Tom und Motte - Kurzgeschichten im Microformat

Hinter verschlossener Türe

„Motte, ich müsste mal ins Bad. Bist du bald fertig?" Tom steht im Flur vor der verschlossenen Tür, die schon seit mehr als zwanzig Minuten in diesem wenig erfreulichen Zustand ist.
„Bin gleich fertig", tönt es gedämpft aus dem kleinen Raum.
Eine viertel Stunde später hat sich nichts geändert. Noch immer weilt Motte im Bad, während Tom unruhig wie ein Wolf im Gehege durch den Flur tigert. „Motte, geht's dir gut?", fragt er besorgt.
„Ja, mir geht's gut. Kannst gleich rein."
Die Zeit vergeht, doch an der Situation ändert sich nichts.
„Motte!", ruft Tom schließlich außer sich. „Ich muss wirklich ins Bad. Hier ist ein Notfall dringender Natur."
„Ja doch, sofort", ruft Motte von der anderen Seite, die so fern und unerreichbar ist wie ein fernes Land jenseits eines reißenden Flusses, über dem die Brücke eingestürzt ist.
Irgendwann kommt der Badbesetzer tatsächlich aus dem kleinen Raum herausgestolpert. Augenringe zieren sein Gesicht, seine Haare stehen wüst zu allen Seiten ab. Er lächelt entschuldigend: „So lange hat's doch gar nicht gedauert."
Tom blickt seinen Freund finster an. „Ich war währenddessen bei unserer Nachbarin Frau Rabe. Sie war so freundlich und hat mich in ihr Bad gelassen. Hab dann auch gleich Zähne geputzt. Was um alles in der Welt hast du denn so lange dort drinnen gemacht?"
Motte holt einen Zauberwürfel hinter seinem Rücken hervor. „Ich hab nur kurz versucht, dieses eine Teil an den richtigen Platz zu schieben."
Tom blickt auf den Würfel, der ausgesprochen bunt ist. Da ist eindeutig mehr als nur ein Teil nicht an der Stelle, an der es ordnungsliebende Menschen gern sähen.
„Dauert sicher nicht mehr lange", murmelt Motte.
Am nächsten Morgen klingelt es erneut bei Frau Rabe an der Tür.
„Dürfte ich wohl mal bei Ihnen duschen?", fragt Tom. „Wir haben einen Notfall im Badezimmer."
„Ist etwas defekt?", fragte die alte Frau freundlich.
„Ja, kein einziges Teil ist mehr dort, wo es hingehört."