IV. Aufwärmen | Miriam

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Als ich durch die Haustür trat, schallte laute Musik durch das Treppenhaus. Verwirrt verzog ich das Gesicht und stapfte die Stufen nach oben. Meine Beine taten weh und zitterten bei jedem Schritt, aber dieses Gefühl wollte ich nie wieder missen. Das Ballett hatte mir wirklich sehr gefehlt und als ich mich dazu entschieden hatte, damit wieder anzufangen hatte ich wirklich kurz Sorgen, dass ich keinen Spaß mehr daran haben würde. Jedoch hatte es sich beinahe so angefühlt wie damals, als meine Mutter mich zu meiner ersten Stunde mitgeschleppt hatte. Sogar die Aufregung davor, was mich erwarten würde, war die selbe gewesen. Inzwischen ging ich regelmäßig in den Kurs, der ausschließlich aus Erwachsenen bestand, die in ihrer Kindheit bereits schonmal Ballett getanzt hatten. Genervt kramte ich in meiner Trainingstasche nach meinem Schlüssel, nachdem ich bemerkt hatte, dass die laute Musik ausgerechnet aus unserer Wohnung drang. Bereits jetzt war ich mit den Nerven am Ende und vollkommen fertig von meiner Ballettstunde. Vermutlich würde ich mich sowieso direkt auf mein Zimmer verkriechen. Das Schloss klackerte als ich den Schlüssel drehte. Schnell striff ich mir die Schuhe ab, verräumte diese im Schuhregal und wollte gerade weiter gehen, als mir ein weiteres Paar Schuhe auffiel, welches einfach neben dem Regal abgestellt wurde. Seufzend griff ich danach und stellte sie neben meine eigenen. Dann kämpfte ich mir meinen Weg durch die Wohnung. Ich hatte gar nicht gewusst, dass wir so viele Nachbarn hatten – immerhin konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand von weiter her am Sonntagabend gekommen wäre. Unterwegs hielt ich Ausschau nach Luke oder Freddi, jedoch schienen beide irgendwo untergetaucht zu sein. Vielleicht hatten sie bereits mitbekommen, dass ich wieder hier war – und nicht unbedingt bei bester Laune.

„Darf ich mal?", ich warf dem knutschenden Paar einen angeekelten Blick zu und drängte mich dicht an ihnen vorbei. Zum Glück war ich die nächste drei Wochen nicht mit dem Wocheneinkauf dran. Die Menge an Alkohol, die heute Abend geflossen war, würde ich auf keinen Fall bezahlen können. Zumal ich auch überhaupt nichts davon getrunken hatte. Es war nicht so, dass ich kategorisch keinen Alkohol trank, aber wenn, dann nicht überschwänglich. Dann entdeckte ich Freddi, die gerade auf dem Sofa saß und sich mit irgendwelchen Nachbarn, die ich garantiert noch nie gesehen hatte, unterhielt.
„Freddi, sag mal, was soll das hier?", stutzig sah ich meine beste Freundin an, die offenbar nicht mehr ganz nüchtern war.

„Willkommensparty", lallte diese, „Mach dich locker, hol dir was zu trinken und wir feiern." Angewidert schüttelte ich den Kopf und entfernte mich von unserem Wohnzimmer. Es konnte doch nicht sein, dass hier überall Menschen waren. Hatte man denn nirgends seine Ruhe? Hastig bewegte ich mich auf mein Zimmer zu und machte abrupt halt, als ich sah, wie Juri mit irgendeiner dunkelhaarigen Frau rummachte. Es würde mich nicht das leiseste Bisschen stören, wenn sie das nicht ausgerechnet vor meiner Zimmertür tun würden.

„Falsches Zimmer, Blödmann. Macht wo anders rum", blökte ich den Älteren an und warf ihm einen grimmigen Blick zu. Er sah mich kurz an, ohne sich von seinem Püppchen zu lösen und schob diese dann eine Zimmertür weiter. Genervt schnaubte ich und betrat dann mein Zimmer. Zum Glück hatte ich den Schlüssel im Schloss stecken lassen, sodass ich hinter mir sofort abschließen konnte. Keine ungebetenen Gäste in meinem Reich. Zumindest hier wollte ich ungestört sein. So gut das eben ging, wenn die Musik durch die viel zu dünnen Wände drang. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach dem Training eine Dusche zu nehmen, das konnte ich mir nun allerdings sparen, denn wenn die Hütte so voll war, würde das bloß unangenehme Folgen haben, auf die ich keine Lust hatte. Dann würde ich das eben morgen nachholen. Ich packte meine Tasche aus, schnappte mir meine Kopfhörer und begann damit einige meiner Mitschriften aus der Uni durchzulesen, in der Hoffnung, zumindest ein kleiner Teil davon würde in meinem Gehirn hängenbleiben. Leider fehlte mir dazu die Konzentration, weshalb ich es nach nur wenigen Minuten aufgab, stattdessen in meinen Schlafanzug schlüpfte und mich in mein Bett legte. Die Musik war inzwischen leiser geworden, dafür das Stöhnen aus dem Nachbarzimmer umso lauter. Ich knurrte genervt und zog mir das Kissen über den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Wer veranstaltete denn bitte an einem Sonntagabend noch eine Party?

Mein Wecker klingelte viel zu früh am nächsten Morgen. Zu gerne hätte ich mich noch einmal umgedreht und weiter geschlafen. Allerdings würde das meinem Chef überhaupt nicht gefallen. Durch meinen Stundenplan war ich beinahe gezwungen, die erste Schicht des Tages zu unternehmen, um auf die nötigen Stunden zu kommen. Stöhnen hievte ich mich auf und suchte mir ein Outfit zusammen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, einfach das von gestern zu nehmen, verwarf diesen allerdings sofort wieder. Aus dem Kleiderschrank zog ich neben einer High-Waist-Jeans und einem Trägertop noch ein Handtuch, denn ich hatte noch eine Dusche, die ich nachholen wollte. Damit bewaffnet marschierte ich aus meinem Zimmer. Gerade als meine Tür ins Schloss fiel, hörte ich eine weitere Türe. Mein Blick glitt nach rechts. Wie angewurzelt stand Juri vor der Tür seines Schlafzimmers und blickte mich an. Er trug ein olivgrünes T-Shirt und eine graue Jogginghose, während die meisten seiner Haare im Gegensatz zum gestrigen Abend wirr zu allen Seiten abstanden. Dieser Anblick war ja beinahe süß. Dann huschte sein Blick zur offenen Badezimmertür und ich wusste sofort, was in seinem Kopf vorging. Auch mein Blick wanderte zu besagter Tür. Auf keinen Fall würde ich ihm das Badezimmer kampflos überlassen. Einen Moment lang sahen wir uns bloß an, dann fassten wir beide den selben Entschluss und sprinteten los. Vermutlich war ich in meinem Leben noch nie so schnell gelaufen wie an diesem Morgen. Krachend fiel die Tür ins Schloss. Triumphierend schloss ich hinter mir die Türe und verriegelte diese sogleich, dass er keine Chance hatte, reinzukommen. Schwer atmend lehnte ich mich gegen diese und pustete mir sogleich eine Strähne meiner langen, dunklen Haare aus dem Gesicht. Das Grinsen war wie auf mein Gesicht tätowiert. Das war schon mal gut gelaufen.

„Ist das dein Ernst?", ich konnte die Wut in seiner Stimme hören, während er lautstark gegen die Tür klopfte.

„Und ob. Viel Spaß beim Warten", rief ich nach draußen und begann damit, mich aus meinem Schlafanzug zu schälen.

„Das ist wirklich uncool! Ich muss zum Training", seine Stimme klang nun deutlich ruhiger.

„Ich muss auch vieles, wenn der Tag lang ist. Musst du eben früher aufstehen", wenn er mich sehen könnte, hätte ich jetzt mit den Schultern gezuckt.

„Aber-"
„Je länger du mich jetzt aufhältst, desto später werde ich dir das Bad überlassen", erinnerte ich ihn und bekam keine Antwort darauf. Ich kicherte kurz leise und stieg dann in die Dusche. Da ich allerdings nicht ganz so fies sein wollte, genoss ich das warme Wasser nicht länger als nötig. Hastig trocknete ich mich ab und begann damit meine langen Haare trocken zu föhnen. Juri musste bestimmt schon seit über einer halben Stunde warten. Und so langsam würden auch die anderen wach werden. Ich steckte ungefähr die Hälfte meiner Haare hoch und begann dann damit Wimperntusche aufzutragen. Eigentlich wollte ich meine leichten Sommersprossen noch abdecken, allerdings war mir erst zu spät aufgefallen, dass ich den Abdeckstift in meinem Zimmer vergessen hatte. Notgedrungen fiel dieser Schritt somit also aus. Ich sammelte meinen Schlafanzug vom Boden zusammen, hängte das nasse Handtuch auf, öffnete das kleine Fenster des Badezimmers und öffnete dann die Tür.
„Ich dachte schon, du wirst nie fertig", schnaubte der Sportler und warf mir einen verständnislosen Blick zu.

„Ich hätte auch dreimal so lange brauchen können, wenn dir das lieber ist", behauptete ich und sah ihn gelassen an.

„So wie du aussiehst, hättest du das vermutlich auch nötig gehabt", fauchte er und drückte sich an mir vorbei ins Badezimmer. Fassungslos sah ich ihn an. Was erlaubte sich der Kerl eigentlich?

„Sagt gerade der Richtige! Wer zuerst kommt mahlt zuerst. Wenn du das Bad möchtest, musst du eben früher dran sein", giftete ich zurück und verzog mich in Richtung meines Zimmers. Es würde mir Genugtuung geben, wenn er nun meinetwegen zu spät zu seinem Training käme. Verdient hätte er es nach diesem Auftritt auf jeden Fall.


Weil die beiden sich ja noch nicht genug geärgert haben, seit Juri eingezogen ist xD Tatsächlich war die Badezimmer-Streit-Szene eine der ersten Szenen, die ich zu dieser Geschichte überhaupt geschrieben habe.

Lasst gerne ein Sternchen und ein Kommentar da, darüber freue ich mich rießig ;)
Wir lesen uns
Lene <3

If hearts could tell | J. KnorrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt