𝒦𝒶𝓅𝒾𝓉ℯ𝓁 3

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Als ich meine Sachen in meinem leeren Zimmer gebracht hatte , beschloss ich mich auf die Suche nach eine Art Stundenplan zumachen. Während ich durch den langen Flur gehe, versuche ich jedes Detail aufzusaugen ,um mich besser orientieren zu können. Die hohen Decken, die weißen Wände und der leichte Geruch von Reinigungsmitteln schaffen eine Atmosphäre, die mich an zuhause erinnert. Ich spüre die neugierigen Blicke einiger Schüler auf mich und höre das leise Flüstern, wenn ich an ihnen vorbeigeht. Es ist, als würde jeder mich sofort als „die Neue" erkennen.

Ich bleibe kurz stehen, um meinen Stundenplan zu studieren, und merke, dass ich heute noch verschont bleibe und der Unterricht erst ab morgen startet. Also beschließt ich, die Schule ein wenig zu erkunden. Mit einem tiefen Atemzug mache ich mich auf den Weg durch die verwinkelten Gänge.

Als ich an einer kleinen Gruppe von Mädchen vorbeigeht, fange ich unabsichtlich ein Gespräch auf. „Hast du gehört, was Lucian gestern gemacht hat?" flüstert eines der Mädchen aufgeregt. Die anderen rücken näher zusammen, ihre Augen weit vor Neugier.

„Ja, er hat wieder das Fenster  eingeschlagen. Aber natürlich traut sich keiner, was gegen ihn zu sagen", antwortet ein anderes Mädchen. Ich bleibe kurz stehen und tut so, als würde ich etwas aus meinem Rucksack holen, nur um das Gespräch weiter verfolgen zu können, den nun war ich neugierig.


„Kein Wunder", fügt eine dritte hinzu. „Lucian ist einfach furchteinflößend. Jeder, der sich mit ihm anlegt, bereut es später. Hast du die Sache mit dem Typen letzen Monat mitbekommen?"

„Klar! Niemand weiß genau, was passiert ist, aber er soll jetzt die Schule gewechselt haben. Lucian hat ihn regelrecht... verschreckt."

Ich runzele die Stirn. Wer ist dieser Lucian, von dem sie reden? Mein Kopf ist voll von Fragen, aber bevor ich mehr hören kann, gehen die Mädchen kichernd an mir vorbei und lassen mich allein im Flur zurück.

Neugierig und ein wenig besorgt setze ich meinem Weg fort. Je mehr ich über Lucian höre ,desto beunruhigter werde ich. Ich biege um die Ecke und betrete den großen Innenhof der Schule. Ein paar Schüler sitzen auf den Bänken, andere stehen in Grüppchen zusammen. Der Hof ist weitläufig, mit ein paar Bäumen, die Schatten spenden. Es ist ein schöner, offener Ort, aber die Atmosphäre wirkt angespannt, als ob alle hier auf etwas oder jemanden warten.

Wieder höre ich den Namen Lucian. Diesmal kommt die Stimme von zwei Jungen, die an der Wand lehnen und sich unterhalten. „Ich sag dir, Lucian ist nicht normal. Hast du gesehen, wie er den Typen letzte Woche fertiggemacht hat?"

„Ja, Mann", antwortet der andere. „Ich würde ihm nicht zu nahe kommen. Er hat diesen Blick, der einen komplett durchbohrt. Als würde er alles über dich wissen und genau wissen, wo er zuschlagen muss."

Ich schlucke. Die Anspannung wächst. Wer ist dieser Lucian, der so viel Angst verbreitet? Bisher habe ich noch kein einziges nettes Wort über ihn gehört. Meine Schritte werden langsamer, als ich weiter durch den Hof gehe, und ich werfe verstohlene Blicke auf die Gesichter der Schüler, in der Hoffnung, Lucian vielleicht zu erkennen. Aber keiner sticht besonders heraus.

Plötzlich klingelt es zur ersten Stunde, und ich beeile mich ,ins Gebäude zurückzukehren. Mein Klassenzimmer befindet sich im zweiten Stock, also mache ich mich auf den Weg die Treppen hinauf. Als ich oben ankomme, höre ich erneut jemanden flüstern. „Ich hab gehört, Lucian hat sogar die Lehrer auf seiner Seite. Keiner traut sich, ihm eine schlechte Note zu geben."

„Glaubst du, er hat wirklich die Macht dazu?" fragt eine andere Stimme zögernd.

„Definitiv. Es gibt Gerüchte, dass er Familie in hohen Kreisen hat. Ich meine, sieh ihn dir an. Der Typ hat eine Präsenz, die dich erstarren lässt."

Ich unterdrücke ein Seufzen. Der Name Lucian scheint in jedem Gespräch aufzutauchen, als wäre er eine Art Legende oder Mythos, der durch die Schule schwebt. Doch was genau an ihm so furchteinflößend ist, bleibt mir ein Rätsel. Jeder scheint ihn zu fürchten, aber niemand sagt genau, warum.

Als ich meinem Raum erreiche und merke das die Tür verschlossen ist , dämmert es mir. Ich hab doch heute frei... Peinlich berührt drehe ich mich um und lasse meinem Blick durch den Gang schweifen. Einige auf dem Gang stehende tuscheln leise, andere wirken angespannt, als hätten sie Angst vor jemanden oder etwas.

Ich entschließe mich dazu die Bibliothek zu suchen. Vielleicht kann ich dort ein wenig Ruhe finden, um ihre Gedanken zu ordnen. Der lange Flur, der zur Bibliothek führt, ist ruhig und fast menschenleer. Das gedämpfte Licht und die Regale voller Bücher wirken beruhigend. Als ich die Tür öffne, empfängt mich der vertraute Geruch von Papier und Tinte.

Ich gehe zwischen den Regalen hindurch und findet schließlich einen Platz am Fenster, wo ich mich niederlasse. Endlich ein Ort, an dem ich mich für einen Moment sicher fühle. Doch gerade als ich ein zufälliges Buch aufschlage, höre ich wieder den Namen, der mich heute verfolgt.

Zwei Schüler, die sich an einem der Tische unterhalten, flüstern leise. „Lucian kommt immer hierher, wenn er allein sein will. Weißt du, was das heißt, oder? Wenn du ihn hier triffst, solltest du sofort verschwinden."

„Ich hab gehört, er ist mal ausgerastet, weil jemand ihn gestört hat. Hat den Typen einfach gepackt und rausgeschmissen, als wäre es nichts."

Meine Finger zittern leicht, als ich versuche , die Seiten des Buches zu durchblättern. Ich hatte gehofft, hier Ruhe zu finden, doch es scheint, als wäre Lucians Schatten auch in der Bibliothek allgegenwärtig. Ich kann mich kaum konzentrieren. Jeder Satz, den ich lese ,verschwimmt vor meinen Augen und jedesmal wen die Tür aufgeht zucke ich zusammen. Ist dieser Lucian wirklich so gefährlich ist, wie alle sagen?

Als ich schließlich beschließe, die Bibliothek zu verlassen, fühle ich mich erschöpft von all den Gerüchten und Andeutungen, die ich den ganzen Tag über gehört habe. Ich gehe langsam den Flur entlang, und meine Schritte hallen in der Stille wider. Mein Kopf ist voll von widersprüchlichen Gedanken. Einerseits will ich Lucian nie begegnen, andererseits ist da diese seltsame Neugier, die mich nicht loslässt. Wer ist er wirklich? Ist er wirklich das was alle in ihn sehen ? Ist er so gefährlich und seine Präsenz so einschüchternd?

Als ich durch das Schulgebäude wandere , fällt mir auf, wie sehr Lucians Name wie ein dunkler Schatten über allem zu hängen scheint. Egal wohin ich gehe, es gibt immer jemanden, der über ihn spricht. Furchteinflößend. Unnahbar. Mächtig. Die Worte hallen in meinem Kopf wider, doch keine davon gibt mir eine klare Vorstellung von der Person selbst.

Ich weiß , dass ich irgendwann auf ihn treffen werde. Aber wann das sein wird und wie ich darauf reagieren soll, das bleibt ungewiss.

Auch wen ich mich vor diesen Augenblick fürchte , so ist da auch diese Neugier.

𝒜ℯ𝓉𝒽ℯ𝓇𝒾𝓊𝓂 𝒜𝒸𝒶𝒹ℯ𝓂𝓎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt