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Still huschten wir zu dem Seiteneingang und quetschten uns durch eine leicht geöffnete Tür hindurch.

Irgendwo im Lagerhaus fiel eine Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloss und das letzte bisschen Licht von den Straßen erlosch. Nur das flache Flackern der kaputten Neonröhren warf gelegentlich grün-gelbe Lichtblitze über den rostigen, staubigen Boden. Mit Bedacht schlichen wir uns Richtung Mitte der Halle. Aufmerksam verfolgten meine Augen jeden Schattentanz und jedes Lichtspiel. Adrian dagegen preschte weiter nach vorne. Seine Haltung war angespannt, wirkte dennoch als hätte er nie etwas anderes getan. Diese dunklen, kurzen Haare verliehen seinem Gesicht Erfahrenheit. Ihm schien bewusst zu sein, was hier geschah und wie wir hier wieder herauskommen würden. Mir blieb keine Wahl. Ich musste diesem Unbekannten vertrauen, auch wenn sich jedes Haar in mir gegen diesen Gedanken aufstellte.

Die Luft wurde immer schwerer, der Geruch von altem Öl und Rost intensiver, die Spannung greifbarer. Wir beide kannten weder die Absichten noch die Fähigkeiten des anderen wirklich und doch hatten wir keine andere Wahl, als uns blind aufeinander zu verlassen. Adrians Grün traf auf mein Braun – eine unausgesprochene Einigung, dass wir für den Moment zusammenarbeiten würden.

„Also, wie wollen wir vorgehen?", fragte Adrian mit seiner tiefen, kontrollierten Stimme, während er seine Umgebung weiter absicherte. Seine Augen wanderten über die vielen dunklen Ecken und potentielle Verstecke, stets bereit, jede unerwartete Bewegung zu erfassen. Ich zögerte, bevor ich antwortete. Etwas in mir sagte mir, dass wir zwar die selbe Mission hatten, aber unterschiedliche Ziele verfolgten.

„Wir müssen das Lagerhaus gründlich durchsuchen und alle möglichen Fluchtwege absichern." Meine Stimme war leise, aber voller Entschlossenheit. „Wenn der Schattenkönig hier ist, darf er nicht entkommen."

„Ich bin kein blutiger Anfänger", entgegnete Adrian, etwas schärfer als wahrscheinlich beabsichtigt. Schnell gewann er seine Fassung zurück und fügte hinzu: „Aber wir sollten einen Plan haben, falls wir ihn tatsächlich hier auffinden."

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, nickte ich. „Wir packen ihn und schaffen ihn hier so zügig wie möglich heraus. Lebendig, wenn möglich. Aber wenn es zu gefährlich wird..." Meine Worte ließen den restlichen Satz in der Luft hängen. Wir wussten beide, was das bedeutete.

Ein plötzlicher, metallischer Klang ließ uns beide aufhorchen. Es klang, als wäre etwas Schweres umgestoßen worden. Adrian drehte sich blitzschnell in Richtung des Geräusches, während ich reflexartig in Deckung ging, Waffe fest im Griff. Mit einer Kopfbewegung deutete Adrian auf die Richtung des Lärms.

„Das kam von hinten", flüsterte Jenkins, während er sich an einer der Wände heranpirschte. Lautlos folgte ich ihm, unsere Bewegungen synchron, als hätten wir Jahre zusammengearbeitet.

Die Lagerhalle schien ein Labyrinth aus rostigen Kisten, Fässern und verrotteten Platten zu sein, hinter denen sich jemand problemlos verstecken konnte.

„Deck mich", sagte Adrian knapp, während er sich in der Nähe des Ursprungs des Geräusches bewegte. Ohne Widerrede tat ich genau das, meine Waffe auf das Zielgebiet gerichtet, meine Augen fokussiert. Ich wartete auf das kleinste Anzeichen von Gefahr.

Mein Partner schlich sich näher an eine alte Holzkiste, die anscheinend kürzlich bewegt worden war. Sein Atem schien ruhig, seine Muskeln angespannt und bereit. Dann, ohne Vorwarnung, schnellte er vor, riss die Kiste zur Seite und richtete seine Waffe auf das, was dahinter verborgen war.

Nichts. Nur eine leere Kiste und eine offene Luke, die in den Untergrund führte.

Sofort war ich an seiner Seite. „Eine Fluchtmöglichkeit", murmelte ich, während ich in die Luke starrte, die in eine Leere gefüllt mit Geheimnissen führte. „Er könnte da unten sein."
„Oder jemand anderes", korrigierte Adrian mich.

Wir wussten nicht was da unten war. Verstärkung war das Sicherste, was wir tun sollten. Die Spur durfte nicht unentdeckt bleiben. Ein kurzer Moment des Schweigens folgte, indem wir beide unsere Optionen abwogen.
Aus dem Nichts heraus wagte Adrian den ersten Schritt. „Lass uns sehen, wer das Spiel spielt, Vika", sagte er, bevor er sich in die Luke hinunterließ.

„Jenkins, was machen Sie da?", zischte ich leise. Dieser Mann hatte definitiv keine Scheu vor Gefahren, aber das war kein Grund kopflos zu handeln. Doch verschwand er still in der Dunkelheit. „Alleine schafft er das nicht", flüsterte ich leise, der Versuch mich zu überzeugen, dass das hier eine gute Idee war.

Ich folgte ihm.

Der Abstieg führte in einen feuchten, engen Gang, der in völlige Dunkelheit gehüllt war. Nur die schwachen Lichtkegel unserer Taschenlampen brachen durch die Finsternis, während wir langsam und wachsam vorrückten.
Die Stille wurde von unserem schweren Atem und dem entfernten Brummen von alten Maschinen unterbrochen. Die Luft war moderig, kaum erträglich. Jeder Schritt hallte in den Wänden wider, verstärkt durch die Enge des Raumes.

Dann sahen wir es beide gleichzeitig: eine Gestalt am Ende des Ganges, kaum mehr als ein Schatten, aber eindeutig menschlich. Die Figur stand reglos, als ob sie auf etwas wartete. Automatisch spannte ich mich an, mein Herzschlag beschleunigt und stark pochend gegen meine Brust. Adrian dagegen schien gelassen, seine Augen fixiert. Unsere Blicke trafen sich. Wir nickten.

Die Gestalt bewegte sich etwas. Plötzlich drehte sie sich um und rannte tiefer in den Gang hinein, weg von uns. Ohne mit der Wimper zucken, stürmten wir hinterher. Unsere Schritte hallten lauter als je zuvor.  Wer auch immer diese Person war, sie wusste, wie man sich in diesem Irrgarten bewegte. Aber auch wir waren Profis, und ließen unser Ziel nicht aus den Augen, während wir durch die Dunkelheit jagten.

Der Verfolgungsjagd folgte eine plötzliche, ohrenbetäubende Stille, als die Gestalt in eine Tür stürzte und sie mit einem lauten Knall hinter sich zuschlug.

Das wars.

Adrian erreichte die Tür als Erster, und ohne nachzudenken, trat er sie auf. Er war verrückt. Doch es funktionierte. Die Tür sprang auf und wir traten in einen großen, schwach beleuchteten Raum. Das, was uns dort erwartete, ließ uns innehalten. Es war keine Falle – aber auch kein Versteck.
In Mitte des Raums stand ein kleiner, wackeliger Tisch, auf dem eine einzelne, flackernde Lampe stand. Darauf lagen Dokumente, Bilder und eine Karte von der Stadt. Während Adrian sich auf die Fakten stürzte, durchsuchte ich den Raum. Die Gestalt war verschwunden. Ein offener Lüftungsschacht deutete auf den Fluchtweg.

„Wir müssen hier lang", sagte ich in Richtung von Adrian. Doch dieser war wie erstarrt. In seinen zittrigen Händen lag ein Foto.

„Ich glaube das hier hat mehr Bedeutung." Seine Stimme so leise, dass ich ihn beinahe nicht gehört hätte.

„Was zur Hölle ist das?", murmelte ich, als ich die Szene näher betrachtete. Meine Augen musterten die Bilder.

„Das sind Informationen über den Schattenkönig oder auch genannt Dmitri Volkov... und über uns." Ich hielt ein Foto in der Hand. Ein Kopf mit einem Fragezeichen und diesem mysteriösen Namen, während meine Augen über Bilder von mir von vor wenigen Tagen schweiften. „Jemand wollte, dass wir das hier finden", presste ich heraus.

„Aber wer? Und warum?" Adrians Stimme war gefüllt mit einer ungezügelten Wut und Unsicherheit.

Die Fragen blieben unbeantwortet, als wir uns näher um den Tisch versammelten. Es war klar, dass wir tiefer in eine Verschwörung geraten waren, die weit über unseren eigentlichen Auftrag hinausging. Wir wussten nicht, wem wir vertrauen konnten, aber eins war sicher: Von nun an konnten nur wir aufeinander zählen.

Und in der Dunkelheit, versteckt zwischen den Schatten, beobachtet jemand unsere jeden Schritte.

GiftkussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt