Kapitel 49

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~ Leano Salvani ~

Es war früh am Morgen, und draußen herrschte noch tiefe Dunkelheit. Die Stille legte sich wie ein Gewicht auf die Welt. Ich saß auf der Bettkante, starrte ins Nichts und lauschte auf das leise Summen der Stadt, die in den ersten fahlen Lichtstrahlen noch schlief. Neben mir lag Milena. Ihre Atemzüge waren ruhig und gleichmäßig, fast wie das leise Ticken einer Uhr, die sich unbemerkt durch die Stunden schlich. Wie konnte sie nach allem, was wir durchgestanden hatten, so friedlich schlafen? Ihre Gestalt wirkte zerbrechlich und stark zugleich, als läge beides in einer feinen Balance, die nur sie selbst zu beherrschen wusste.

Eine Schwere lastete auf meiner Brust. Seit sie in mein Leben getreten war, fühlte ich diese Last - eine Last, die ich selbst gewählt hatte, ohne zu wissen, was sie wirklich bedeutete. Vor ihr kannte ich das Gefühl kaum, dass jemand von mir abhängig war. Mir reichte die Einsamkeit, die ich mir erschaffen hatte, die Freiheit, nur für mich selbst zu sorgen. Aber Milena... Sie hatte die dunkelsten Ecken meiner Seele gesehen, jene Schatten, die sich in meinem Inneren festgesetzt hatten, und war geblieben. Sie wusste es nicht, aber sie hatte längst Besitz von mir ergriffen, mich unbewusst beherrscht.

Doch dieser Gedanke schmerzte. Liebe war ein Fremdwort, eine Gefahr, die ich mir nicht erlauben durfte. Sie machte verwundbar, entblößte Risse, die ich ein Leben lang verborgen hielt. Ich spürte die Bedrohung jeden Tag näherkommen, wie eine unsichtbare Klinge, die im Verborgenen auf uns lauerte. Die Dunkelheit war mein Verbündeter, mein Schutz - nur in der Nacht konnte ich die Stärke fühlen, die mich aufrecht hielt, die Härte, die nötig war, um für sie zu kämpfen. Am Tag aber begann das Licht, meine Rüstung zu durchdringen, bohrte sich in jene Risse, die ich nicht länger kaschieren konnte.

Ich wollte sie beschützen, wollte sie sicher wissen, fern von der Welt, die uns jagte, fern von der Dunkelheit, die ich in mir trug. Doch diese Finsternis ließ sich nicht abschütteln. Manchmal überkam mich der Gedanke, ob sie wirklich ein Leben an meiner Seite führen könnte. Sie war schwanger mit meinem Kind. Doch wusste sie, was das bedeutete? Was, wenn sie eines Tages die Wahrheit erkannte, die Dunkelheit, die mich durchdrang?

Die ersten Sonnenstrahlen drangen ins Zimmer und warfen ein kühles, mattes Licht auf die Wände. Milena erwachte und drehte sich zu mir um, ihre Augen noch verschlafen, aber voller Entschlossenheit. Sie hatte dieselben warmen Augen, die mich jedes Mal aufs Neue erstarren ließen. Dieser Blick, so durchdringend und doch voller Wärme, brachte mich fast um den Verstand. Es war, als könnte sie die Dunkelheit in mir spüren und sich doch nicht davor fürchten.

"Komm zurück ins Bett," flüsterte sie leise, die Müdigkeit noch in ihrer Stimme. Ein Arm streckte sich mir entgegen, und ohne nachzudenken folgte ich ihrer Bitte, ließ mich neben sie sinken. Sie zog mich in ihre Arme, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust, und ich zeichnete in langsamen, kreisenden Bewegungen kleine Muster auf ihren Rücken.

Ein Moment des Friedens legte sich über uns, der mich fast lähmte. Ich spürte ihren Atem an meiner Brust, spürte, wie ihre Wärme meine eigene Kälte verdrängte. Sie war das einzige Licht in meinem Leben, das sich geweigert hatte, von der Finsternis verschluckt zu werden. Doch je länger ich sie festhielt, desto stärker wurde das mulmige Gefühl in mir, die Angst, die mich jede Nacht heimsuchte. Wenn ich versagen würde, wäre es meine Schuld. Wenn ihr etwas zustieß, klebte ihr Blut an meinen Händen. Niemals durfte sie erfahren, dass ich nicht die Sicherheit in mir trug, die sie brauchte.

Die Stille wurde von vertrauten Bildern durchbrochen, Bildern, die ich jahrelang zu vergessen versucht hatte. Gesichter und Stimmen, deren Abdrücke wie Narben in meiner Seele verblieben. Erinnerungen, die ich nicht rief, doch die sich mir in den Weg stellten, als wären sie ein Teil von mir, den ich niemals loswerden könnte. Die Stimme meines Vaters hallte durch meinen Geist, scharf und erbarmungslos, wie eine kalte Klinge, die sich in mich bohrte.

"Schwäche ist eine Sünde, eine Bürde, die nur die Schwachen tragen", hatte er mir eingebläut, wie eine schmerzhaftes Mantra, das ich nicht vergessen konnte. Mein Vater hatte mich zu dem geformt, was ich heute war. Ohne Gnade und ohne Zögern hatte er mich gelehrt, wie das Leben zu führen sei - kompromisslos und ohne die Schwäche, die er selbst so verabscheute. Seine Worte, seine kalten Augen und die Strenge, mit der er jede Emotion unterdrückte, waren wie eiserne Ketten, die ich nie vollständig abstreifen konnte.

Irgendwann hatte ich mich von ihm gelöst, mich gegen ihn erhoben. Ich hatte geglaubt, frei zu sein, doch die Narben blieben. Sie hatten sich in meine Haut gegraben, unauslöschlich. Jahrelang lebte ich mit dem Gedanken, dass diese Kälte mein Schicksal sei, dass es keinen anderen Weg für mich gab. Bis Milena in mein Leben trat und alles in Frage stellte.

Oft fragte ich mich, warum sie blieb, warum sie meine Dunkelheit nicht fürchtete. Sie war zerbrechlich und stark zugleich, und irgendwie leuchtete sie in meiner Dunkelheit wie ein einsamer Stern, der sich weigerte zu verglühen. Ich wusste nicht, was sie in mir sah, was sie erkannte. Vielleicht ahnte sie mehr, als ich mir eingestand.

Als die Nacht ihrem Ende zuging, erwachte ich erneut, schweißgebadet, die Dunkelheit noch in meinen Gedanken. Doch Milena war da, saß neben mir, und ich konnte die Wärme in ihren Augen sehen. Langsam hob sie ihre Hand und legte sie sanft an meine Wange. Ihre Berührung war zart und doch so sicher, dass ich fast zurückzuckte. Es fühlte sich seltsam an - tröstend und beängstigend zugleich, als könnte ihre Hand all die Mauern durchdringen, die ich mein Leben lang errichtet hatte.

"Du musst mir nichts erzählen", flüsterte sie sanft, und ihre Stimme war wie eine Umarmung. "Aber wenn du es je möchtest ... ich bin hier."

Ich wollte etwas sagen, wollte ihr erklären, dass sie die Einzige war, die diese Dunkelheit jemals durchdrungen hatte. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Stattdessen nickte ich nur, still und unsicher. In diesem Augenblick wusste ich, dass sie mein einziger Anker war, das einzige Licht, das mir geblieben war. Trotz der Finsternis, die ich mein ganzes Leben lang umarmt hatte, wagte ich es, an eine Hoffnung zu glauben, die sie in mir entfacht hatte.

Diese Nacht war wie viele Nächte zuvor gewesen. Ein stiller Kampf gegen die Schatten, ein Moment des Friedens, den ich in ihrer Nähe fand. Doch diesmal fühlte es sich anders an - als hätte sie einen Spalt geöffnet, einen kleinen, kaum sichtbaren Lichtstrahl, der mir den Weg zurück ins Leben zeigte. Ein Weg, den ich nicht zu gehen wagte, und doch, der da war.

⭐️⭐️⭐️

Pain of the Mafia BossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt