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Die Nacht hatte sich über die Stadt gelegt, als ich endlich in meiner Wohnung ankam. Die Kälte der Dunkelheit kroch mir in die Knochen, obwohl die Heizung längst aufgedreht war. Es war nicht nur das Wetter – es war das Gespräch mit Adrian, das mich frösteln ließ. Dabei hatte ich in Martas Café so sehr versucht einfach nur meinen Kaffee zu genießen und diesen Mann aus meinem Kopf zu verbannen. Während ich mir die Jacke von den Schultern streifte und sie achtlos auf den Stuhl warf, hallten seine letzten Worte in meinem Kopf wider.

Kaum hatte ich den Lichtschalter betätigt, klingelte mein Handy. Adrians Name blitzte auf dem Display auf, und für einen Moment überlegte ich, ob ich rangehen sollte. Der Drang, die Dinge mit ihm zu klären, war stark, doch etwas in mir sträubte sich dagegen. Ich drückte den Anruf weg und warf das Handy aufs Sofa, als könnte ich damit die Anspannung loswerden, die sich in mir aufgestaut hatte. Doch das Klingeln verstummte nur kurz, bevor es wieder begann. Hartnäckig, wie der Mann selbst.

Mit einem Seufzen hob ich das Handy wieder auf und nahm den Anruf an.
„Was ist?"
„Wir müssen reden." Adrians Stimme klang fest, fast fordernd. In mir brodelte das Verlangen ihn endlich auszuquetschen bis auf den letzten Tropfen. Aber er war kein Mann, der so einfach mit sich reden ließ, das hatte ich schon zu spüren bekommen.

„Das haben wir doch schon, oder?", entgegnete ich kühl. „Reden ohne wirklich etwas zu sagen." Das war es, was wir die ganze Zeit über taten. Wir drehten uns im Kreis, während die Sanduhr unaufhaltsam weiter rieselte. Die Zeit wurde enger und wir haben noch nicht einen Erfolg zu verzeichnen.

„Viktoria, es ist wichtig."
„Wirklich?" Meine Geduld war am Ende. „Weil es mir so vorkommt, als würde ich im Dunkeln tappen, während du mehr weißt, als du zugibst. Ich habe es satt, Adrian. Wenn du etwas weißt, dann sag es mir jetzt."
Er zögerte. „Ich kann dir nicht alles erzählen. Noch nicht."

Lukas hatte Recht.
Adrian wusste mehr als er zugab.
Adrian war voller Geheimnisse.
Adrian war verwickelter in den ganzen Fall, als angenommen.

„Noch nicht? Du hast gesagt ich könnte dir vertrauen" Meine Stimme wurde lauter, schärfer. „Ich bin nicht irgendjemand, Jenkins. Wir arbeiten zusammen, falls du es noch nicht mitbekommen hast. Wenn du Informationen zurückhältst, dann gefährdest du uns beide. Wie soll ich dir vertrauen, wenn du ständig etwas verheimlichst?"

„Es geht hier um mehr als nur uns beide, Vika. Das musst du verstehen." Seine Stimme war angespannt, doch er blieb beherrscht, was mich nur noch mehr auf die Palme brachte. Er machte mich verrückt - nicht auf die gute Art. In einem Moment hatten wir diese Anziehung und im nächsten wollte ich ihm am liebsten an die Kehle gehen.

„Nein, das verstehe ich nicht!", fuhr ich ihn an. „Wie soll ich etwas verstehen, wenn du mich außen vor lässt? Ich habe das Gefühl, ich kämpfe an zwei Fronten: gegen Volkov und gegen dich. Das ist nicht der Sinn einer Partnerschaft." Wir kannten uns noch nicht lange und dennoch mussten alle unausgesprochen Worte einmal raus. Ich hatte es satt meine Zeit zu verschwenden.

„Das hier ist komplizierter, als du denkst", erwiderte er, und ich konnte den Anflug von Ärger förmlich spüren. „Es gibt Dinge, die ich nicht riskieren kann – Dinge, die du nicht riskieren kannst. Ich schütze dich, Viktoria, auch wenn du das gerade nicht siehst." Er musste mich nicht schützen. Ich wollte nicht geschützt werden von einem Mann, dem ich kein Fünkchen Vertrauen schenken konnte. Adrian war in manchen Zügen wie mein Vater. Mein Vater hatte meiner Mutter auch immer etwas verheimlicht, um sie schützen. Sie hat sein Verhalten wortlos hingenommen. Und wohin hat es die beiden geführt? Ins Grab. Aus dieser Lektion habe ich gelernt und ich werde bestimmt nicht so sein wie meine Mutter. Ich war keine Frau, die sich kampflos geschlagen gab.

„Schützt du mich wirklich? Oder schützt du nur dich selbst?" Die Worte kamen härter, als ich beabsichtigt hatte, doch ich konnte nicht anders. Ich wollte es wirklich wissen. „Seit dem ersten Tag ist da diese Mauer zwischen uns, Adrian. Ich weiß nicht, was du verheimlichst, aber ich werde es herausfinden. Und wenn du mich belügst, dann gibt es kein Zurück mehr."

Für einen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Kurz kam mir der Gedanke, dass er gleich auflegen würde. Ich konnte fast hören, wie er die richtigen Worte suchte, doch als er endlich sprach, war seine Stimme leiser, beinahe drohend. „Vorsicht, Viktoria. Manchmal ist es besser, nicht zu wissen, was hinter der Mauer liegt." Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Normalerweise war ich nicht so einfach aus der Fassung zu bringen, aber diese Worte waren alles, was ich wissen musste. Er verbarg viel tiefere Absichten als angenommen.

„Und was, wenn ich bereit bin, dieses Risiko einzugehen?" Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug, wie das Adrenalin durch meine Adern pumpte. „Ich habe genug von Geheimnissen, genug von den Schatten, die uns umgeben. Wenn du nicht ehrlich zu mir sein kannst, dann werde ich es allein herausfinden." Egal, was er getan hatte oder wer er war, ich würde es herausfinden. Wenn ich Information wollte, war ich ein verbissener Hund. Gerade diese Geheimnistuerei weckte das Interesse in mir zunehmend.

„Das ist ein Fehler", sagte er kühl. „Ein Fehler, den du bereuen wirst." Wollte er mir drohen? So schnell konnte sich das Blatt wenden.

„Vielleicht", antwortete ich, meine Stimme jetzt gefasster. „Aber es wird mein Fehler sein, nicht deiner."

Ich legte auf, bevor er noch etwas sagen konnte, und starrte auf das Handy in meiner Hand. Mein Atem ging schnell, und ich konnte spüren, wie das Blut in meinen Ohren rauschte. Noch nie hatte ich mich so zerrissen gefühlt, so wütend und doch zugleich so entschlossen. Adrian hatte etwas zu verbergen, und was auch immer es war, ich würde es herausfinden – komme, was wolle. Was er für ein Spiel spielen konnte, konnte ich schon lange. Natürlich habe ich meine eigene Motivation in diesem Fall, aber keinesfalls hätte ich Adrian wichtige Informationen enthalten.

Die Entscheidung war gefallen. Ich würde nicht länger passiv bleiben, nicht länger abwarten, bis er bereit war, mir die Wahrheit zu sagen. Wenn er mich in die Dunkelheit stoßen wollte, dann würde ich in diese Dunkelheit eintauchen und die Antworten selbst finden.

Das war nicht mehr nur ein Fall. Es war ein Kampf um die Wahrheit, ein Kampf, den ich nicht zu verlieren gedachte – egal, wie hoch der Preis dafür sein würde. Adrian hatte mich unterschätzt. Er dachte wohl ich wäre eine Frau, die zu seinen Mätzchen ‚Ja und Amen' sagt, aber nein. Er war ein Rätsel, was es zu knacken vermag. Ich liebte Rätsel.

GiftkussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt