VII. Aufwärmen | Miriam

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Juri hatte tatsächlich auf mich gewartet. Als ich meine Tasche geschultert hatte, gingen wir schweigend nebeneinander her. Die kalte Nachtluft durchströmte meine Lungen. Obwohl es bereits so spät war, hatte mich noch kein Anflug von Müdigkeit überfallen. Ich schielte für einen Moment zu Juri. Im Gegensatz zu mir, konnte man ihm die Müdigkeit ansehen. Wieso er zu so später Uhrzeit noch wach war? Bereits als er vom Training zurückgekommen war, hatte ich dunkle Schatten unter seinen Augen gesehen – oder es mir zumindest eingebildet. Dann wendete ich den Blick ab.

„Glaub bloß nicht, dass ich das öfter mache. Das war eine Ausnahme", ließ er mich wissen und holte den Autoschlüssel aus seiner Jackentasche. Die Schlüssel klirrten bei jedem Schritt aneinander. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Er hätte nicht kommen müssen. Es hatte ihn niemand gezwungen, hier aufzutauchen.

„Du tust so, als hätte ich dich um Hilfe gebeten", ich verdrehte die Augen und sah weiter in die Ferne. Sollte er sich mal nichts darauf einbilden. Vielleicht war es auch gar nicht nötig gewesen, dass er gekommen war. Irgendwie hätte ich es auch allein geschafft. Es waren ja bloß ein paar Idioten gewesen, die der Meinung waren, es wäre in Ordnung eine Kellnerin anzubaggern.

„Ich tue nicht nur so", stellte Juri klar und beschleunigte seine Schritte.

„Habe ich nicht. Ich habe Freddi nach Luke gefragt. Das war alles", korrigierte ich ihn und warf ihm einen eiskalten Blick zu. Wie zum Teufel war Freddi darauf gekommen, ausgerechnet Juri zu mir zu schicken?

„Zu gerne hätte ich gesehen, wie du mit diesen Typen fertig geworden wärst", nun grinste er. Ich war verwirrt. Verwirrt von seiner plötzlichen Stimmungsschwankung. Gerade noch war er todesernst gewesen und nun begann er wieder mit seinen dämlichen Scherzen. Dieser Mann war eine schlimmere Diva als jedes Mädchen das ich kannte.

„Das hätte ich schon geschafft, ist ja nicht das erste Mal, dass das vorkommt", ich verdrehte die Augen und stricht mir eine Strähne hinters Ohr, die mir vom leichten Wind immer wieder ins Gesicht gepustet wurde. Leider war es in unserer Gesellschaft längst keine Seltenheit mehr, dass Männer sich an Frauen vergriffen oder sie belästigen. Vor allem wenn ich in der Bar arbeitete, war ich vielen solcher Kerle ausgesetzt, deutlich schlimmer wurde es aber erst, wenn sie getrunken hatten. Bisher ist mir allerdings noch nichts passiert.

„Ja sicher", nun war er derjenige, der die Augen verdrehte. Ich schnaubte. Was sollte das denn heißen? Bloß weil ich eine Frau war, konnte ich nicht mit ein paar Männern fertigwerden? Schweigend liefen wir weiter, bis in der Ferne ein Auto aufleuchtete. Offenbar war das Juris. Überrascht betrachtete ich das schwarze Auto. Da ich allerdings überhaupt keine Ahnung von den Fahrzeugen hatte und froh war, wenn ich mich mit ihrer Hilfe von A nach B bewegen konnte, konnte ich den Wert des Autos nicht einschätzen, aber bestimmt hatte der Wagen ein halbes Vermögen gekostet.

„Steig ein", forderte er mich auf und blieb neben der geöffneten Beifahrertür stehen. Ich warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Ich würde doch wohl selbst noch eine Tür öffnen können, nahm dann aber auf dem Beifahrersitz platz. Er schlug die Tür zu und es dauerte einen Moment, bis sich die der Fahrerseite öffnete. Schwungvoll ließ Juri sich auf den Sitz fallen und starte sogleich den Motor.

„Schnall dich an", wies er mich an.

„Hör auf mich wie ein kleines Kind zu behandeln", schnauzte ich ihn an und griff nach dem Gurt.

„Hör zu. Ich habe gerade keinen Nerv, mich mit dir zu streiten. Wenn du damit also bis Morgen warten könntest, wäre ich dir sehr dankbar", ließ Juri mich wissen. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

„Wieso? Ist es schon zu spät für deine coolen Sprüche, du Profi?", zog ich ihn auf.

„Ich meine es ernst, Miriam. Es ist kurz vor vier. Wie kannst du noch so viel Kraft übrighaben, um dich mit mir zu streiten, obwohl ich bloß gekommen bin, um dir zu helfen?", er seufzte und fuhr dann vom Parkplatz.

„Tut mir leid. Ich hör ja schon auf. Danke, dass du so schnell gekommen bist", Juris Blick war auf die Straße gerichtet. Ich meinte jedes Wort davon ernst. Er antwortete nicht. Stumm betrachtete ich die vorbeirauschenden Lichter, der wenigen Straßenlaternen, die um diese Uhrzeit noch leuchteten. Es kostete mich einiges an Überwindung, meinen Kopf zu drehen, um Juri anzusehen. Sein Zopf saß noch an Ort und Stelle. So wollte er doch nicht etwa schlafen gehen? Außerdem trug er ein schwarzes Shirt unter seiner Jacke. Und dennoch gab es irgendetwas an seiner Ausstrahlung, dass meinen Blick auf ihn zog und es unmöglich machte fort zu sehen.

„Wir sind da", erst das plötzliche Zuknallen der Autotür holte mich zurück in die Realität. Ich schüttelte den Kopf und öffnete dann ebenfalls die Tür.

„Wir müssen leise sein, die anderen schlafen schon", brachte ich unnötigerweise hervor. Als ob er das nicht selbst wüsste. Ob Juri bereits geschlafen hatte, bevor Freddi ihn gefragt hatte? Zumindest trug er nicht mehr das olivgrüne T-Shirt, welches er heute morgen noch getragen hatte, als er aus dem Zimmer gekommen war. Juri hielt mir die Haustür auf, mit schnellen Schritten betrat ich das Haus.

„Warst du noch wach oder hat sie dich geweckt?", sprach ich den Gedanken aus, der mir schon eine ganze Weile durch den Kopf schwirrte. Fragend blickte Juri mich an, während ich in meiner Tasche nach dem Hausschlüssel kramte. Blind danach tastete, weil er meine Aufmerksamkeit erneut auf sich gezogen hatte.

„Nachdem ich angerufen habe. Warst du noch wach?", 'und wenn ja, warum? ', wollte ich hinzufügen, behielt die zweite Frage allerdings für mich.

„Was denkst du denn? Ich glaube nicht, dass mich irgendjemand wach bekommen würde, wenn ich einmal eingeschlafen bin", er zuckte mit den Schultern. Ich tastete tiefer in die Tasche. Triumphierend grinste ich ihn an. Dann zog ich den Schlüssel ans Tageslicht und öffnete uns die Tür.

„Gute Nacht Juri", flüsterte ich, nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte und wie immer sorgsam auf dem Regal abgestellt hatte. Ich wartete nicht auf eine Antwort, sondern lief schnurstracks zu meinem Zimmer. Dabei bildete ich mir ein 'Gute Nacht Miriam' ein. Bestimmt hatte Juri rein gar nichts mehr zu mir gesagt. Mein Gehirn spielte mir schon wieder Streiche.

Sind sie nicht süß, wenn sie sich mal wieder (nicht) streiten ...🤭

Eigentlich wollte ich das Kapitel schon früher hochladen, bin dann aber krank geworden, also kommt es jetzt mit ein bisschen Verspätung (und mal wieder Mitten in der Nacht)

Lasst gerne ein Sternchen & ein Kommentar da, darüber freue ich mich rießig :)
Wir lesen uns
Lene <3

If hearts could tell | J. KnorrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt