Aufwachen

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Nicht enden wollende Dunkelheit. Schweigen und Stille, viel zu lang. Ein verebbter Schrei. Ein Flüstern. Ein Licht in der Finsternis.

Dean hasste das erste Mal als Cas sein Herz berührte.


Sam hatte endgültig genug gehabt von dem Schweigen und der Apathie seines Bruders und hatte einen Fall für sie gesucht. Übel zugerichtete Opfer mit fehlenden Herzen. Er hatte Dean vor vollendete Tatsachen gestellt und bestimmt, dass sie gingen.
Es war dunkel, so dunkel. Unbeweglich stand Dean da, als der Werwolf auf ihn zukam, langsam, lauernd. Er ließ die Waffe sinken. Er hatte keine Kraft mehr zu kämpfen, schon so lange nicht mehr. Und so schloss er die Augen, wartete ergeben auf das was kommen würde, hatte aufgegeben.
„Dean!" Das panische Rufen rüttelte ihn wach. Er sah Sam an, sah die Furcht in dessen Augen. Dann schoss er dem Werwolf zwischen die Rippen.

Schweißgebadet erwachte Dean in seinem Bett. Schwer atmend blieb er noch einen Moment liegen, bevor er sich ächzend aufsetzte. In seinem Schädel hämmerte der vertraute Kopfschmerz. Er fröstelte. Seine unsteten Schritte stießen einige leere Whishyflaschen um, die sich auf dem Boden angesammelt hatten. Der Morgen dämmerte, er brauchte einen Drink, und einen Fall.


Sams Einwände waren unverhältnismäßig und hielten ihn bloß auf. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Dean allein jagen ginge. „Ich werde schon auf mich aufpassen."
„Ach ja?" Unvermittelt packte Sam seinen linken Arm, zog den Ärmel seines Hemdes hoch und entblößte frische Schnittwunden über den gesamten Unterarm und das Handgelenk verteilt. Mit einem Ruck entzog sich der Ältere der Berührung und riss den Ärmel zurück über seinen Arm. „Dean..."
Ein Moment betroffenen Schweigens.
„Ich konnte ihn nicht retten, Sammy..."
Wie viele Verluste kann ein Mensch wohl ertragen bis er sich selbst verliert? Der Jüngere schluckte seine Affekte hinunter, nickte dann irgendwo zwischen Verstehen und Entschlossenheit. „Ich werde dich nicht allein lassen."


Es machte keinen Unterschied.
Ein altes Haus, gefangene Geister, die nicht weiterziehen konnten. Der Fall war austauschbar, und doch der lang erwartete Vorwand. Wäre es nicht dieser gewesen, hätte er einen anderen gefunden. Einen anderen Fall, einen anderen Vorwand, einen anderen Grund, um es enden zu lassen, um zu gehen. Die Entscheidung war getroffen, er wählte den Tod. Selbst Sam konnte ihn nicht aufhalten.


Dean hatte geglaubt es wäre anders.
Noch immer fühlte er. Noch immer erinnerte er sich an all die Dinge, die ihn quälten, an all die Dinge, die er getan hatte, an all die Dinge, die er nicht getan hatte, an all die Leben, die er nicht gerettet hatte. Noch immer spürte er die Nadel in seiner Brust, die er sich selbst in den Leib gestoßen hatte, das Gift, das er sich in sein Herz injiziert hatte. Es tat weh, sehr. Er hatte geglaubt hier gäbe es keine Schmerzen mehr. Er hatte geglaubt hier müsste er nicht mehr fühlen, nicht mehr sein.

Es war dunkel. Hier war nichts. Hier war nichts als undurchdringliche Dunkelheit und Schmerz. „Wo bin ich?"
„In der Leere." Der Tod war an seiner Seite. Ihr Name war Billy. Sie war bei ihm, nicht die Person, auf die er gehofft hatte.
„Ist er hier?"
„Ja." Sie hielt ihn zurück. „Dein Platz ist nicht hier. Du gehörst nicht hierher. Noch nicht. Einestages werde ich dich mit mir nehmen, Dean, aber dieser Tag ist nicht heute." Ihre Stimme klang beinahe sanft, wie Herbstwind, der sterbende Blätter von ihren einst unerschütterlichen Bäumen löste.
„Lass ihn mich noch einmal sehen, bitte, nur noch einmal!" Eine Hand hilflos ausgestreckt in das dunkle Nichts; doch schon spürte er, wie er fort gerissen wurde, fort aus dieser Dimension zurück in die seine, erbarmungslos fort von ihm. „Cas?!"


Dean erwachte mit seinem Namen auf den Lippen. Ein Beben erfasste ihn, das seinen gesamten Leib erschütterte, als die Realität über ihn hereinbrach, die Erkenntnis, der Schmerz. Der Schrei, der sich aus seinem tiefsten Inneren gelöst hatte, verebbte als wäre dort nun ein klaffendes Loch, Zeugnis dessen, dass ein Teil von ihm selbst für immer verloren war.
Die Arme seines Bruders um ihn, spürte er Sams Emotionen über sich spülen wie eine Welle nach der Sturmflut. Wie betäubt ließ Dean sich einen Augenblick von ihm halten, bis er dessen Erleichterung nicht mehr ertrug und ihn von sich schob. Schmerz in den Augen seines Bruders und Schmerz in seinem eigenen Brustkorb, zwei Rippen waren gebrochen, Sam hatte ihn wiederbelebt.
Bisher hatte Dean angenommen, es gäbe für ihn genau zwei Optionen, entweder Cas kam zurück zu ihm oder er würde dem Engel eher früher als später folgen. Doch nun wurde ihm klar, dass das bloß Ausflüchte gewesen waren, um die einzig denkbare Variante so lang wie irgend möglich zu leugnen. Die schwierigste von allen. Zu leben. Ohne ihn.

For the first time (Destiel Oneshots)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt