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Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Die Situation war weitaus ernster, als ich zunächst angenommen hatte. Adrian stand still vor mir, seine Präsenz erdrückend und doch geheimnisvoll. Er war nicht nur ein Verbündeter, sondern auch ein Mann, dessen eigene Vergangenheit wie ein dunkler Schatten über uns hing – ein Schatten, der, falls Lukas Recht behalten sollte, uns alle verschlingen könnte. Langsam öffnete ich die Augen wieder und fixierte seinen Blick.

„Wir müssen herausfinden, wer dahintersteckt. Aber bevor wir weitermachen, Jenkins... ich muss dich etwas fragen."

Er nickte leise, als hätte er die Frage bereits erwartet, als wäre sie unausweichlich.

„Frag ruhig."

„Kann ich dir wirklich vertrauen?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch die Worte waren schwer wie Blei in der Luft. Adrian erwiderte meinen Blick, seine Augen durchdringend, unverwandt.

„Ich weiß, dass es schwer ist, mir zu vertrauen. Aber ich bin auf deiner Seite, Viktoria. Ich werde alles tun, um sicherzustellen, dass wir Volkov zu Fall bringen – und dass wir da sicher herauskommen."

Ich suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen für eine Lüge, nach dem kleinsten Widerspruch. Doch was ich fand, war eine Entschlossenheit, die mich überraschte. Eine Entschlossenheit, die stärker war als jede meiner Erwartungen.

„Wir haben keine andere Wahl als zusammenzuarbeiten," sagte ich schließlich, meine Stimme fest, aber innerlich zögerte ich noch immer. „Aber sei gewarnt: Wenn du mich belügst, wenn du mich betrügst, werde ich es herausfinden. Darauf gebe ich dir mein Wort." Adrian neigte leicht den Kopf, ein Zeichen des Respekts und der Akzeptanz.

„Ich würde nichts anderes von dir erwarten."

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Bevor ich antworten konnte, trat Lukas ein. Sein Blick wanderte misstrauisch zwischen Adrian und mir hin und her. Die Spannung im Raum war fast greifbar, und sein Gesichtsausdruck verhärtete sich augenblicklich.

„Störe ich?", fragte Lukas, seine Stimme eine Mischung aus Überraschung und Misstrauen. Er musterte Adrian scharf, als würde er versuchen, ihn zu durchschauen.

„Nein", antwortete ich schnell, bemüht, die Kontrolle über die Situation zu behalten. „Adrian und ich besprechen gerade etwas Wichtiges."

„Das sehe ich. Ist das etwas, das auch mich betrifft?", fragte Lukas, sein Blick bohrend.

Adrian blieb kühl und gelassen. „Noch nicht, aber wir werden dich auf dem Laufenden halten, sobald wir mehr wissen."

Lukas nickte langsam, doch seine Augen blieben wachsam und voller Misstrauen. „Sicher. Ich hoffe, ihr wisst, was ihr tut."

Als er sich zum Gehen wandte, hielt er kurz inne. „Übrigens, ich habe die Symbole entschlüsselt. Wer auch immer das hinterlassen hat, will euch ein Rätsel stellen: ‚Finde die Schlange, dann findest du mich.'" Ohne ein weiteres Wort verschwand er aus dem Raum.

Adrian und ich blieben zurück, in einer seltsamen Mischung aus Besorgnis und Ungewissheit.

„Schlange? Wer oder was ist die Schlange, und warum scheint diese Nachricht nur an eine Person gerichtet zu sein?", fragte ich mich laut. Die Fragen wirbelten unaufhörlich durch meinen Kopf, wie ein unaufhaltsamer Sturm.

Adrian brach das Schweigen, seine Stimme nachdenklich: „Es wird nicht einfach." Seine Hand fuhr durch sein kurzes, schwarzes Haar, eine Geste, die seine innere Unruhe verriet. „Aber wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren."

Ich beobachtete ihn genau. Irgendetwas an ihm hatte sich verändert. Seine Muskeln waren bis zur äußersten Anspannung versteift, seine Augen wirkten besorgt. Etwas stimmte nicht.

„Was weißt du, was ich nicht weiß?", fragte ich, meine Stimme schärfer, als ich es beabsichtigt hatte.

Obwohl seine Augen zuvor so viel Wahrheit versprochen hatten, spürte ich nun eine verborgene Unsicherheit. Seine Fingerknöchel waren blass, seine Haltung angespannt, und doch blieb er undurchsichtig. Konnte ich ihm wirklich vertrauen? Und vielleicht noch wichtiger: Wollte ich ihm überhaupt vertrauen?

Adrian antwortete schließlich, nach einer quälend langen Stille. „Ich habe eine Vermutung, aber ich möchte nichts sagen, solange ich keine festen Beweise habe. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest..." Er brach den Blickkontakt ab und verließ hastig den Raum.

Ich stand da, allein mit meinen Gedanken, und eine düstere Erkenntnis schlich sich in meinen Geist. Unsere Ziele waren unterschiedlich, das war mir jetzt klarer denn je. Ein ungutes Gefühl kroch in mir hoch, lähmend und unerbittlich. Ich brauchte eine Pause – von diesem Fall, von Adrian, von allem.

Entschlossen erhob ich mich, straffte meinen Zopf, nahm meine Jacke vom Stuhl und verließ das Büro. Der große, offene Raum des Reviers, der mir sonst so vertraut war, fühlte sich heute anders an. Die Unruhe lag wie ein schwerer Nebel in der Luft, und ich konnte sie nicht greifen.

Jeder hier könnte ein Verräter sein. Jeder hier könnte mir in den Rücken fallen. Und doch mochte ich jeden von ihnen. Als ich mich dem Ausgang näherte, hielt ich inne. In der Nähe des Vernehmungsraums sah ich Adrian, in ein intensives Gespräch mit einem meiner Kollegen vertieft. Sein Gesicht war ernst, konzentriert.

Unsere Blicke trafen sich. Es war, als würden unsere Augen mehr sagen, als Worte es je könnten. Wir steckten gemeinsam in diesem Schlamassel, und egal was kommen würde, wir mussten einen Weg hinaus finden. Doch bevor ich mich in seinen Augen verlieren konnte, wandte ich den Blick ab. Adrian war mir bereits zu nahe gekommen, näher, als mir lieb war.
Meine Schritte beschleunigten sich, als ich das Revier verließ, als könnte ich es kaum erwarten, diesem Ort zu entkommen.

Als ich ins Freie trat und die kühle Luft mich umhüllte, blieb Adrians Blick auf mir haften. Ein kaum spürbarer Druck, der dennoch seine Wirkung nicht verfehlte. Da war eine unterschwellige Spannung zwischen uns, ein unausgesprochener Takt, der in jeder unserer Begegnungen mitschwang. Es war nicht leicht zu fassen, kaum mehr als ein flüchtiges Gefühl, das sich in den stillen Momenten zeigte, in denen Worte überflüssig waren.
Vielleicht war es seine Art, die Dinge zu beobachten, aufmerksam, beinahe zu aufmerksam oder die Intensität, mit der er unsere gemeinsame Aufgabe verfolgte. Diese stille Energie, die zwischen uns zu bestehen schien, machte mich wachsam. Es war nicht so sehr die Situation selbst, sondern das, was wir nicht sagten, was mich verunsicherte.

Ich wusste, ich durfte nicht zu viel hineinlesen, doch das Bewusstsein seiner Nähe begleitete mich unaufdringlich, fast wie ein Dämon, der sich nicht abschütteln ließ. In dieser feinen Linie zwischen Misstrauen und Zusammenarbeit schwang etwas mit, das ich nicht ganz zu benennen wagte – eine Ahnung, die sich immer wieder in den Vordergrund drängte, nur um sofort wieder im Verborgenen zu verschwinden.
In meinem Inneren herrschte eine seltsame Unruhe. Es war nicht nur die Anspannung des Falls, sondern etwas Tieferes, etwas, das ich nur ungern zuließ. Ich war immer ein misstrauischer Mensch gewesen, schon seit jenem Tag, an dem meine Eltern ermordet wurden. Vertrauen war für mich ein Fremdwort, etwas, das ich anderen gestattete, aber niemals mir selbst. Zu oft hatte ich gesehen, wie Vertrauen gebrochen wurde, wie es Menschen in den Abgrund stürzte.

Und doch, mit Adrian war es anders. Dieser ständige Kampf zwischen Misstrauen und einem kaum greifbaren Verlangen nach Verbindung machte mich nervös. Ich versuchte, es zu ignorieren, es in die tiefsten Winkel meines Bewusstseins zu verbannen, aber es blieb da, wie ein hartnäckiger Gedanke, der sich nicht vertreiben ließ. Vielleicht lag es daran, dass Adrian selbst so undurchsichtig war, dass er wie ein Rätsel vor mir stand, das ich nicht lösen konnte. Doch was auch immer es war, ich konnte es mir nicht leisten, nachzugeben – nicht jetzt. Denn wenn ich eines wusste, dann dass das Herz eines misstrauischen Menschen wie meines am härtesten zu brechen war.

Ich schüttelte die Gedanken an ihn ab und nahm mir vor, wieder die Viktoria zu sein, die ich immer war: vorsichtig, professionell, unnahbar.

GiftkussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt