Kapitel 3

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Ginny Weasley saß nur ein paar Plätze entfernt von Harry, Ron und Hermine. Sie hatte das Gespräch zwischen Harry und Cassian aus dem Augenwinkel verfolgt und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, als Cassian sich wieder entfernte. Die Interaktion war kurz gewesen, aber Ginny war nicht entgangen, wie aufmerksam Harry Cassian beobachtet hatte, und wie fasziniert er von dem neuen Gryffindor zu sein schien. Ginny wusste mehr über Harry, als die meisten anderen es taten. Vor nicht allzu langer Zeit hatten sie sich getrennt, aber nicht aus den Gründen, die sie den anderen erzählt hatten. Offiziell hatten sie es als eine Entscheidung dargestellt, die auf ihrer engen Freundschaft basierte, dass sie sich als Freunde einfach besser verstanden. Aber in Wirklichkeit war der Grund viel tiefgründiger. Harry hatte Ginny etwas anvertraut, was niemand sonst wusste: seine Homosexualität. Es war ein Moment tiefen Vertrauens gewesen, und Ginny hatte ihn darin unterstützt, sich selbst zu akzeptieren. Ihre Trennung war einvernehmlich gewesen, voller Verständnis und Respekt füreinander. Und obwohl es schmerzhaft war, hatte Ginny gewusst, dass es das Richtige war. Sie hatte schnell bemerkt, dass Harry in den letzten Wochen ruhiger und nachdenklicher gewesen war. Der Verlust von Sirius hatte ihm schwer zugesetzt, aber Ginny wusste, dass es auch die innere Reise war, die ihn beschäftigte. Seine Homosexualität war etwas, das er nun akzeptierte, aber er war sich nicht sicher, wie er damit umgehen sollte, besonders in einem Umfeld wie Hogwarts. Jetzt, als sie das Gespräch zwischen Harry und Cassian beobachtete, konnte Ginny nicht umhin, sich zu fragen, ob da mehr war als nur die Neugierde auf den neuen Schüler. Harrys offensichtliche Faszination für Cassian war nicht nur eine Frage der Neugierde oder des Interesses an einem neuen Quidditch-Spieler. Es lag eine gewisse Spannung in der Luft, eine Art unausgesprochener Anziehung, die Ginny nicht entging. Sie lächelte leicht und dachte darüber nach, wie wenig Harry selbst vielleicht noch über diese Gefühle wusste. Ginny kannte ihn gut genug, um zu erkennen, dass Harry sich oft seiner eigenen Emotionen nicht bewusst war, bis sie ihn übermannten. Sie wusste auch, dass er sich immer noch in einem Prozess der Selbstfindung befand, und sie war froh, dass er jemanden wie Cassian getroffen hatte, der vielleicht eine größere Rolle in seinem Leben spielen könnte, als Harry sich im Moment vorstellen konnte.

Die Woche zog sich in einem zähen, gleichmäßigen Takt dahin. Harry war immer noch sehr in sich gekehrt, und obwohl die ersten Tage des neuen Schuljahres normalerweise von Aufregung und neuen Erlebnissen geprägt waren, fühlte er sich, als ob er durch einen dichten Nebel wanderte. Der Verlust von Sirius und die ständige Bedrohung durch Voldemort lasteten schwer auf ihm, und obwohl seine Freunde ihr Bestes taten, ihn aufzumuntern, konnte er sich nicht wirklich aus seiner Trübsal befreien. Selbst Severus Snape, der es normalerweise mühelos schaffte, Harrys Laune noch weiter in den Keller zu treiben, indem er ihn mit bissigen Kommentaren und ungerechten Strafen provozierte, hatte diesmal keinen Erfolg. Harry ließ die Provokationen still an sich abprallen, was Snape zu frustrieren schien. Doch während dieser ihn diesmal nicht aus der Fassung brachte, war es Horace Slughorn, der Harry zunehmend nervte. Der neue Zaubertranklehrer war freundlich, ja sogar charmant, aber seine offensichtliche Vorliebe für bestimmte Schüler – insbesondere jene mit einflussreichen Eltern – und seine ständige Belagerung mit Einladungen zu seinem berüchtigten »Slug-Club« setzten Harry zu. Dazu kam, dass er feststellen musste, dass Slughorn in »Zaubertränke für Fortgeschrittene« Anforderungen stellte, denen er kaum gewachsen war. Schon in der ersten Woche fühlte er sich überfordert, und die Aussicht, das Fach für seine zukünftige Karriere als Auror zu benötigen, verstärkte seinen Druck nur noch. Umso erleichterter war er, als der Freitag endlich kam. Nach einer weiteren mühsamen Zaubertrankstunde, in der er sich mehr schlecht als recht durchgekämpft hatte, war die Quidditch-Auswahl das Einzige, worauf er sich noch freuen konnte. Nur das Wetter spielte nicht mit. Dicke Regenwolken hingen über Hogwarts, und ein kalter, unangenehmer Nieselregen setzte ein, als Harry und Ginny sich auf den Weg zum Quidditch-Feld machten.

Der Weg des ErbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt