Kapitel 7 - Resonanz

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Sprachlos ging ich vom Balkon in die Wohnung.
Dieser Typ hatte es geschafft innerhalb von nicht mal 24 Stunden meinen Kopf zu verdrehen.
Verwirrung, Trauer und Sorge mischten sich mit Wut, Verzweiflung und Misstrauen.

Hatte er vielleicht doch in der Nacht meine Sachen gestohlen?
Hatte er mich nur ausgenutzt?
War überhaupt etwas, das er erzählt hatte, wahr?

Ohne Zweifel hatte ich mir seine Geschichte angehört, hatte versucht ihn wieder auf andere Gedanken zu bringen.
Doch trotzdem war er gegangen.
Einfach ohne Grund, ohne Anlass.

Kurzerhand ging ich ins Schlafzimmer, um die Schränke zu überprüfen.
Es wurde durch gekramt, Schubladen standen noch offen und ein paar meiner Ketten lagen auf dem Nachttisch.
Sie waren eigentlich in einer Box in meinem Kleiderschrank. Echt Silber und Gold, doch es fehlte augenscheinlich nichts.

Mein Kleiderschrank stand ebenfalls offen, meine Pullover waren von Bügeln gezogen und meine Tshirts lagen zusammengeknüddelt im Regal.
Ich sortierte die Kleidung wieder auf ihre Bügel, doch einer der Hänger blieb frei.
Ein Pulli fehlte.

Das war eine gute Quote dafür, dass jemand eingebrochen war.
Er hatte einen Hoodie mitgenommen, den ich schon sehr lange hatte. Er war sichtlich mitgenommen, die schwarze Farbe war etwas ausgewaschen und an den Ärmeln riss er bereits auf.

Es handelte sich um einen etwas lockeren schwarzen Bring me the Horizon Pulli.
Der Verlust machte mich traurig, da dieser Pullover mich bereits in den schwersten Zeiten begleitet hatte.
Unendlich viele meiner Tränen hatte dieser Stoff aufgenommen.

Doch trotzdem ließ mich der Gedanke nicht los, dass er mit Absicht etwas altes mitgenommen hatte.
Er wollte etwas persönliches haben, etwas das einen Teil mir war.

Meine Finger zitterten vor Aufregung bei diesem Gedanken, also entschied ich mich, ihn schnell hinter mir in der Unordnung zu lassen und ins Wohnzimmer zu gehen.

Ich setzte mich wieder aufs Sofa, sein Glas stand noch neben meinem. Ich fuhr mit der Hand übers Gesicht durch die Haare.

Schwer seufzte ich und legte mich auf das Sofa.
Akito war gestern vor mir eingeschlafen und ich hatte ihm noch Kopfkissen und Decke geholt.
Als mein Kopf das Kissen berührte, wurde ich von seinem Parfüm erschlagen.

Ich schloss meine Augen, nur ein paar Sekunden, doch es war nicht zu ertragen.
Wütend warf ich es durch den Raum.

Trauer überrollte mich.
Er hatte es geschafft, mich auf andere Gedanken zu bringen, doch jetzt war keiner mehr da.

Stundenlang blieb ich einfach nur auf meiner Couch liegen.

Kein Handy, kein Fernseher, kein Buch, gar nichts das die Stille füllen konnte. Nur der dröhnende Lärm in meinem Kopf und die Stille um mich herum.

Nicht mal eine Zigarette rauchen wollte ich, doch das kannte ich bereits.
Eingefroren in Raum und Zeit.
Unfähig zu handeln.
Irgendwas zun.
Es machte einen wahnsinnig.

Der Kater heute morgen hatte mir gereicht, ich wollte nicht noch einen Morgen so verbringen. Deswegen ließ ich lieber die Finger davon.

Nachdem die Sonne unterging und es im Wohnzimmer stockdunkel geworden war, musste ich mich ergeben und aufstehen.
Ich machte den Fernseher an, um ein wenig Licht und Ablenkung zu haben.

Ich zappte ein wenig durch, doch nichts erregte meine Aufmerksamkeit. Also liefen einfach nur die Nachrichten im Hintergrund.

Meine Zweifel waren durch die Erkenntnis, dass Akito nichts von Wert hatte mitgehen lassen, um einiges gesunken.

Er hatte nur einen Pullover genommen, und den konnte er meinetwegen haben...

Hoffentlich musste er wenigstens an mich denken wenn er ihn trug, und die zerfransten Ärmel sah.
Hoffentlich schütze er ihn, wenigstens nur ein bisschen, vor der Kälte, die dort draußen wartete.

Das alles war so unglaublich gewesen.
Diese ganze Situation hätte total schief gehen können.
Doch das war es ja eigentlich nicht.
Rückblickend war es ein wirklich schöner Abend gewesen.

Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr spürte ich, wie sich bittere Süße in mir ausbreitete. Es war ein schöner Abend gewesen, so schön, dass es wehtat.
Die Erinnerungen stachen wie kleine Nadeln in meinem Herzen.
Sein Lachen, seine Stimme, die Art, wie er mich ansah, als würde er jede Bewegung in sich aufnehmen.
Und jetzt war alles fort, wie ein Traum, der beim Erwachen in der Dämmerung verschwand.

Ich sah ihn wieder, wie er gestern hier auf meinem Sofa gesessen hatte.
Auch wenn wir über viele belastende Themen gesprochen hatten, war die Stimmung zwischen uns locker, wodurch er ein guter Gesprächspartner war.
Ich glaube seiner Geschichte, er schien aufrichtig.

Er wirkte an vielen Punkten verwundet, doch versuchte es lieber zu überspielen mit seiner Art.
Das hatte man in der Unterhaltung sofort gemerkt.

Irgendwas in mir hatte das Bedürfnis ausgelöst, mich darum zu kümmern.
Doch dann war er einfach gegangen.

Grade noch eine Zigarette auf dem Balkon, schon war er weg.

Jetzt wo mir die Bilder von Akito und mir durch den Kopf gingen, wollte ich doch rauchen.
Erschöpft vom Nichtstun löste ich mich aus meiner Position und stand auf, um eine Zigarette auf dem Balkon zu rauchen. Mir tat bereits schon alles weh.

Draußen angekommen zündete ich sie an und rauchte, während mein Blick den Balkon hinunter ging.

Dort war er gestern hochgeklettert?
Das war mehr als lebensgefährlich.
Wie viele Meter wohl zwischen mir und dem Abgrund lagen?
Er musste alleine schon sehr gut im Training sein, um sich so lange hier halten zu können. Und dazu noch der Wind.
Es war wirklich unglaublich.
Doch es gab keinen anderen möglichen Einstiegsgelegenheiten.

Im Kopf ging ich die Ideen durch, wie Akito hier hoch geklettert sein könnte, doch eine war verrückter als die andere.

Dass er dazu in der Lage war und dass er es sich getraut hatte machten ihn noch viel spannender als ohnehin schon.

Natürlich fand ich ihn attraktiv, aber auch abseits von seinem Aussehen war er unglaublich interessant.

Man merkte ihm sofort an, dass er ein schlaues Kerlchen war. Als Polizist musste man einfach Menschenkenntnis haben.
Er war wortgewandt, scharfsinnig, schlagfertig und dominant.
Alles gute Eigenschaften auf der Straße.

Akitos unausgeglichenes Verhalten war leicht seiner Krankheit zuzuordnen, doch darunter verbarg sich ein verletztes Kind, das sich nach Geborgenheit sehnte.

Sein ambivalentes Verhalten schien tief verflochten mit seiner Persönlichkeit zu sein.
Doch seine Probleme erschienen ihm bewusst und er arbeitete daran, das merkte man.
Wann dieses Trauma wohl seinen Anfang gefunden hatte?

Sein Verhalten offenbarte tiefe Echos seiner Vergangenheit.
Er nahm kein Blatt vor den Mund, immer bereit den nächsten Pfeil abzufeuern.
Doch es war sehr schwer abzuschätzen, wohin er mit diesem Pfeil zielte.

Getroffen hatte er jedenfalls.
Genau zwischen die Augen.

Echos in my Mind [BoyxBoy, TW]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt