V. Aufwärmen | Juri

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Ganze dreiundzwanzig Minuten zu spät erschien ich an der Halle der Rhein-Neckar Löwen. Genervt stieg ich aus meinem Auto aus. Hätte diese blöde Kuh sich nicht einfach beeilen können? Sie hatte doch gewusst, dass ich heute das erste Mal bei meiner neuen Mannschaft aufschlagen würde. Ein weiteres Mal würde ich mir das nicht gefallen lassen. Sie wollte, dass ich früher dran war? Konnte sie haben. Morgen würde sie schon sehen, dass sie sich besser nicht mit mir anlegen sollte. Jetzt allerdings, musste ich mich zunächst auf das Training konzentrieren. Es war nicht das erste Mal, dass ich die Halle in Heidelberg betrat, schließlich hatte ich bereits gegen die Löwen gespielt – und auch gewonnen. Dennoch konnte ich nicht abstreiten, dass ich nervös war und das nicht nur ein winziges Bisschen. Ich klaubte meine Tasche aus dem Kofferraum und schlug diesen zu. Dann betrat ich die Halle. Das würde jetzt peinlich werden, schoss es mir durch den Kopf, als ich die Umkleide betrat und dort nur noch ausgepackte Tasche auf mich warteten. Bisher hatte ich mir noch keine gute Ausrede zurecht gelegt, die ich erzählen würde, wenn ich nach der Verspätung gefragt wurde. Vielleicht sollte ich es mit der Wahrheit probieren. Schließlich konnte ich doch auch nichts dafür, dass Miriam sich wie eine eingebildete Ziege verhielt und eine halbe Ewigkeit das einzige Badezimmer belegt hatte, dass es nun eben in der Wohnung gab. Es sollte verboten sein, Wohnungen zu bauen mit vier Schlafzimmern und nur einem einzigen Badezimmer. Eins stand fest, nochmal würde diese peinliche Situation nicht vorkommen. Ich zog erneut das Haargummi fest, atmete tief durch und betrat dann die Halle. Dort waren bereits einige Handballer mit dem Aufwärmen beschäftigt. Im Grunde sah die Halle aus, wie jede andere, vielleicht war sie ein bisschen größer und hatte mehr Fenster aber mal davon abgesehen. Auch der Boden fühlte sich genau gleich an, wie der, auf dem ich die letzten Jahre trainiert hatte. Immerhin musste ich mir jetzt nicht schon wieder neue Schuhe kaufen.

„Knorr! Schön, dass Sie uns auch mal mit Ihrer Anwesenheit beehren", ich zuckte zusammen, als ich meinen Namen hörte und versuchte die Person aus zu machen, die mich offenbar zuerst bemerkt hatte. Verdammt. Hoffentlich würde ich jetzt keine Standpauke bekommen. Eigentlich war ich immer pünktlich. Heute war bloß eine Ausnahme, an der ich ehrlicherweise überhaupt keine Schuld trug. Ein bisschen missmutig ging ich auf den Trainer zu, mit dem ich mich bisher kaum unterhalten hatte.

„Wollen Sie ihr Zuspätkommen erklären? Oder muss ich es einfach so hinnehmen?", auffordernd sah er mich an und verschränkte die Arme vor der Brust. Wenn ich jetzt gar nichts sagen würde, wäre ich absolut am Arsch. Dieser Mann würde keine Ausrede akzeptieren. Das ich verschlafen hatte konnte ich schon mal aus meiner Liste streichen. Dann musste eben doch die Wahrheit herhalten. Auch wenn ich befürchtete, dass er mich dafür auslachen würde.

„Meine Mitbewohnerin hat das Badezimmer blockiert und in der WG, in der ich jetzt wohne gibt es dummer Weise bloß ein Badezimmer", brachte ich zerknautscht hervor und heftete meinen Blick auf den Boden, um die Reaktion nicht sehen zu müssen.

„Das meinen Sie nicht ernst, oder?", er hob fragend eine Augenbraue.

„Warum sollte ich Ihnen das erzählen, wenn es nicht genauso passiert wäre?", verdutzt wandte ich meinen Blick vom Boden ab und sah stattdessen ins Gesicht meines Trainers. Ich wusste selbst ganz genau, dass man mit Lügen sowieso nicht weit kommen würde. Bei einem Neubeginn war es wichtig, das Vertrauen seines Gegenübers zu gewinnen – so hatte es mir mein Vater beigebracht, nachdem ich ihm von meinem ersten Vertrag bei den Profis erzählt hatte.

„Gut. Aber das kommt nicht noch einmal vor, haben wir uns verstanden, Juri? Und jetzt geh dich aufwärmen", die Überraschung zeichnete sich auf meinem Gesicht ab und ich nickte schnell. Ich hatte mit Strafübungen und einer Verwarnung wegen Unpünktlichkeit gerechnet. Stattdessen, hatte ich offenbar ein bisschen Welpen Schutz. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Hoffentlich hatte das keine langfristigen Folgen.

Es dämmerte bereits, als ich die Haustür aufschloss. Gerade als ich das Haus betrat, kam mir jemand entgegen. Scharf zog ich die Luft ein.

„Kannst du nicht aufpassen?", wurde ich von einer mir sehr bekannten Stimme angeschnauzt.

„Ich? Du bist doch in mich reingelaufen", protestierte ich sofort. Ihre grünen Augen funkelten mich wütend an, während sie sich an das Haargummi griff um es fest zu ziehen. Ich widerstand dem Drang genau das gleiche zu tun. Inzwischen mussten meine Haare bestimmt zu allen Seiten abstehen. Ich ließ mich von ihrem Blick allerdings nicht einschüchtern und blieb weiterhin mit schulterbreiten Beinen vor ihr stehen.

„Würde es dir etwas ausmachen, mich endlich durch zu lassen?", sie biss die Zähne aufeinander und sah mich noch immer einschüchternd an.

„Keine Sorge, du Zwerg. Wo auch immer du hin musst, so wichtig kanns ja nicht sein, wenn du Zeit hast, dich mit mir zu streiten", entgegnete ich trocken und hob herausfordernd die Augenbraue.

„Zwerg? Ich bin größer als der Durchschnitt der Frauen in Deutschland! Nur weil du so ein Riese bist, musst du dir da jetzt nichts drauf einbilden", behauptete sie zickig.

„Handballer müssen eben groß sein", ich zuckte gelassen mit den Schultern. Ein Lächeln brach aus mir heraus. Diese Frau war wirklich ein kleiner Kampfzwerg.

„Lass mich raten Kreisliga?", sie tippte sich nachdenklich neben Mundwinkel. Dabei lag ihr Blick noch immer auf mir.

„Knapp daneben. Bundesliga", stellte ich richtig. Ich würde es vor ihr nicht zugeben, aber ich war ziemlich stolz darauf, was ich im Handball bisher erreicht hatte.

„Bundesliga? Und da nehmen sie jemanden wie dich?", verständnislos sah sie mich an. Die Spucke verschwand schlagartig aus meinem Mund. Ich musste mich gerade verhört haben.

„Was soll das denn heißen?", entsetzt verschränkte ich die Arme vor der Brust.

„Denk dir den Rest", giftete sie, dann drückte sie sich an mir vorbei und verschwand. Verdammt. Was war das denn gewesen? Offensichtlich war sie geradezu auf Krawall aus. Wo sie wohl so spät noch hinwollte? Zur Uni sicher nicht. Die hatte bestimmt schon vor ein paar Stunden geschlossen. Zügig nahm ich gleich zwei Stufen auf einmal nach Oben und schloss die Wohnungstür auf.

„Oh hey Juri, schon zurück? Willst du was essen? Ich habe gekocht", begrüßte Freddi mich, als ich meine Schuhe ausgezogen hatte und in Socken durch die Wohnung schlurfte. Einen Moment überlegte ich, wie ich sie höflich abwimmeln konnte. Doch bevor ich überhaupt zu Wort kommen konnte, begann sie weiter zu quasseln.

„War nur ein Witz. Ich kann eigentlich gar nicht kochen. Miri hat Essen gemacht. Wenn du möchtest, in der Küche", sie lächelte verlegen.

„Wenn Miriam gekocht hat, verzichte ich lieber. Nachher hat sie es noch vergiftet", erklärte ich nüchtern und verschwand in meinem Zimmer. Damit ließ ich die Blondine stutzig zurück.

Ob sich Juri und Miriam wohl noch anfreunden können...?

Nach einer lang genugen Wartezeit geht es endlich weiter, dieses Mal noch mehr von Juris äußerst bereicherndem Gedankengut ;)

Lasst gerne ein Sternchen & ein Kommentar da, darüber freue ich mich sehr :)
Wir lesen uns
Lene <3

If hearts could tell | J. KnorrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt