Kapitel 2 - Der Polizeihund

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Perspektivwechsel Einbrecher

Er hielt meinen Arm, starrte ihn an.
Was konnte man auch dazu groß sagen.
Ich musterte meine Arme ebenfalls.

All die Linien, ich erinnerte mich noch an jede einzelne von ihnen.
Der kurze Moment, in dem ich mich nicht fühlte, als würde ich jede Sekunde explodieren.
Und direkt danach die Reue.

Gedankenversunken ging ich die einzelnen Erinnerungen durch, doch plötzlich riss mich etwas wieder in die Gegenwart.

"Wieso bist du verletzt?"

Direkte Frage, ist wohl so eine Polizistenkrankheit.
Aber der hellste schien dieser Typ ja nicht zu sein, ob Bulle oder nicht.
Ich steige in seine Wohnung ein, und er will ein Therapiegespräch führen?
Nein danke.

"Was geht dich das an, Cop?"

Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, auch wenn mein Körper die Anspannung nur schwer ertragen konnte.

Er sah mich an, in seinen Augen schimmerte Mitleid und Verwirrung.
Aber sein Mitleid brauchte ich nicht, er war der bemitleidenswerte.

In seiner Wohnung schrie es schon nach Einsamkeit.
Es hingen keine Bilder an den Wänden, persönliche Gegenstände waren rar, das hatte ich schon bemerkt.

Vielleicht war es genau diese Einsamkeit, die dafür gesorgt hatte, dass er mich nicht auf der Stelle den Balkon runter geworfen hatte. Oder der Alkoholeinfluss, vielleicht auch eine Kombination aus beidem.

Die letzte Stunde hatte ich nämlich damit verbracht, nach seinem Alkoholvorrat zu suchen, und war auch fündig geworden.
Er hatte einen ganzen Schrank voll mit edel aussehenden Flaschen.

Aber das war auch das einzig Interessante, denn der Rest der Räume war so gut wie nicht eingerichtet.
In seinem Schlafzimmer standen noch Umzugskartons voll mit Sachen, in seiner Küche stapelte sich das Geschirr gemeinsam mit leeren Pizzakartons.
Sein Bad war zwar sauber, aber von ordentlich konnte man da auch nicht sprechen.

Typischer Jungeselle, oder so.
Von so einem werde ich mich sicher nicht belehren lassen.

Er schien von meiner Gegenfrage sichtlich verwirrt, denn er schaute mich schon länger nur an.
Ich wartete auf eine Antwort, doch er hielt nur weiterhin meine Hand fest.
Hatte der Typ keine eigenen Probleme?

Ich zog meine Hand zurück und wischte mir übers Gesicht.
Dass ich geweint hatte war ihm bestimmt nicht entgangen.

Der Schmerz zuckte prompt über meine Wange bis zur Schläfe.
Scheiße, ich hatte mein blaues Auge schon fast wieder vergessen.

Er atmete tief ein. Sein Misstrauen war mehr der Sorge gewichen, seit er die zahlreichen Narben an meinen Armen gesehen hatte.

"Dann eben nicht. Aber wenn du mir keinen guten Grund nennen kannst, wieso ich dich nicht sofort verhaften sollte, solltest du lieber kleine Brötchen backen."
Seine Stimme klang nun bestimmter, doch trotzdem zitterte er noch.

Verhaften? Was denkt er sich wer er ist?
Ich musste lachen.
Das würde ein normaler Mensch niemals schaffen.
Vorhalle nicht, in der Verfassung, in der er sich befand.
Auch er war offensichtlich betrunken und verwundbar.

"Verhaften? Ich glaube nicht dass du das tun wirst, egal was ich dir sage."

"Ach ja?"

Jetzt ging er einen Schritt auf mich zu, doch ich blieb da wo ich stand.
Er war mutig, das musste ich ihm lassen, doch er wirkte nicht wie jemand, der mich ohne Anhörung direkt in die Zelle bringen würde.

Uns trennten noch wenige Zentimeter.
Die Spannung im Raum war kaum noch zu ertragen, wieder einmal fühlte ich mich, als würde ich gleich Feuer fangen.

"Ja." hauchte ich.

Ich musste nun hoch schauen, um ihm in die Augen zu schauen. Er war ein gutes Stück größer als ich, allerdings schien er mir körperlich nicht überlegen.

Seine Augen waren von dunklen Schatten umrandet, er sah wirklich müde aus.
Seine Fahne roch Meter gegen den Wind.
Er versuchte so tapfer, irgendwie die Situation zu beherrschen, obwohl er doch so beschwipst war.

Dann ging ich einen Schritt zurück, denn es wurde einfach zu viel.
Egal wie verwundbar er war, ich war es genauso.

Einige Schauder liefen mir den Rücken runter, sogar mir war die Anspannung grade zu viel.
Wieso ausgerechnet heute, nach all der Scheiße.
Der Schmerz in meinem Gesicht sorgte dafür, dass die Erinnerungen an ihre Entstehung wie Blitze vor meinem inneren Auge lang schossen.

Wie er heute, vor mir stand, mich anschrie und ausholte.
Die Schläge trafen mein Gesicht wie der Donner.

"Plötzlich nicht mehr so frech?"

Er hatte sofort gemerkt, dass ich nicht mehr bei der Sache war.

Ich sah ihn wieder an, er hatte wohl all seinen Mut gesammelt um mir dumm zu kommen.
Doch antworten konnte ich nicht, jetzt war ich an der Reihe mich zu sammeln.
Die Erinnerungen überrollten mich, schon wieder.

Ohne, dass ich es gemerkt hatte, hatte ich wieder begonnen zu weinen.

Scheiße, scheiße, scheiße.

Mein Blick ging zum Balkon.
Wenn ich jetzt losrennen würde, würde er mich aufhalten?
Die Panik schlich meinen Rücken herauf und setzte sich schwer in meinem Nacken fest.
Ich fühlte mich wie gelähmt, mein Körper war unfähig sich zu bewegen.
So sehr ich auch der Situation entkommen wollte, meine Beine waren wie taub.

"Ich lasse dich erst gehen wenn du mir sagst was passiert ist."

Sein Tonfall war entschlossen, aber verriet auch eine Spur von Mitgefühl.

"Wieso interessiert es dich überhaupt!?" entfuhr es mir, meine Stimme war rau vor Schmerz, und meine Augen hörten nicht auf zu Tränen.

Ich vermied seinen Blick, schämte mich für die Tränen, die über meine Wange liefen, die langsam aber sicher heiß wurden.
Die Erinnerung an die vergangenen Stunden war zu schmerzhaft, um sie wieder zu unterdrücken.

"Anscheinend bist du ziemlich verzweifelt, wenn du es nötig hast, in meine Wohnung einzubrechen", bemerkte er, und ich konnte den Vorwurf in seinen Worten hören.

Und irgendwie hatte er recht damit.
Es war eine verzweifelte Aktion, irgendwie einen Schlafplatz zu finden, fernab von dem, was mein Vater tat.
Eine verdammt verzweifelte Aktion, bei so einem Spinner einzubrechen, auch wenn ich eigentlich davon ausgegangen war, dass die Wohnung noch leer stand.

Er hatte es gemerkt.
Er wusste, dass ich bereits verwundet war.
Ich zog scharf Luft ein.

"Jetzt wirst du aber frech," versuchte ich, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen, doch meine Stimme zitterte genauso stark wie mein Körper.

Der Schmerz der Erinnerungen schnürte mir die Kehle immer enger zu und raubte mir die Luft zum Atmen.

Jetzt hatten wir die Rollen getauscht, eben noch war er der nach Luft Ringende.

Ich hob meinen Blick, schaute ihm wieder in die Augen.
Wieder sah er mich mitleidig an.

Doch irgendwas war anders an ihm.

Er wirkte aufrichtig interessiert. Er ließ sich nicht von mir blenden.

Obwohl ich seine Wohnung durchsucht und seinen Alkohol geklaut hatte, hatte er mich nicht hochkant rausgeworfen.

Nein, er wollte den Grund erfahren, wieso ich überhaupt in diese Lage geraten war.

Warum auch immer schien er zu wissen, dass ich in dieser Lage keineswegs freiwillig steckte.

Er hatte mir in die Augen geschaut, doch es fühlte sich an, als hätte er es bis in meine Seele geschafft.

Vielleicht war er doch kein so schlechter Polizist.









Echos in my Mind [BoyxBoy, TW]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt