sie ja wirklich nicht anlügen, aber diese Geschichte zwischen mir und Kenan würde ich gerne in Luft aufgehen lassen.

"Ach Ziba, du bist so eine gute Studentin, habe ein bisschen Selbstvertrauen, guapa !", sprach mir Camilla zu.

Camilla war eine wunderschöne Spanierin in ihren späten Dreißigern und Mutter von den süßesten Zwillingen der Welt: Aurelia und Aya. Sie war ebenfalls Physiotherapeutin, kümmerte sich aber größtenteils um Kinderpatienten.

"Dankeschön..", gabe ich etwas entrüstet aber lächelnd von mir und umarmte meine Kolleginnen einmal ganz fest. Beide flüsterten mir nochmal aufbauende Worte ins Ohr und verabschiedeten sich dann von mir.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass Herr Juventus in genau fünf Minuten ankommen würde, weswegen auch ich mich auf dem Weg zu seinem Privatzimmer machte.

Diese Privatzimmer, oder sollte ich lieber sagen Privatsuiten, waren mit allem eingerichtet, was man auch nur benötigen könnte. Ein riesiges Badezimmer, eine Lounge-Area, eine kleine, aber moderne Küche und natürlich einen privaten Therapieraum, in welchem alle möglichen Geräte und Instrumente lagen.

Ich nahm auf einem der Sessel in der Lounge-Area platz und wartete nun mit meinen aufgelösten Nerven auf den Typen, der mir den größten Korb meines Lebens verpasst hat. 

Die Zeit zog sich wie Kaugummi und ich war ehrlicherweise kurz davor einfach wieder zu gehen und irgendeine unheilbare Krankheit vorzutäuschen, aber da öffnete sich schon die Tür.

Ich stand auf und trat ein wenig hervor. Mein Chef, gefolgt von Herr Motta betraten als erstes das Zimmer. Darauf folgten zwei Männer, welche Koffer und Gepäck reintrugen.

Und dann kam es auch schon zu dem Moment, vor dem ich mich seit Tagen fürchtete. Kenan betrat den Raum, humpelnd, da sein linkes Bein durch den Achillessehnenriss, nicht völlig funktionstüchtig war. Er wurde bereits operierte und der Riss wurde genäht, jedoch benötigte er nun viel Zeit und Übung, welche ich ihm geben sollte.

Er setzte sich mit einem traurigen, erschöpften Blick auf das Bett und blickte dann zum ersten Mal zu mir hoch. Er erstarrte und so ging es mir auch. Ein kalter Schauer lief meinen Rücken hinunter und ich konnte mich einfach nicht von seinen grünen Augen lösen. 

Er öffnete seinen Mund ganz leicht, so als ob er mir etwas sagen wollte und doch sprach er nicht. Er starrte mich nur mit einem unglaublich intensiven Blick an und musterte mich von oben bis unten. Okay, ruhig bleiben Ziba..

Ich begrüßte Herr Motta und sein Personal und spürte währenddessen immer noch seine Augen auf mir. Schließlich wandte ich mich ihm zu und streckte ihm meine Hand aus, um mich vorzustellen. Das Selbstbewusstsein, welches ich mir gerade aus der Luft gezogen hatte, fing langsam an zu bröckeln, denn er blickte mir direkt in die Augen. Wow.

Und auch dann als er nach meiner Hand griff, verließen seine Blicke mich nicht. Als würde er mich einstudieren, so schaute er mich an. Ich konnte nicht anders als ihn mit der gleichen Intensität zu betrachten und obwohl er auf dem Bett saß, war er immer noch größer als ich sodass ich zu ihm hochschauen musste.

Er nahm meine Hand in seine und drückte sie sanft zu "Ich bin Ziba, ich werde Sie während Ihrer Therapie begleiten und unterstützen, Herr Yildiz." , gab ich so kalt wie möglich von mir. Ich würde ihm auch helfen, aber das heißt nicht, dass ich überaus freundlich zu ihm sein müsste. Nicht nachdem er mich so abgewiesen hatte.

Er schaute mich plötzlich etwas verwirrt an und zog seine Hand wieder zurück "Freut mich,..Ziba." Die Gänsehaut, die er bei mir hinterließ, nachdem er meinen Namen aussprach, versuchte ich gekonnt zu ignorieren. Und, dass seine warme, große Hand mir auch sofort fehlte,...ja das unterdrückte ich auch vollkommen.

Ich trat wieder zurück und mein Chef sowie Herr Motta und sein Team erklärten Kenan nochmal den gesamten Ablauf. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich aufmerksam zugehört habe, denn ich war damit beschäftigt, dass Gefühl von mir zu kriegen, welches er mit seiner bloßen Hand bei mir ausgelöst hatte. Fest drückte ich die Hand zu, welche er in seine genommen hatte und hoffte so würde ich diesen Moment einfach verdrängen können.

Und so wie es aussah, hörte auch er nicht wirklich aufmerksam zu, denn er musterte mich schon wieder und seine Blicke blieben an meiner Hand hängen.


ONLY YOU- KENAN YILDIZ FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt