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Colin saß einen Moment wie in Schockstarre da.

Langsam hob er die Hand und berührte die Stelle, an der Noah ihn geküsst hatte.

Noah hatte ihn geküsst! Und gesagt, dass er ihn gutaussehend fand! Er hatte ihn Grübchen genannt!

Hatte Colin das alles geträumt?

Seinem Herz fiel irgendwann ein, dass es noch nicht Feierabend machen durfte und schlug dann in doppelter Geschwindigkeit weiter, um die verlorene Zeit wieder gutzumachen.

Colin wusste nicht, wie lange er so dasaß, bis sich die Tür wieder öffnete und er sich hoffnungsvoll umdrehte. Allerdings war es Joel, der im Türrahmen stand.

„Colin, hör mal, tut mir leid, wenn ich vorher etwas unfreundlich war. Ich brauche dich! Unser Projekt muss jetzt einfach oberste Priorität haben!", sagte der Brillenträger eindringlich.

Colin stand auf und legte eine Hand auf Joels Schulter.

„Joel... nein", war alles, was er sagte, bevor er sich zum Gehen wandte.

„Nein? Was meinst du mit nein?", rief Joel ihm verwirrt hinterher. Colin drehte sich um.

„Ich kümmere mich morgen um den Stuhl, versprochen. Heute habe ich anderes zu tun und nichts, was du sagst, wird mich davon abbringen", machte er seinem Freund klar. Joel sah äußerst unzufrieden drein, sagte aber nichts weiter. Colin winkte und ging dann weiter, mit einem klaren Ziel vor Augen.

Im Tanzsaal angekommen war er überrascht, Noah nicht beim Karatetraining, sondern beim Klavierspielen vorzufinden. Der blonde Junge saß gedankenverloren am Flügel und spielte eine Colin unbekannte Melodie. Eine Weile blieb Colin im Türrahmen stehen, lauschte den wunderschönen Klängen und beobachtete Noah. Gott, dieser Junge war so schön. Und er überraschte Colin immer wieder aufs Neue. Er hatte bisher nicht gewusst, dass Noah Klavier spielen konnte.

„Hey", sagte Colin leise, als die letzte Note verklungen war. Noah zuckte zusammen und sah erschrocken auf. Als er Colin erkannte, schlich sich ein verlegenes Lächeln auf sein Gesicht. In Colins Bauch breiteten die Schmetterlinge ihre Flügel aus.

„Hi. Hab dich gar nicht kommen hören", sagte Noah. Colin kam langsam auf ihn zu und setzte sich dann neben Noah, nachdem er ein Stück zur Seite gerutscht war, um Colin Platz zu machen. Ihre Seiten berührten sich leicht.

„Was war das für ein Lied, das du gespielt hast?", fragte Colin neugierig.

„Ach, ich hab nur ein bisschen improvisiert", murmelte Noah und strich mit einem Finger über die Tasten.

„Wow. Du könntest einen kompletten Film ganz allein produzieren. Drehbuch schreiben, Regie führen, schauspielern, Musik komponieren...", sagte Colin beeindruckt und Noah lachte.

„Ja, klar. Hat man ja gesehen, wie toll das funktioniert hat", sagte er augenverdrehend. Seine Wangen waren bei Colins Kompliment leicht rot geworden. Er wirkte genauso nervös wie Colin.

„Wolltest du nicht trainieren?"

„Hab mich umentschieden", sagte Noah bloß und sah Colin durch seine langen Wimpern an.

Colin holte tief Luft, doch Noah sprach weiter, bevor Colin etwas sagen konnte.

„Willst du mit Freddy und mir spazieren gehen?"

„Äh... klar", meinte Colin und blinzelte überrascht. Scheinbar konnte Noah gerade nicht stillsitzen. Noah lächelte, stand auf und nahm dann einfach Colins Hand in seine und zog ihn mit sich.

Colin wusste nicht, was hier gerade geschah, doch er ließ es einfach geschehen. Er würde sich sicher nicht beschweren, dass er gerade händchenhaltend mit Noah durchs Internat lief. Noah machte keine Anstalten, ihn loszulassen, und so gingen sie beide schweigend mit einem großen Lächeln im Gesicht zu Herrn Chung und holten Freddy ab. Sie warfen sich immer wieder schüchterne Blicke zu, doch keiner traute sich, etwas zu sagen. Colins Herz würde wahrscheinlich bald aus seiner Brust springen, so stark wie es schlug.

Never enough | NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt