Ich brauchte einen Moment um alles kurz zu verarbeiten. Noah hatte mit seinem Geständnis wirklich eine Bombe platzen lassen, denn ich hatte mit allem gerechnet, mit vielen negativen Dingen, aber nicht damit.
Sein Vater hatte ihn geschlagen. Verdammt. Wie konnte ein Vater zu sowas fähig sein? Mein eigener Vater hatte, soweit ich mich noch daran erinnern konnte, auch nie viel Interesse an mir gezeigt, aber geschlagen hätte er mich nie. Wenn er genug von mir hatte, hat er sich einfach zurückgezogen oder mich ignoriert. Das war auch schmerzhaft gewesen, aber überhaupt nicht mit dem, was Noah durchmachen musste zu vergleichen.
Vorsichtig schweifte mein Blick wieder zu Noah, der neben mir auf dem Bett saß. Er wirkte angespannt und sein Finger waren verkrampft und in meiner Decke vergraben. Sein Gesicht wirkte müde, traurig und ich konnte sehen, wie sehr er versuchte gegen seine Emotionen anzukämpfen, besonders gegen die Tränen, die sich immer wieder in seinen Augen sammelten. Am liebsten hätte ich ihn einfach in eine Umarmung gezogen, denn mir tat das immer gut, wenn ich traurig oder emotional total am Boden war, aber bei Noah war das wahrscheinlich keine gute Idee. Es würde höchstens dazu führen, dass er sich komplett zurückzog, doch er hatte schon angedeutet, dass er noch nicht alles gesagt hatte. Ich wusste, dass die nächsten Worte wahrscheinlich wirklich nicht besser werden würden, aber all das, was Noah mir nun von seinen Eltern erzählt hatte, half mir ihn ein bisschen besser zu verstehen und warum er sich so verschlossen und abweisend verhielt. So etwas würde jeden verändern und niemand würde solche Dinge offen erzählen. Es war offensichtlich, dass es für ihn ein extrem großer Schritt war, denn ich konnte sehen, wie er bei jedem Wort mit sich kämpfte. Dennoch war ich froh, dass er diese Dinge mit mir teilte, auch wenn wir uns noch nicht lange kannten. Es half mir, ihn und sein Verhalten besser zu verstehen, denn das Verhalten seines Vater hatte ganz offensichtlich dazu geführt, dass er diese Mauern zum Selbstschutz um sich herum errichtet hatte. In ihm schlummerte die Angst wieder verletzt zu werden.
"Wie meinst du das denn? Liebe macht alles kaputt?" Diese Worten kamen unerwartet für mich. Obwohl ich mir bereits denken konnte, dass seine Eltern ihm nicht gerade viel Liebe gegeben oder gezeigt hatten, verstand ich dennoch nicht, wie Liebe für Noah alles zerstören konnte.
Noah schaute kurz zu mir, dann schweifte sein Blick zum Fenster. Der Himmel war mit dunklen Wolken bedeckt und der Regen ließ alles trostlos erscheinen. Irgendwie passte das Wetter draußen zu unserer Stimmung im Zimmer. "Die Ehe meiner Eltern..." Er suchte nach Worten, doch wusste nicht, wie er beginnen sollte. "Als ich klein war, da dachte ich immer, dass meine Eltern glücklich zusammen sind. Papa geht arbeiten, bringt das Geld nach Hause und Mama sorgt dafür, dass wir ein schönes Zuhause haben. Ich dachte, die beiden lieben sich und das ich später auch mal so ein Leben haben werde." Seine Stimme war belegt mit Emotionen und ich konnte sehen, dass seine eigenen Worte ihn anwiderten.
"Wie alt warst du, als du so gedacht hast?" Bei meiner Frage schaute er mich an, fast so, als ob ich nicht erkennen konnte, wie offensichtlich die Antwort auf diese Frage war, doch er schüttelte nur kurz den Kopf und seufzte schwer.
"Nicht älter als 4 oder 5 Jahre." Sein Blick wanderte immer wieder im Raum umher und er wirkte unruhig, fast so, als ob er vor seinen eigenen Worten davonlaufen wollte. Er tat es jedoch nicht, sondern umklammerte meine Decke nur noch ein bisschen fester. "Weißt du, durch die Firma von meinem Opa, da wollte meine Familie, vorallem meine Mutter, immer so ein positives und glückliches Image nach außen verkörpern. Die glückliche Familie, das Wunschkind, was eigentlich keins war..." Er lachte kurz bitter auf und ich biss mir auf die Lippe. Ohne das ich sie persönlich kannte, machte mich seine Familie so wütend. "Und natürlich die perfekte Ehe, in der es keine Probleme gibt."
"Aber es gab Probleme und ich denke nicht nur das Problem, dass dein eigener Vater dich geschlagen hat." Noah nickte nur als Antwort und ich bereitete mich innerlich auf den Rest seiner Geschichte vor.
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Irgendwo Ankommen || Nolin
Fiksi PenggemarDie Geschichte von Colin und Noah komplett neu und komplett anders erzählt. Colin und Noah kommen beide nach den Sommerferien als neue Schüler in das Internat des Albert-Einstein-Gymnasiums in Erfurt. Während Colin zwar offen für neue Erfahrungen un...