𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟐𝟒

737 61 21
                                    

𝐋𝐢𝐥𝐢𝐚𝐧𝐚

Stumm folge ich Alesia, sie redet kein Mucks, was ich gut finde. Ich möchte gerade auch, wenn ich ehrlich bin, keine Sekunde, keine Minute und keine Stunde reden, einfach gar nicht mehr reden. Ich kann meine eigene Stimme nicht mehr hören, ich musste so viel erklären, sagen.

Ich hoffe, dass niemand in der Küche sitzt. Alesia geht zuerst rein und bei meinem Glück erkenne ich gerade Elena, Tessa, Abril, Serena und Zoey, die zusammen am Esstisch sitzen und ihre Augen auf mich gerichtet haben. Ich schaue niemanden an, weil ich keine Lust auf Fragen habe, was die meisten aber bestimmt verstehen, da sie keine Frage stellen.

„Was möchtest du essen?" fragt mich eine Angestellte, die ich nicht an der Stimme erkenne. Ich schaue zu ihr und sehe eine kleine Blondine vor mir. Sie zittert ein bisschen und erinnert mich an mich, als ich zitternd missbraucht worden bin.

Ich schlucke heftig, will nicht reden und setze mich auf meinen gewohnten Platz.

Wann kommt Dario wieder? Ich habe das Gefühl, dass ich ihn gerade irgendwie brauche. Auch wenn ich nicht mit ihm rede, habe ich das Gefühl, wenn er bei mir ist, geht es mir ein bisschen besser.

„Kann die Alte nicht reden?" höre ich eine Stimme. Ich hebe meinen Kopf und sehe erst jetzt, dass vor mir ein Teller mit Essen steht. Ich erkenne eine Person, die ich auf gar keinen Fall leiden kann: Vanessa, die Angestellte, die mich eh schon immer komisch ansieht.

Ich habe mehr durchgemacht, als sie jemals in ihrem fucking Leben! Wie kann sie es wagen, mich zu verurteilen? Weil ich nicht rede? In mir macht sich Wut breit, und ich erhebe mich, schaue an ihr von oben bis unten angeekelt herunter. Ich weiß, dass ich definitiv schlechter aussehe, da ich die ganze Zeit nur in meinem Bett gehangen habe. Ich würge, gehe auf sie zu und stelle mich genau vor ihr hässliches Gesicht. Sie ist zwei Zentimeter kleiner als ich und schaut mich giftig an.

Bis ich ihr plötzlich eine knalle. Mit meiner rechten Hand habe ich ihr eine Backpfeife gegeben. Ihr Kopf fliegt zur Seite, und es bilden sich Tränen in ihren Augen, was mir gerade so scheißegal ist. Sie weiß nichts. Nicht, was mir passiert ist oder wieso ich nicht rede.

„Du hast kein Recht, über mich zu urteilen, weil ich nicht rede. Niemals in deinem verdammten Leben sprichst du nochmal mit irgendjemandem in diesem Haus, außer es geht um deine Arbeit. Hast du mich verstanden?" frage ich sie fest mit Selbstbewusstsein. Ich weiß nicht mal, woher das kommt. Bis vor fünf Minuten war ich noch so zerbrechlich wie ein Glas, und jetzt drücke ich dieser Tussi eine Ansage.

Sie antwortet nicht. „Ich wiederhole mich nicht, also antworte lieber auf meine Frage", drohe ich ihr und erkenne, wie sie sich zusammenreißt.

„Du kannst mir nichts! Nur weil du die Frau von Dario bist, hast du nicht das Recht, mir sowas zu befehlen", antwortet sie mit starker Stimme. Wie kann sie es wagen? Ich greife in ihren schwarzen Pferdeschwanz und ziehe sie aus der Küche, in den Flur, und werfe sie zu dem Sessel, der gerade dort steht. Sie stolpert hinein und schaut plötzlich mit riesigen Augen.

„Ich habe sowas von das Recht, dir sowas zu befehlen. Du wirst niemals irgendeinen Mann in diesem Haus heiraten und bist einfach nur neidisch! Also halt lieber deine verdammte Klappe, anstatt mich zu verurteilen, weil ich nicht geredet habe. Wie du hören kannst, kann ich mehr reden, als du jemals in deinem Leben gesprochen hast. Halt also deine verfickte Fresse und gib kein Wort mehr von dir!" schreie ich sie an. Plötzlich höre ich Geklatsche hinter mir. Ich erschrecke mich fast und spüre eine große Person hinter mir, die mir auch gerade das Gefühl gibt, dass ich alles richtig gemacht habe.

„Meine Frau ist genauso deine Chefin wie ich dein Chef bin. Wenn du nicht auf sie hörst, müssen wir dich kündigen", spricht eine dunkle Stimme, die zu Dario gehört.

Ich kann sogar kurz schmunzeln, was aber sofort wieder verschwindet, da mir übel wird.

Mir wurde das Gleiche angetan, ich darf sie doch nicht schlagen! Bin ich lebensmüde?

Ich weiß haargenau, wie es sich anfühlt, geschlagen oder angeschrien zu werden.

Ich sage nichts, drehe mich um und sprinte beinahe die Treppe hoch, bis ins Zimmer. Ich schließe die Tür zu und lasse mich an ihr hinuntergleiten. Ich spinne doch langsam völlig. Erst weine ich, dann lache ich, dann fühle ich nichts. Im selben Moment wird mir übel, und dann bin ich plötzlich selbstbewusst.

Ich schließe meine Augen und erkenne, wie schlimm es mir eigentlich geht. Ich versuche, das alles zu ignorieren, aber es geht nicht.

Ich weine nicht, weil ich dafür keine Kraft habe, aber ich spüre, wie mein Herz blutet.

„Mama, bitte, ich will zu dir", flüstere ich und schaue gleichzeitig hoch. Jemand tippt mich an meinem Arm an, und ich schaue neben mich. Ich habe doch abgeschlossen? Niemand außer Dario, der unten ist, kann hier sein. Ich sehe und erstarre.

Meine Mutter sitzt neben mir und nimmt mich in den Arm. Ich fange an zu weinen, zu schreien, und lasse alles raus. Sie ist hier, neben mir, und hat mich in ihren Armen, die mir schon immer geholfen haben. „Alles wird gut, Engel. Versprochen. Ich bin doch hier", verspricht sie mir, und ich spüre, wie sie einen Kuss auf meinen Haaransatz verteilt und wartet, bis ich mich beruhige, was aber nicht passiert. Ich atme so schnell. Bitte lass das real sein, bitte lass meine Mutter morgen auch noch da sein, auch wenn ich einschlafe.

„Mama?" frage ich sie, doch bekomme keine Antwort. „Ich bin nicht echt, mein Engel, doch ich bin jeden Tag bei dir. Für immer."

Mein Herz bricht. Wenn sie nicht echt ist, warum kann sie mit mir reden? Wieso? Wieso? Wieso? Sei doch bitte echt, Mama. Bitte. Bitte. Ich brauche dich hier auf dieser Welt, nicht im Himmel, sondern hier in deinem echten Körper neben mir.

Ich traue mich nicht, meine Augen aufzumachen. Ich will nicht realisieren, dass sie gar nicht hier ist, sondern ich mir das alles einbilde. Meine Mama ist hier. Ich liege in ihren Armen, wirklich.

Ich war ein Kind, als mein Vater sie getötet hat. Ein fucking Kind. Ich musste alles ertragen und bin immer noch nicht stark genug. Diese Vergewaltigung hat mich genauso schwach gemacht.

Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Du bist schwach.
Ich bin schwach, und es ändert sich nichts.

Ich zähle von zehn runter, bis ich meine Augen öffne, die ich gar nicht öffnen will. Drei, zwei, eins. Ich reiße sie auf und erkenne meine Mutter trotzdem. Ich liege in ihren Armen.

Aber etwas bewegt sich hinter uns. Ich löse mich von ihr und sehe meinen Vater mit einem Messer, das er in ihre Brust sticht.

„Mama!" schreie ich los. „Mama! Mama! Mama!"
Ich glaube noch nie in meinem Leben habe ich so laut geschrien.

༺༻
Wie immer, Feedback? Wie fandet ihr das Kapitel und was glaubt ihr passiert als Nächstes?
Bei 60 Votes, fange ich an das neue Kapitel zu schreiben!! 🩷

Setting off into the unknown futureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt