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Nein, nein, nein, nein! Das durfte nicht passieren! Was machten die beiden hier?

Noah versuchte, sein wild trommelndes Herz zu beruhigen, doch die Angst breitete sich wie Lauffeuer in seinem ganzen Körper aus. Er durfte Freddy nicht verlieren! Er machte sich um Colin keine großen Sorgen, aber wenn Joel ihn verraten würde...

„Das ist dein Hund?", fragte Colin, als ob es nicht offensichtlich wäre. Noah ging gar nicht erst darauf ein.

„Was fällt euch ein, mir nachzulaufen? Wehe ihr sagt was!", drohte Noah, doch er wusste, dass es eine leere Drohung war. Was sollte er schon machen, wenn sie es doch taten?

„Natürlich sagen wir nichts!", meinte Colin sofort und klang aufrichtig. Noah hatte mit dieser Reaktion fast schon gerechnet, doch da war immer noch Joel. Der sah Noah recht unbeeindruckt an, auch als er ihm einen herausfordernden Blick zuwarf. Schließlich hob Joel nur die Schultern und wandte sich zum Gehen.

„Ich geh wieder zurück. Kommst du, Colin?"

Der Lockenkopf warf einen letzten Blick zu Noah und Freddy, bevor er Joel folgte.

Noah kniete sich zu seinem Hund und kraulte ihm beruhigend das Fell- wobei es für Noah wohl beruhigender war als für Freddy. Der hatte sich sichtlich gefreut, neue Menschen kennenzulernen und hatte sich von Colin problemlos anfassen lassen, obwohl er Fremde das sonst nie machen ließ.

Noah schloss die Augen.

Scheiße.

Am Abend war Noah nicht bereit, zurück in sein Zimmer gehen. Stattdessen lag er auf der Skaterrampe vor dem Internat und schaute in die Sterne. Sie ließen ihn sich manchmal ganz klein fühlen in einem riesigen Universum, fast schon unbedeutend. Naja, vielleicht sollte er es eher so sehen, dass seine Probleme unbedeutend waren, im Großen und Ganzen. Auch wenn Colin und Joel jetzt hinter sein Geheimnis gekommen waren, war es nicht das Ende der Welt. Es würde weitergehen. Es würde sich nur verändern.

Das Quietschen der Eingangstür zum Internat durchdrang die Stille der Nacht, die nur von den Geräuschen der Natur erfüllt war. Noah befürchtete, jeden Moment von Frau Schiller ermahnt zu werden, dass jetzt die Nachtruhe begann, doch eine andere Stimme brachte Noah dazu, sich aufzurichten.

„Darf ich mich zu dir setzen?", fragte Colin leise.

„Klar", antwortete Noah überrascht, aber ebenso leise. Der brünette Junge nahm neben Noah Platz und ließ nur wenig Abstand zwischen ihnen, was jedoch der Größe der Rampe geschuldet war. Noah machte das nichts aus. Im Gegenteil. Er genoss die Nähe zu seinem Mitbewohner, vielleicht mehr als er sollte. Er hatte sich bei Colin von Anfang an seltsam wohl gefühlt. Das war er nicht gewohnt. Er war vorsichtig gewesen und hatte sich ihm nicht direkt anvertraut, doch in den letzten Wochen hatte Noah feststellen können, dass Colin ein aufrichtig guter Mensch war und er hatte keine Angst davor, dass er ihn verraten würde. Tief in seinem Inneren wusste Noah auch, dass Joel ihn ebenso wenig verpetzen würde, doch zu dem Brillenträger hatte er einfach noch keine gute Beziehung aufbauen können. Sie nervten sich einfach gegenseitig, sie waren zu unterschiedlich. An sich war das ja auch okay. Zusätzlich war Noah aber sehr vorsichtig, weil er nicht einschätzen konnte, wie die Leute am Internat drauf waren. Er hatte bisher zum Glück jedoch keine negativen Erfahrungen machen müssen. Vor allem im Vergleich zu seiner alten Schule schienen hier alle total entspannt und offen.

Insbesondere bei Colin hatte Noah sich von Anfang an komplett angenommen gefühlt. Noah hatte nicht viel von sich preisgegeben, aber Colin schien ehrlich interessiert an seiner Person zu sein und ließ sich nicht abschrecken. Er hatte Noah mehrfach seine Hilfe angeboten, wollte ihn kennenlernen und versuchte Zeit mit ihm zu verbringen. Noah war davon überrascht, fühlte sich aber sehr geschmeichelt, dass Colin seine Nähe suchte. Sein Crush auf Colin, den er seit dem ersten Tag hatte, war dadurch nur noch größer geworden. Noah hatte gehofft, dass es oberflächlich bleiben würde, da es sicher keine gute Idee war, sich in seinen Mitbewohner zu verlieben, aber leider war Colin nicht nur extrem süß, sondern hatte auch noch eine tolle und interessante Persönlichkeit.

Noah befürchtete, dass seine Schwärmerei nur noch schlimmer werden würde.

„Du musst keine Angst haben", sagte Colin da und Noah drehte erschrocken den Kopf zu ihm. Konnte der Junge jetzt auch noch Gedanken lesen? Bitte nicht!

„Wegen Freddy, meine ich. Ich werde nichts sagen und Joel auch nicht, dafür sorge ich schon", erklärte Colin weiter und Noah atmete erleichtert aus. Dann musste er lächeln.

„Ich weiß. Ich vertraue dir", sagte er und überraschte damit nicht nur Colin, dessen Augen sich leicht weiteten, sondern auch sich selbst. Er musste aber feststellen, dass er es ernst meinte. Colin hatte es irgendwie geschafft, dass Noah sich bei ihm so sicher fühlte, dass er es nicht schlimm fand, sein Geheimnis mit ihm zu teilen. Im Gegenteil. Noah fühlte sich erleichtert, diese Last endlich mit jemandem teilen zu können.

„Danke, Noah, das weiß ich echt zu schätzen. Wenn du möchtest, dann helfe ich dir mit Freddy?"

„Kennst du dich denn mit Hunden aus?", fragte Noah skeptisch nach.

„Ein bisschen", zuckte Colin mit den Schultern.

„Ein bisschen reicht nicht bei Freddy", meinte Noah, musste aber ein Grinsen unterdrücken.

„Wieso? Ist der genauso stur wie sein Herrchen?", neckte Colin ihn und Noah musste lachen.

„Er ist mir einfach total wichtig", war alles, was Noah sagte.

„Das dachte ich mir schon, wenn du ihn extra mit ans Internat schmuggelst. Wolltest du ihn nicht bei deinen Eltern lassen, weil du ihn zu sehr vermissen würdest?", erkundigte sich Colin neugierig und drehte sich noch ein wenig, so dass Noah und er sich jetzt beide im Schneidersitz gegenübersaßen.

Noah seufzte und knetete seine Hände, die in seinem Schoß lagen.

„Meine Eltern leben getrennt und lassen sich gerade scheiden. Sie reden seit Monaten kein Wort mehr miteinander, aber bei Freddy waren sie sich ausnahmsweise mal einig. Der Hund kommt ins Heim, Noah, keine Widerrede!", imitierte er den Tonfall seiner Eltern.

Colin sah ihn mitfühlend an.

„Das tut mir leid. Das war bestimmt nicht einfach für dich", sagte er leise.

Noah zuckte mit den Schultern.

„Nein, es war wirklich keine schöne Zeit. Das einzig Gute war, dass ich die beiden ziemlich leicht anlügen konnte, was Freddy anging. Keiner hat gecheckt, dass ich ihn mitgenommen habe. Aber die sind auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie sich um sowas kümmern würden."

Colin streckte vorsichtig eine Hand aus und legte sie leicht auf Noahs Knie. Wärme durchströmte Noah und er sah auf in Colins wunderschöne Augen, die mit den Sternen am Himmel um die Wette funkelten.

„Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Ich helfe dir gerne und ich lass dich nicht im Stich", versprach Colin und Noah hatte einen Kloß im Hals.

Noch bevor er jedoch antworten konnte, ging die Internatstür erneut auf und eine wütende Frau Schiller erschien im Türrahmen.

„Sagt mal, wisst ihr eigentlich, wie spät es ist? Ab ins Bett, aber zackig!", hallte ihre Stimme durch den Hof.

„Shit!", entfuhr es Colin und Noah gleichzeitig. Sie grinsten sich kurz an, bevor sie von der Rampe sprangen und eilig ins Internat liefen. Sie schoben sich mit eingezogenen Köpfen an Frau Schiller vorbei und machten sich auf den Weg zu ihrem Zimmer, als die Internatsleitung ihnen noch hinterherrief: „Ihr übernehmt morgen den Küchendienst!"

Noah drehte sich zu ihr um und legte einen Finger an die Lippen.

„Es ist Nachtruhe, Frau Schiller, ein bisschen leiser bitte, sonst wecken Sie noch alle auf!", flüsterte er gespielt dramatisch.

Colin schlug sich eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen, während Frau Schiller für einen Moment die Spucke wegblieb. Dann begann sie süß zu lächeln. Deutlich leiser als vorher sagte sie:

„Eine Woche Küchendienst."

Never enough | NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt