Kapitel 7

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Lange Fahrten waren noch nie mein Ding. Deshalb machten wir nach mehreren Stunden Fahrt eine Pause. Damien parkte den Wagen vor einem kleinen Restaurant. Es sah alt aus und das Schild flakerte. „Möchtest du nicht lieber in ein Hotel?", fragte Damien, als wir den Laden betraten. Ich wollte so schnell wie möglich wieder durch die Tür verschwinden, aber ein Hotel kostet mehr, viel mehr, als nur etwas zu essen. „Nein, dieser Laden... er hat Charakter. Diese Blumen zum Beispiel, sie riechen super!", ich bückte mich, um an mir unbekannten Blumen zu riechen und musste beinahe das Gesicht verziehen. Sie rochen fürchterlich! „Da bin ich nicht der Meinung", gab Damien zurück, als er ebenfalls an ihnen gerochen hatte. Ich setzte mich an einen Tisch am Fenster und sah mir die Speisekarte an. Die Sonne ging hinter Bäumen auf und ich genoss das einzig Schöne dieser Nacht. „Sie haben Thunfischsandwiches hier. Bestell dir doch eins, du magst sie so sehr!", schlug ich Damien vor. Er setzte sich auf den anderen Platz des Tisches. „Thunfisch in so einem Laden wie diesem zu bestellen wäre ein großer Fehler", sagte er etwas leiser. Ich zuckte mit den Schultern und versank hinter der Speisekarte in meinem Stuhl. Waffeln, Kaffe, heiße Schokolade, frisches Obst. Die Auswahl war nicht groß. Das Obst fiel schonmal weg, er würde Damiens Meinung nach, nicht frisch sein. Bei der heißen Schokolade zweifelte ich ebenfalls. Aus dem Grund entschied ich mich für einen großen Becher Kaffe, um auf der weiteren Fahrt wach zu bleiben, und die Waffeln. Damien wählte bloß Kaffe. „Kommt sofort", sagte die Bedienung und ging im schwungvollen Gang davon. Sie war schön, blond, blaue Augen, weshalb Damien ihr auch nachsah. Er hat keine Gefühle für mich, da bin ich mir jetzt sicher.
Damien und ich nahmen gleichzeitig den ersten Schluck unserer Kaffes. Beide sahen wir uns angewiedert an. Der Kaffe war kalt und schmeckte abgestanden. Ich schluckte nur schwer. „Können wir gehen?", fragte Damien und schob seinen Kaffe von sich weg. Ich sah verzweifelt auf die Waffeln. Sie sahen appetitlich aus, ich hatte riesen Hunger und wollte nicht aus dem Laden gehen, ohne sie probiert zu haben. „Ich probier die Waffeln noch", sagte ich und schnappte mir die Gabel. Ich nahm ein kleines Stück und war positiv überrascht. Sie waren lecker. Ich schob die ganzen Waffeln in mich herein und nahm ausversehen noch einen Schluck des ungenießbaren Kaffes. „Ich bin fertig", sagte ich. Damien rief die Bedienung zu sich und sie schlenderte herbei. „Was macht das?", fragte Damien. „13,45 Euro, bitte", sagte die Blonde. Damien gab ihr das Geld, noch bevor ich meine Tasche öffnen konnte, um mein Essen selbst zu bezahlen. „Seid ihr... ein Paar?", fragte die Bedienung verlegen und packte das dreckige Geschirr auf ihren Servierteller. „Nein", kam ich Damien zuvor. „Wir sind verwandt. Sehr verwandt." Sehr verwandt? Ich wusste selbst nicht, was ich damit meinte. Damien sah mich verwirrt an. „Oh, gut. Hier, meine Nummer. Ruf mich doch mal an", die Frau legte Damien einen Zettel auf den Tisch. „Klar, mach ich." Ich lächelte die Frau an und stand von meinem Platz auf. Sie verabschiedete sich von Damien noch und sah uns dann nach, wie wir den Laden verließen. Ich setzte mich ins Auto. „Was sollte das?", ich hörte den Unterton in Damiens Stimme. „Ihr passt gut zueinander", sagte ich unschuldig. Damien sah mich mit offenem Mund an. Was soll ich denn noch sagen? Ich drehte mich von Damien weg, verschränkte die Arme und sah aus dem Fenster.
Ich musste während der weitern Fahrt an meine Pflegeeltern denken. Jetzt stehen sie auf. Jetzt merken sie, dass ich nicht da bin, geraten in Panik. Sie versuchen mich an meinem Handy zu erreichen, vergeblich. Sie suchen das ganze Haus ab. Sie suchen in der Stadt nach mir. Sie rufen die Polizei. Sie merken, dass alles weg ist-meine Kleidung, ihr Geld, ich. Die Sonne ging unter, als Damien das Auto am Starßenrand parkte. „Könntest du mit dem Schweigen aufhören?" Ich hatte kein einziges Wort mehr mit ihm gesprochen. „Entshchuldige", sagte ich. „Habe ich etwas falsch gemacht oder warum hast du nie geantwortet?" „Ich musste an meine Pflegeeltern denken." „Sie werden es überleben." „Ist es ganz sicher, dass ich wiederkomme? Nein. Sie werden für den Rest ihres Lebens nach mir suchen!" „Sie werden ein anderes Kind adoptieren." Seine Worte fühlten sich wie Schläge an, die meine Seele verletzten. „Bin ich so leicht zu ersetzen?" „Das denken sie bestimmt." „Wie bitte?" „Tut mir leid", er schlug sich die Arme vor dem Gesicht zusammen. „Es ist nur... sie haben dich mir weggenommen. Du warst plötzlich weg aus dem Pflegeheim und ich wusste nicht, wo du warst." „Du warst gegangen. Wärst du geblieben, hätte ich dir von allem erzählt. Aber du warst weg." „Ja und es war ein Fehler zu gehen." „Ich glaube, wir sollten uns jetzt ein Hotel suchen."
Das Hotel, das wir uns aussuchten, entsprach ganz meinen Erwartungen. Es war nicht teuer, gemütlich und es hatte Zimmer mit getrennten Betten. „Diese Nacht macht dann 82 Euro, bitte", sagte der Mann am Empfang. Ich zahlte diesmal und gab Damien nicht die Chance, auch nur einen Cent zu zahlen. „Sind sie Geschwister?", fragte der Mann. „Nein, bloß verwandt. Sie ist noch zu haben", sagte Damien genervt zu dem Mann, nahm die Schlüssel für unser Zimmer, sein Gepäck und ging. Der Mann sah mich an, als würde er es auf eine Verabredung mit mir abgesehen haben. „Nein, er liegt da falsch. Ich habe zu Hause noch einen Freund. Wir sind gerade auf der Fahrt zu ihm. Ich wünsche Ihnen noch eine tolle Nacht", sagte ich und folgte Damien mit meinem Gepäck. „Ich bin noch zu haben?", fragte ich wütend im Zimmer, welches ein kleines Fenster hatte, einen Schrank, den wir nicht benutzen würden und an jeweils einer Seite des Zimmers sorgfältig gemachte Betten. Jeweils ein Schokoladenstückchen lag auf den Kissen. „Entschuldige, ihr scheint bloß wunderbar zueinander zu passen!", provozierte mich Damien. Es war ein Rachezug gewesen. „Es reicht! Ich war wirklich der Meinung, du würdest zu der Frau passen, aber das gerade sollte doch ein Scherz sein! Er ist wahrscheinlich zehn Jahre älter als ich!" „Das bin ich auch und du bist dennoch ständig an meiner Seite!" Damien sah für mich nie zehn Jahre älter aus. Ich hatte geschätzt, dass es fünf wären, aber an zehn hatte ich nicht gedacht. „Ständig an deiner Seite? Ich kann gehen. Und dann möchte ich dich wirklich nie wieder sehen. Mein Leben war perfekt, als du weg warst. Ich brauche dich nicht." Mir schien es, wir würden über dasselbe streiten, immer und immer wieder. Aber wie oft wir uns darüber auch streiten mögen, wir halten es nicht ohne den anderen aus. Mir geht es zumindest so. „Wir haben morgen einen langen Tag vor uns. Leg dich schlafen", sagte Damien. Ich beruhigte mich langsam wieder. Ich bin nicht diese ganzen Kilometer gefahren, um mich mit ihm zu streiten, sondern um zu meinen Eltern zu kommen. Mit Kopfschmerzen legte ich mich in mein Bett und ließ meinen Kopf in das Kissen sinken.
Der Duft, der mir am Morgen in die Nase stieg, kam mir bekannt vor. Ich blinzelte mit den Augen gegen das Sonnenlicht an. Es standen Blumen am Fenster. Ich schreckte auf und sah mich nach Damiens Koffer um. Er stand noch in der Ecke. Ich atmete erleichtert aus, weil ich dachte, die Blumen würden zum Abschied dort stehen. Es waren Tulpen. Rosane, Rote und Gelbe. Mir gefielen besonders die Gelben. Ich roch stark an ihnen und zog mir frische Kleidung an. Die getragenen Sachen stopfte ich in meinen Koffer. Wo soll ich meine Wäsche waschen? Damien kam ins Zimmer. „Ich möchte mich für den gestrigen Tag entschuldigen, Layla. Ich hatte mir die Fahrt anders vorgestellt. Ich möchte mich nicht mit dir streiten, es bringt uns nur auseinander." Mein Herz schmolz dahin bei seinen Worten und ich fühlte mich, als wäre ich wieder zehn Jahre alt und schwärmte für einen Jungen, den ich nie haben könnte. Ich riss mich zusammen, versuchte es. „Ja, aber alle Freunde haben Streit. Es ist normal." Ich wartete auf seine Reaktion auf das Wort ‚Freunde'. Er lächelte bloß. „Ich hab jetzt leider keine so gute Nachricht für dich. Wir haben das Frühstück verpasst." Mein Magen knurrte daraufhin laut. „Ich hab auch gar keinen Hunger", redete ich ihm ein. „Meine Ohren sind noch völlig in Ordnung. Ich habe dein Magenknurren gehört." „Kannst du Brötchen besorgen?", fragte ich, woraufhin er sich auf die Suche nach einer Bäckerei machte. Es klopfte an der Tür. Alle Schläge im selben Takt. Ich öffnete die Zimmertür. Der Rezeptionist des vorherigen Abends hielt ein Tablett mit Pancakes und Tee in der Hand. „Ihr habt das Frühstück verpasst. Ich dachte, ich bringe euch etwas vorbei." „Das wäre nicht nötig gewesen. Entschuldige, aber mein Cousin ist Brötchen holen." Diese Verwandten-Nummer machte mir keinen Spaß. „Er wird lange suchen können. Eine Bäckerei ist mehrere Kilometer von hier entfernt." Die Pancakes regten meinen Appetit an und ich lud den Mann in das Zimmer ein.
„Möchtest du auch etwas?", fragte ich mit vollem Mund. „Oh, entschuldige", ich schluckte das Essen runter, „Ich spreche oft mit vollem Mund." „Das macht mir nichts aus", sagte Paul, der Rezeptionist. „Also, möchtest du etwas?" „Nein, danke." „Musst du nicht arbeiten?" „Doch und ich arbeite ja auch, aber es muss ja keiner erfahren, wie sehr ich unsere Kunden verwöhne." Ich wandte den Blick ab und lächelte davor noch kurz. „Wohin fahrt ihr beiden denn?" „Mhm?" „Du und dein Cousin. Wohin fahrt ihr?" „Nach Hause. Das habe ich gestern doch schon erwähnt!" „Aber nicht, wo dein Zuhause ist." Ich dachte mir schnell eine Stadt aus. „Dann seid ihr ja bald da. Wollen wir uns vielleicht mal treffen?" Du hast einen Freund zu Hause, dachte ich mir. Das hatte ich ihm zumindest gesagt, an dem Tag zuvor, bei der Anreise. Ich trank meinen Tee aus und war erschüttert, als ich ihn auf hatte. Mir blieb keine andere Wahl, als zu antworten. „Ich glaube nicht, dass da etwas draus wird. Ich ziehe um. Nach England." Eine bessere Lüge fiel mir auf die Schnelle nicht ein. „Ich könnte dich dort besuchen", sagte er. Ich verdrehte, so dass er es nicht merkte, die Augen. „Gute Idee. Schreibst du mir deine Nummer auf, damit ich dich erreichen kann?" Er gab mir einen Zettel mit seiner Nummer und verließ das Zimmer. Es stand kein Mülleimer im Zimmer. Ich steckte den Zettel in meine hintere Hosentasche. Damien kam zurück. „Ich konnte leider keine Bäckerei finden, aber der Typ hat dich ja versorgt." „Ja und jetzt lass uns hier schnell weg." Damien widersprach mir nicht, sondern packte seinen Koffer zusammen.
Die Musik im Auto war laut aufgedreht, sodass ich herumzappelte. Der Rythmus schien mich mitzunehmen. Damien sah grinsend von der Seite zu, wie ich mich zum Affen machte. Wir hatten meine Musik aufgelegt und ich konnte nicht anders, als mich nicht zu bewegen. „Okay, das genügt", sagte er und drehte die Musik leiser. Wir fuhren mit weiteren Leutenin ihren Autos auf der Autobahn und ich warf auf jedes Schild einen Blick. Wir waren noch weit von Clearwater entfernt, weit von meinen Eltern entfernt. „Du scheinst mir nicht zehn Jahre älter zu sein", sagte ich. „Viele Leute schätzen mich ebenfalls jünger ein. Und ich finde es nicht schlecht. Aber ich bin schon lange so alt und ich wäre bereit, älter zu werden, aber ich werde niemals älter werden. Die Jahre können vergehen, ich bleibe so jung." „Wann stirbst du?" „Ich hoffe, ein Datum zu bekommen, aber es ist noch lange nicht in Sicht, schätze ich. Ich weiß nicht, wann ich gehen soll. Vielleicht kriege ich dasselbe Datum wie du. Ich lebe für dich." „Du lebst nicht für mich", gab ich zurück. „Doch und das spüre ich, jeden Tag. Ich habe keine Familie, keine Freunde, nur dich. Du erfüllst mir mein Leben und von dir hängt es ab." Ich scheine wertvoll für ihn zu sein. Den Gedanken versuchte ich mir schnell wieder aus dem Kopf zu schlagen. Er hat bloß Schuldgefühle und sitzt deshalb neben mir. Hätte er meine Eltern nicht getötet, wäre er jetzt an einem anderen Ort, bei einer anderen Person. Vielleicht auch verheiratet. Nein, ganz sicher verheiratet und er hätte Kinder. Zwei wundervolle Kinder mit denselben strahlend grünen Augen. Jeden Tag habe ich Angst davor, ihn an jemanden zu verlieren. Aber ich gönne ihn niemandem. Er hat das Beste verdient, er hat mich verdient, obwohl ich vielleicht die schrecklichste Person bin, die ihm je begegnet ist. Ich würde ihn niemals verletzen wollen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 13, 2015 ⏰

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