Kapitel 38 - Die Ruhe nach dem Sturm

45 9 85
                                    

Dieses Kapitel widme ich SgtDumpling , weil sie mich einfach inspiriert, auch an dieser Geschichte weiterzuschreiben. Über die App scheint es nicht möglich zu sein, das Kapitel direkt einem Nutzer zu widmen, deshalb muss ich es eben nun einfach so machen.

***
Gott wie gruselig! Und was habt ihr mit dem Ding gemacht?", fragte Mia mit einem derart entsetzten Ton, dass sich meine Nackenhaare erneut senkrecht stellten.

Die Erinnerung an das Horrorszenario von gestern Abend ließ eine Welle der Übelkeit durch meinen Magen strömen.

Ich biss mir einmal fest auf die Unterlippe, um mich von dem Brechreiz abzulenken, bevor ich antwortete.

„Levy hat sie aufgewischt und im Klo entsorgt."

Mia machte ein verwundertes Gesicht.
„Hättet ihr sie nicht irgendwo hinbringen müssen zur Untersuchung?"

„Wahrscheinlich schon. Aber das war mir in dem Moment wirklich scheißegal. Diese ganzen fliegenden Monster! Und eins davon läuft durch mein Wohnzimmer, ich dachte echt, mich trifft der Schlag. Ich hatte noch nie solche Angst."

„Das verstehe ich gut. Willst du denn dann überhaupt in den Wald reiten?"

„Hier haben sie diese sinnbefreite Aktion ja nicht gemacht", antwortete ich, während ich Casanovas Fell energisch mit der Wurzelbürste bearbeitete. „Aber ich habe auch keine Einwände, wenn wir heute runter zum Strand reiten."

***

Eine knappe Viertelstunde später passierten wir das große Dressurviereck und den Übungsplatz, ritten über den gepflegten Kiesweg an dem neuen Stallkomplex mit den Außenboxen vorbei und hielten uns dann links, in Richtung der weitläufigen Dünenlandschaft von Grover Beach. Diese Strecke wies einige zusätzliche Kilometer auf, und wir würden eine Weile unterwegs sein, aber ich spürte, dass ich dringend ein bisschen Abwechslung brauchte. Wie so oft, wenn ich auf dem Pferd saß, vergaß ich für einen Augenblick die Sorgen und die unangenehmen Gedanken.

Doch schon nach kurzer Zeit fing Mia erneut mit dem unseligen Thema an.

„Gerade haben sie im Radio gesagt, dass man sich ab dem ersten September impfen lassen kann gegen dieses Virus."

„Und - machst du's?", fragte ich.

„Auf jeden Fall. Ich will nicht an dem Scheiß sterben."

Nachdenklich betrachtete ich den trüben Himmel. Dunkle Wolken waren aufgezogen und verdeckten mehr und mehr die wärmenden Sonnenstrahlen, die sich nur noch zaghaft und vereinzelt gegen die Schlechtwetterfront durchsetzen konnten. Fast kam es mir so vor, als würde sich die Natur unserer angstvollen Gemütslage anpassen.

„Ja, ich auch nicht. Auch wenn ich wirklich skeptisch bin, was diese Impfung angeht! Kann man denn überhaupt in so kurzer Zeit ein Impfserum herstellen? Ich dachte immer, das bräuchte Jahre! Und man muss Studien anlegen um Nebenwirkungen zu prüfen."

Mia nickte nachdenklich. „Klar, darüber mache ich mir natürlich auch Gedanken. Impfschäden zeigen sich wahrscheinlich erst Jahre später. Aber ganz ehrlich, ich habe viel zu viel Angst vor der aktuellen Bedrohung, als dass ich mehrere Jahre abwarte, bis sämtliche Nebenwirkungen ausgeschlossen werden können."

„Ich empfinde das genauso. Obwohl wir das dann in ein paar Jahren anders sehen werden, wenn wir unter den Auswirkungen leiden."

„Aber dann haben wir wenigstens eben diese Jahre noch leben dürfen", gab Mia zu bedenken.

Ich zuckte ratlos die Schultern. Was für ein Dilemma. Aber vermutlich war das den Menschen zu Zeiten von Pest oder Pocken ganz ähnlich ergangen und sie hatten sich verzweifelt ein wirksames Mittel gewünscht. Ich war mir relativ sicher: wenn die Möglichkeit bestand, sich impfen zu lassen, würde ich das Angebot nutzen.

Als wir bei den Dünen angekommen waren, fing es an zu regnen. Erst nur einzelne Tropfen, doch daraus wurden immer mehr. Hart und fast schmerzhaft tropften sie auf meine Nase und die ungeschützten Hände.
Der Wind heulte mittlerweile und wehte uns den Regen gnadenlos ins Gesicht.

Olga tänzelte und warf den Kopf hin und her. „Lass uns umkehren", rief Mia. Ihre Worte gingen im Rauschen des Windes unter, aber ich wusste auch so, was sie meinte. Im selben Moment stieg ihr Pferd, drehte auf dem Absatz um und preschte über den Weg zurück, den wir gerade erst gekommen waren.

Casanova war zwar von Natur aus faul, aber er wollte trotzdem nicht gern allein im Regen stehen gelassen werden. Ich ahnte, was passieren würde, und presste geistesgegenwärtig die Schenkel an den Sattel. Und tatsächlich machte er einen gewaltigen Satz und jagte Olga hinterher.

Es half alles nichts, ich hätte ihn in diesem Tempo sowieso nicht anhalten können. Also überließ ich mich seinen ausgreifenden Galoppsprüngen und versuchte, oben zu bleiben. Regentropfen drangen mir in Augen und Nase, während der Wind um meine Ohren pfiff. Meine Finger schmerzten, so krampfhaft hatte ich sie um die Zügel geschlossen.

Erst als wir den heimischen Stall erreichten, konnte ich mein Pferd zum Stehen bringen.

„Lieber Gott", rief mir Mia entgegen, „was war denn das für eine Aktion?"

Sie war bereits abgestiegen und hielt Olga am Zügel. Ihr Gesicht war so weiß wie die Wand des Stallgebäudes hinter ihr.

Ich zuckte kraftlos mit den Schultern, hob dann mühsam ein Bein über den Pferderücken und ließ mich aus dem Sattel gleiten.

„Ist ja nochmal gut gegangen", murmelte ich schwach.

Meine Oberschenkel brannten, und die Innenseiten meiner Knie waren mit Sicherheit blunk und blau. Doch ich begrüßte den körperlichen Schmerz, weil er es für einen kurzen Moment schaffte, von dem seelischen abzulenken.

***

Mit zitternden Fingern schob ich einen Quarter in den Automatenschlitz und sah dann zu, wie eine Mischung aus heißem Wasser und Kakaopulver in einen Plastikbecher tröpfelte. Dankbar nahm ich das warme Getränk an mich und setzte mich auf die abgewetzte Rundbank, die in unserem Reiterstübchen als Sitzgelegenheit diente.

„Ich brauche eine Cola um meinen Kreislauf zu stabilisieren", sagte Mia grinsend.

Mittlerweile hatten wir uns wieder etwas beruhigt. Die Pferde standen friedlich in ihren Boxen, nachdem wir sie von Sattel und Trense befreit und mit Stroh trockengerieben hatten.

Mia entfernte den Kronkorken von der Glasflasche und setzte sich zu mir.
Dann stieß sie mit ihrer Cola leicht gegen meinen Plastikbecher.

„Prost! Ich würde sagen, das haben wir uns verdient. Wusstest du übrigens, dass am nächsten Wochenende im Yachtclub eine Party steigt? Ich glaube, jeder befürchtet insgeheim, dass es eine Ausgangssperre gibt und möchte vorher noch mal feiern."

Ich wurde hellhörig. „Okay, und gehst du hin?"

„Wir gehen hin! Du kommst natürlich mit."

Ich musste äußerst skeptisch geschaut haben, denn Mia lachte und fragte dann:

„Was ist, gehst du nicht mehr gern feiern? Mal ehrlich, wer weiß denn wirklich, wie lange das noch möglich ist?"

„Glaubst du, Chase ist auch da?"

„Ja, das denke ich schon. Jeremiah hat das zumindest gesagt". Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: „Vielleicht könnt ihr ja doch noch mal miteinander reden."

Ich seufzte. „Und was ist, wenn er seine neue Freundin mitbringt?"

Mia zuckte die Schultern.

„Da musst du jetzt durch, fürchte ich. Geh einfach ohne große Erwartungen hin. Wer weiß, vielleicht läuft es dann besser als gedacht."

VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt